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Christian Hentschel / Einmal wissen, dieses bleibt für immer. CITY. Das Buch – Buchreview

Christian Hentschel / Einmal wissen, dieses bleibt für immer. CITY. Das Buch - Buchreview

Ein Musiker steht allein im Scheinwerferlicht, um ihn herum ist alles finster. Auf der Bühne steht Fritz Puppel, Gitarrist und Gründungsmitglied der Berliner Band City.  Das Bild gehört zu den aktuellsten Aufnahmen, die im Zusammenhang mit einer Fernsehauszeichnung zur Band entstanden sind. In dem Buch über City mit dem denkwürdigen Titel "Einmal wissen, dieses bleibt für immer. CITY. Das Buch" bilden die Fotos auf den Abschlussseiten so etwas wie den letzen Vorhang. Der definitiv letzte Vorhang wird fallen, wenn sich die Formation nach genau 50 Jahren am 30. Dezember 2022 in der Berliner Mercedes-Benz-Arena vom Publikum endgültig verabschieden wird. Endgültig heißt in diesem Fall zugleich konsequent. Die Gemütslage dürfte bei den Protagonisten klar sein. Halbvoll wird das Glas sein, denn die Musiker um Fritz Puppel und Sänger Toni Krahl haben ein erfülltes Leben auf der Bühne und im Studio hinter sich. Sie waren seit der Bandgründung 1972 immer aktiv und haben sich angesichts zum Teil schwieriger Verhältnisse in der früheren DDR nie verbiegen lassen. Besonders ihre aufrechte Haltung verdient Respekt.

Musikalisch hinterlassen sie als Gruppe im deutschsprachigen Raum ein eindrucksvolles Erbe. Neben dem neuen Album Die letzte Runde, mehreren Auftritten im Zusammenhang mit den 'Rocklegenden' und der großen Abschlusstournee auf der "letzten Runde" zeichnet die Lektüre "Einmal wissen, dieses bleibt für immer. CITY. Das Buch" anhand von 50 Episoden die lange Geschichte der Rockformation nach. Das geschieht unaufgeregt und unterhaltsam. Marktschreierisch ist hier nicht der Anspruch. Es sind keine Zeitzeugen-Berichte der Akteure. Der Autor Christian Hentschel erzählt "50 Jahre City in 50 Runden." So ist das Buch gegliedert. Er berichtet von den Musikern, von Auftritten und von interessanten Hintergründen, die vielleicht sogar eingefleischten Fans neu sein könnten. Mit großer Offenheit haben ihm die Bandmitglieder diese Geschichten erzählt, darf man aus dem Gelesenen schlussfolgern. Das Kapitel "Emil, der Bulgare" berichtet beispielsweise über den früheren Sänger Emil Bogdanow, der sein ganzes Leben in der Deutschen Demokratischen Republik verbracht hat, aber plötzlich seinen Wehrdienst in der bulgarischen Volksrepublik antreten soll, um City zwei Jahre verlassen zu müssen. Warum Toni Krahl, Nachfolger als Sänger, nicht sofort durchstarten konnte, weiß dieses Buch ebenfalls zu berichten. Die Hintergründe dieser Geschichte sind den Fans bereits aus dem Buch Toni Krahls Rocklegenden bekannt. Auf diese Weise gibt es viele weitere Anekdoten aus dem Musikeralltag der Berliner. Das Buch punktet durch die Veröffentlichung von zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten (Verträge, Zulassungen als Musiker, Zeitungsausschnitte), vor allem aber durch die Vielzahl von Fotos, die diese Auswahl fast schon zu einem Familienalbum werden lassen. Die Verarbeitung ist exzellent. Geschuldet der guten Papierqualität, hält der Leser ein Druckwerk mit stattlichem Gewicht in der Hand.

Der Buchtitel entstammt den Zeilen der Schriftstellerin und Dichterin Hildegard Maria Rauchfuß (1918 – 2000), die das textliche Korsett für den Erfolgstitel "Am Fenster" lieferte. Ich bekomme allein beim Lesen jedes Mal Gänsehaut, gleichwohl möchte ich gerne den Satz unterschreiben, wonach diese Komposition der Band Fluch und Segen zugleich war. Ganz einfach deshalb, weil dadurch andere Werke in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit unberechtigt in die zweite Reihe gedrängt wurden. Denn City hatten viel zu sagen und zu singen. Das blieb nicht immer ohne Kritik und war musikalisch sehr breit gefächert. Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Antworten der Musiker nach ihren eigenen drei City-Lieblingssongs. Alle gehen sie auf die gleichen 50 Fragen ein. Allein Fritz Puppel nennt "Am Fenster". Bassist Georgi "Joro" Gogow, Toni Krahl und Keyboarder Manfred Hennig geben jeweils andere Lieder auf den ersten drei Plätzen an. Die Auswahl bei den City-Songs ist schließlich sehr groß, wie der Blick in die ausführliche Diskografie verrät. Das Buch enthält eine komplette Aufstellung aller Platten bei Erstveröffentlichung. Dem folgt ein Anhang über Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint. Die beiden Drehbuchautoren haben, beginnend in den 1990er Jahren, viele Texte für City geschrieben.

Der konsequente Abschied von der Bühne hat sehr viel mit dem Tod von Schlagzeuger Klaus Selmke zu tun. Das Gründungsmitglied war am 22. Mai 2020 an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben. »City müssen das große Jubiläum ohne ihn begehen. Natürlich werden ihre Gedanken bei ihrem langjährigen Schlagzeuger und Freund sein«, klingen die Zeilen im Abschlusskapitel fast wie ein verspäteter Nachruf. Die Musiker wollen zugleich für sich ein würdiges Ende auf der Bühne finden: »Wie oft sieht man Musiker, die ihren Zenit längst überschritten haben, die zu einer Karikatur ihrer selbst geworden sind, die das Denkmal, das sie einst errichteten, mit dem Arsch wieder einreißen. Das wird City nicht passieren«, schreibt Christian Hentschel, der sich seit 30 Jahren als Journalist und Buchautor mit deutschsprachiger Rockmusik befasst. Das vorliegende Buch ist bereits die 16. Publikation des passionierten und emsigen Musikjournalisten.

Es bleibt das Geheimnis des Verlags, warum dessen Namen als Autor weder auf dem Cover noch auf der Rückseite des Buchs erscheint. Das Impressum nennt zwar Namen von Fotografen, nicht aber den von Christian Hentschel, der erst im Innenteil erwähnt wird. "Einmal wissen, dieses bleibt für immer. CITY. Das Buch" ist ein denkwürdiges Buch. Es ist klar und übersichtlich strukturiert, überrascht mit einer Fülle von qualitativ hochwertigen Fotos und sollte sich nicht nur allein an die Fans von City richten. Das Lesen bereitet große Freude. Fast schon läuft man dabei Gefahr, die Realität aus den Augen zu verlieren: Diese heißt Abschied nehmen von einer 50-jährigen Legende. Wir verneigen uns vor diesen außergewöhlichen Musikern mit einer beispiellosen Geschichte.


Angaben zum Buch:

Verlag: Rotbuch
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten
ISBN 9783867892100
Abmessungen: 17.4 x 2.3 x 22 cm
Preis: 22,00 €

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

3 Kommentare

  1. Steffen Nitzsche

    Das City nach 50 Jahren einen gezielten Abschied nimmt, muß man begrüßen.
    Das ist der richtige Weg. Die Band macht das auch sehr medienwirksam. Da kann man geteilter Meinung sein. Jedenfalls lassen sie nichts aus. Wie auch dieses Buch.
    City hat mich selbst intensiv begleitet und tolle Momente und natürlich Musik beschert.
    Dicken Dank dafür und die Band war 50 Jahre immer mit vorn dabei. Besonders im Osten. Live muss ich leider sagen, haben sie in den letzten Jahren einen etwas anderen eigenartigen Weg bestreitet. Da stand etwas der Kommerz im Vordergrund.
    Die besonderen Liveevents sind bei mir (mit minimalen Ausnahmen) älter als 10 Jahre her. Und auch auf der Abschiedstour werde ich wohl nicht dabei sein.
    Trotzdem ist City einer der beständigsten deutschen Band.

  2. Marco Schuster

    Hallo Mario,
    also das Buch ist mir zu schwer und zu groß..bei 20 cm Höhe hätt ich es gekauft.. 🙂

    Wenn man wie bei deiner eben gelesenen Rezension sogar die Buchmaße erfährt, sagt das sehr viel über die wiederholt festgestellte Gründlichkeit deiner Recherchen..
    Klare Lese-bzw. Kaufempfehlung, wer mit, aber auch ohne Ostrock aufgewachsen ist..
    Du hast völlig richtig erkannt, es wird in der gesamtdeutschen Musiklandschaft etwas fehlen ab 2023..
    Grüße Marco

    1. Mario Keim

      Hallo Marco,
      hierzu sage ich herzlich Dankeschön und ohne Worte. Bei so vielen lieben und wertschätzenden Zeilen fällt mir tatsächlich nicht viel ein. Dazu kommen diese Worte von einem überzeugenden „Wiederholungstäter“, der immer wieder zu überraschen weiß. Am Ende zählt, dass wir am gleichen Strang ziehen, weil das gemeinsame Interesse überwiegt.
      Liebe Grüße Mario

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