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Christian Ronig / Heavy Seas At The Cape Of Good Hope – CD-Review

Christian Ronig / Heavy Seas At The Cape Of Good Hope

Hinter der Musik des im Münsterland aufgewachsenen Christian Ronig steckt eine Geschichte. Die Hausband einer griechischen Kneipe in Münster suchte einen neuen Gitarristen, und fortan spielte er mit Hallas-Krisen-Kompania griechische Musik. So vertiefte er sich in Rembetiko, diesen griechischen Musikstil, die sich aus der Verbindung griechischer als auch osmanischen Traditionen entwickelte.

Wie man der Pressemitteilung entnehmen kann, stieß sein Enthusiasmus in seinem Freundeskreis allerdings meist auf leere Blicke und betretenes Schweigen. Die anderen waren von der Fülle der Rhythmen, der fremden Instrumente, der Halbtöne und teils krummen Harmonien überfordert. Die eher orientalischen Tonskalen klangen fremd für westliche Ohren. Also beschloss er, die griechischen Texte ins Englische und Deutsche zu übersetzen, in westliche Genres und auf moderne Instrumente zu übertragen. In Blues und Moll, mit Gitarre und Schlagzeug, statt mit Bouzouki und Doubeleki. Nach dem Erscheinen eines Debüt-Albums konnte Ronig auch in Griechenland Erfolge mit seiner besonderen Art des Vortrags feiern.

Ja, und ein solches Ergebnis bekommen wir auch mit dem aktuellen Doppel-Album "Heavy Seas At The Cape Of Good Hope" auf zwei CDs präsentiert. Die Aufnahmen entstanden während der Zeit des Lockdowns in Athen.

Wie man ferner der Presse-Info entnehmen kann, sei der Sound dieses zweiten Albums urbaner, westlicher arrangiert, es spiegele den Rhythmus der Stadt, changiere zwischen Memphis-Blues, Funk, Indiefolk, traditionellem Miroloi aus Epirus, anatolischen Tonarten, Bauchtanz sowie griechischer Musik der 1960er Jahre, sei aber auch beeinflusst von der Stille während der Lockdowns.

Auf jeden Fall, und das bemerkt man rasch nach den ersten Songs, ist es dem Protagonisten gelungen, Musik vorzustellen, die sich offensichtlich auch recht unterschiedlichen Quellen zu speisen scheint. Ronigs Gesang wirkt speziell, mit sonorem Ausdruck, ein wenig dunkel gefärbt. Einige Passagen erinnern mich auch an die lässige Art eines Lou Reed, und die Musik ist auch nicht zwingend auf ihn als singenden Frontmann ausgerichtet, sondern wirkt durch das Zusammenwirken aller Elemente. Eigentlich befinden sich auf der ersten CD tatsächlich nur sechs Songs (#2, 4, 6, 8, 10, 12), denn diesen jeweils voran gehen Aufnahmen verschiedener Geräuschkulissen, wie auch als Songtitel angegeben. Man hört Glocken, Autolärm, Gewitter etc., es handelt sich um Soundschnipsel aus der Lockdown-Zeit in Athen: Stille U-Bahnstationen, an denen ratternd die Züge vorbeifahren, leises Vogelgezwitscher auf den Hauptstraßen der Stadt – und dann wieder mehr Leben, als die Beschränkungen langsam aufgehoben werden, ein Akkordeonspieler in der Metro, die Durchsagen der Fähre auf dem Weg zu den Inseln, die nun wieder regelmäßig angefahren werden.

Und wenn "All That We Share These Days" dem ersten Titel folgt, dann wird mit der Gitarre eine klar nach Griechenland zu verortende Melodie vorgegeben. Eine Hammondorgel schiebt sich dazwischen und der lasziv dahin dümpelnde Rhythmus schaukelt sich angenehm in die Gehörgänge. Ein Chor und ein Piano verstärken die Stimmung, somit wurde sogleich ein Zeichen gesetzt mit diesem Song und was zu erwarten ist für den Rest der ersten Platte. Denn grundsätzlich verbleibt es in dieser Stimmung, landestypische Merkmale werden stets in die Kompositionen eingeflochten, vielfach auch durch Gesangsbeiträge. Mitunter geschieht es auch, dass man den Eindruck gewinnen kann, Merkmale des Blues würden verwendet werden, so zum Beispiel mit der Einleitung und dem Thema von "Take It All Away". "Feel The Heat" mit seinem Orgelsound erinnert mich wiederum an The Doors.

Während die erste CD ausschließlich Eigenkompositionen enthält, widmet man sich auf der zweiten CD fünf Coverversionen griechischer Lieder, darunter gibt es mit "Life Goes On" ("To yelasto pedi") einen Song von Mikis Theodorakis. Ferner hören wir mit "Tonight I Drink The Moon" und "Silence Has Been Falling Deep" zwei Stücke von Mimis Plessas sowie "Deep And Silent Sea" von Manos Hatzidakis. "A Woman Like You" stammt von Antonis Diamantidis.

Musikalisch unterscheiden sich die Songs erst einmal nicht wesentlich von jenen der ersten Platte, es spielen weniger und teilweise andere Musiker und mit Andreas Polyzogopulos hat man sich noch einen Trompeter an Bord geholt, der sogleich auf dem zweiten Track, "Deep And Silent Sea" wichtige Akzente setzt und einen Hauch Jazz mit seiner gestopften Trompete einbringt. Bis hierher ist dieser Song mein Lieblingstitel, weil er auch so angenehm dahin schwebt. Darüber hinaus halte ich die Stimmung der zweiten CD für angenehmer und dichter, allerdings auch weniger mit folkloristischen Elementen geprägt, und alles bekommt einen dezent bluesig-jazzigen Anstrich.

Ja, und somit ist es gelungen, eine wirklich sehr individuelle Fusion zwischen Rock, Folklore und hin und wieder etwas Blues Rock zu vollziehen, sicher auf diese Weise einmalig im Ergebnis!


Line-up Christian Ronig, CD 1:

Christian Ronig (vocals, backing vocals, acoustic guitars, keys)
Paraskevas Kitsos (double bass, electric bass, electric guitars, drums, backing vocals)
Michalis Kavvadias (electric guitars)
Vassilis Stefanopoulos (keys)
Yannis Poupoulis (electric guitars)
Giannis Papagiannoulis (percussion)
Aggeliki Toubanaki (vocals – #4)

Line-up Christian Ronig, CD 2:

Christian Ronig (vocals, blues harp, percussion)
Paraskevas Kitsos (bass, guitars, Moog, percussion)
Giannis Aggelopoulos (drums, percussion)
Stathis Anninos (piano, keys, Moog, percussion)
Andreas Polyzogopulos (trumpet)

 

Tracklist "Heavy Seas At The Cape Of Good Hope":

CD 1:

  1. Akadimia Platonos, Athens, 3rd April 2020
  2. All That We Share These Days
  3. Athens Metro, 18th January 2021
  4. Going Home
  5. Panepistimo, Athens, 4th April 2020
  6. Take It All away
  7. Akadimia Platonos, Athens, 4th April 2020
  8. Feel The Heat
  9. Saronic Gulf, 2nd July 2021
  10. Heavy Seas At The Cape Of Good Hope
  11. Athens, Downtown, 28th October 2020
  12. I’ll Come For You
  13. Athens Metro, 6th March 2021

Tracklist "Heavy Seas At The Cape Of Good Hope":

CD 2:

  1. Tonight I’ll Drink The Moon
  2. Deep And Silent Sea
  3. Silence Has Been Falling Deep
  4. A Woman Like You
  5. Life Goes On

Gesamtspielzeit: 26:17 (CD 1), 17:48 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Wolfgang Giese

Hauptgenres: Jazz, Blues, Country
Über mich: Althippie, vom Zahn der Zeit geprägt, offen für ALLE Musikstile
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Mail: wolfgang(at)rocktimes.de

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