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Cinema / The Discovering Of Time – CD-Review

Cinema - The Discovering Of Time

Jürgen 'Pöngse' Krutzsch lädt wieder einmal ein zum Kinobesuch. Im letzten Jahr erst veröffentlichten wir das Review zur Sireena-Neuauflage seines 1985er Werkes Isolation. Mit "The Discovering Of Time" geht es nun um das neueste Album seines Projektes Cinema, das wieder zusammen mit Freundin Brigitte Grafe an Technik und Mixing erstellt wurde.

Die Namen der an dieser Platte Beteiligten lassen vorab bereits erahnen, dass aus dem Vollen geschöpft wurde. Grobschnitt Urgestein und Mastering Legende Eroc übernahm das Mastering, sodass klanglich schon mal alles in sicheren und trockenen Tüchern ist.

Aber auch die Mitmusiker sind nicht ohne. Neben Dauergitarrist Benjamin Peiser (Wolfman Blues Orchestra, Billy Ray & The Wild), gibt es mit Christian Schwarzbach und Jörg Dudys zwei weitere Leadgitarristen. Ihre Referenzen sind (bei Dudys) die Julia Neigel Band, Nena, Xavier Nadoo, Reamon sowie Wolfgang Niedecken und bei Christian, einem »der gefragtesten Studio- und Livemusiker Deutschlands«, ZZ Top, Jethro Tull, Bobby Kimball oder Glen Hughes

Drummer Dirk Brand bedient ansonsten das Schlagwerk bei Axxis, arbeitete aber auch schon mit Größen wie Charlie Mariano, Deborah Watson, Gloria Gaynor, Weather Girls, Catharina Valente sowie Geoff Downes und John Wetton).

Hauptprotagonist von Cinema ist der ehemalige Krautrocker, der Ex-Tibet Gitarrist Jürgen 'Pöngse' Krutzsch. Nach Tibets Auflösung 1980 wandte sich Pöngse mit Cinema elektronischer Musik zu. So erschien dann im Jahr 1984 das erste, "Cinema" benannte Album. Es folgten das bereits erwähnte "Isolation",  Loopings und The Magix Box.

Im Gegensatz zu anderen Künstlern der Elektronik-Richtung war bei Cinema auf den mir bekannten zwei Alben stets auch mindestens eine Gitarre im Einsatz. Auf vorliegender Scheibe sind gleich vier Sechsaiter sowie in einem Track auch ein echtes Schlagzeug zu hören. Klar, die vier Gitarren sind in verschiedenen Nummern mit verschiedenen Aufträgen unterwegs. Eine guitar army auf einer Platte dieser Couleur zu erwarten, wäre wohl vermessen.

Nein, auch auf "The Discovering Of Time" läuft die gewohnte Kopfkino-Musik und man entdeckt hier und da schon Ecken, die den edlen Staub des krautigen Rocks aus Pöngses alten Zeiten beherbergen. Die Tracks auf dem Album lassen auf der einen Seite das Abdriften mit geschlossenen Augen in andere Sphären zu, bieten aber andererseits, auch gerade der Gitarren wegen, immer Momente, um zu staunen, wie scheinbar gegensätzliche Stile doch so perfekt harmonieren.

So kommt der Gitarreneinsatz von Benjamin in dem treibenden "Riding The Iron Horse" einem eruptiven Saitengewitter gleich, während auf "Frozen Time" Christians Saitenspiel eher an eine Mischung aus Pink Floyd und Saitenzauberer gemahnt. Willkürlich passiert das aber nicht, denn die Kompositionen schreien in ihrer Vielseitigkeit geradezu nach unterschiedlichen Spieltechniken an den Sechssaitern. Ein Umstand, der dieser Platte mit Sicherheit auch bei denjenigen, die ansonsten eher keine elektronische Musik hören, Punkte einbringt.

Die angesprochene Vielseitigkeit führt z. B. bei "Lost In Space" etwas in den alten Alan Parsons-Kosmos, wirkt hypermodern und Neonlicht-durchflutet, im mit (elektronisch erzeugter?) jazziger Trompete veredelten "Big City Night" und nähert sich auf "The Children Of Syria" fast schon monumentaler Filmmusik.

Einzig "Springtime" will mir nicht so beigehen. Dem schon eher poppigen Grundtenor, der mich an alte Filmmusik im Stil eines Francis Lai erinnert, kann auch Dudys Gitarre nicht das mitgeben, was das Stück für mich retten könnte. Aber gell, das ist subjektives Empfinden und mit Sicherheit wird es welche geben, die genau den Song mögen. Mich reißt da eher die thematisch und spieltechnisch verwandte Kombi "Melting Ice" und "Diving Into The Devil’s Hole" vom Hocker. Letzteres schön durch Dirk Brand mit echten Hieben durchsetzt.

Man könnte jetzt spekulieren, ob "The Discovering Of Time" einem Konzept folgt, indem man versucht, die aktuelle politische Weltlage mit den Songnamen abzugleichen. Das ist bei einem rein instrumentalen Album allerdings schwer bis unmöglich. Belassen wir es daher beim audiophilen Kinobesuch und bei dem, was jeder Hörer für sich daraus macht. Ich empfehle da einen gemütlichen Sessel, einen guten Kopfhörer sowie einen alten Aberlour – wohl temperiert – und dann ab auf die Reise …


Line-up Cinema:

Jürgen 'Pöngse' Krutzsch (looping, programming, keyboards, guitar)
Brigitte Grafe (programming, mixing)
Benjamin Peiser (lead guitar – #1)
Christian Schwarzbach (lead guitar – #3,6,10)
Jörg Dudys (lead guitar – #2,4)
Dirk Brand (drums – #7)

Tracklist "The Discovering Of Time":

  1. Riding The Iron Horse (5:11)
  2. Lost In Space (7:20)
  3. Frozen Time (7:44)
  4. Springtime (4:39)
  5. Big City Night (4:05)
  6. Melting Ice (4:36)
  7. Diving Into The Devil’s Hole (5:05)
  8. The Children Of Syria (4:52)
  9. Down To The Caves Of No Return (6:41)
  10. The Discovering Of Time (6:01)

Gesamtspielzeit: 56:40, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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