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City / Die letzte Runde – Digital-Review

City / Die letzte Runde - CD-Review

»Und wenn die letzte Stunde schlägt, dann sind wir kurz mal weg«, singt City-Frontmann Toni Krahl hoffnungsvoll in "Wir haben Wind gesät". Das Lied ist eines von 24 auf dem Album "Die letzte Runde". In biographischen Zügen verkündet die Doppel-CD in repräsentativer Auswahl den Abschied und lässt zurück auf fünf Jahrzehnte bewegte Bandgeschichte blicken. Nach exakt 50 Jahren nimmt die Berliner Band also endgültig Abschied von der Bühne. Die letzte Stunde wird unwiderruflich ihrem Namen gerecht. Das ist konsequent, das ist ehrlich. Die vier Musiker Toni Krahl (72), Fritz Puppel (77), Georgi 'Joro' Gogow (73) und Manfred Hennig (70) haben längst das Alter der Rockerrente erreicht. Es ist zugleich ein klares Bekenntnis zu ihrem Freund und Musikerkollegen Klaus Selmke. Der Schlagzeuger war 48 Jahre Teil von City und erlag am 22. Mai 2020 einer Krebserkrankung. Ihm ist "War gut" gewidmet. Es ist das abschließende Lied auf dem Platte. Wenn man so will, wird damit das Licht unter 50 Jahre für immer ausgeknipst.

"Die letzte Runde" enthält im ersten Teil dreizehn Neukompositionen. Im zweiten Teil erklingen City-Klassiker, die zu einem großen Teil von Gastmusikern interpretiert werden. In zwei Fällen hören wir Neukompositionen gemeinsam mit den Berliner Symphonikern noch ein zweites Mal. Das betrifft das bereits erwähnte "Wir haben Wind gesät" und "Die Sonne geht auf". Die Doppel-CD, die RockTimes digital vorlag, ist ein emotionaler Rundumschlag, der beim Hören deutlich macht, was uns mit City fehlen wird. Wenn es eine erfolgreiche Rockband aus der früheren DDR gibt, die musikalisch überaus lange aktiv und kreativ war und sich mit ihrer Haltung nicht verbiegen ließ, dann ist es das Quartett um den charismatischen Sänger Toni Krahl. Zwischenzeitlich war das Ensemble durch den Keyboarder auf einen fünften Musiker angewachsen. Manfred Hennig ist bis heute fester Bestandteil der Berliner Rockband.

Musikalisch kann "Die letzte Runde" durch den Mix aus älteren und neuen Stücken punkten. City klingen aber immer dann am besten, wenn die Akteure ihren Part selbst übernehmen. Bei "z.B. Susann" aus dem Album "Casablanca" (1987) gibt es mit AnNa R., der früheren Rosenstolz-Sängerin und aktuellen Gastsängerin bei Silly, zur Abwechslung eine Frauenstimme. Sie meistert ihren Part souverän und demonstriert, dass es sich lohnt, bei ihr genauer hinzuhören. "Gute Gründe" stammt wie der Titelsong und "Wand an Wand" ebenfalls aus "Casablanca".

Sänger Henning Wehland (H-Blockx) und Gitarrist Herr Petereit (Rockhaus, Silly) rocken "Gute Gründe", während Ex-Puhdys-Sänger Dieter 'Maschine' Birr "Casablanca" in eine farblose Nummer ohne Emotionen verwandelt. Ausgerechnet das Stück, das einer Platte, die wegen ihrer freizügigen Texte DDR-Rockgeschichte schrieb, den Namen gab. Was aber ist das, mag man dagegen bei der darauf folgenden Darbietung fragen. Die Berliner Symphoniker ergänzen den Auftritt von Matthias Reim. Mit seiner Version von "Wand an Wand" liefert der Schlagersänger eine faustdicke Überraschung.

Es folgt mit einer Länge von 7:27 Minuten "Am Fenster" (1977). Ganz im Original, untermalt allein von Orchesterklängen. Es ist bis heute die bekannteste Komposition der Band, die von den Textzeilen aus der Feder von Hildegard Maria Rauchfuß und dem Spiel von Georgi Gogows Violine lebt. Als Gogow aufgrund von Spannungen City für zehn Jahre verlassen hatte, übernahm Toni Krahl am Mikrofon den Part, indem er einem Luftballon nach und nach die Luft entzog. Darüber berichtet er neben vielen anderen Anekdoten aus einem Rockerleben in Toni Krahls Rocklegenden. Für die Produktion des Klassikers gab es 1978 in der damaligen Bundesrepublik Deutschland und in Griechenland jeweils Goldene Schallplatten.

Die neuen Produktionen können alle überzeugen, wobei einzig der Opener "Die Hymne (Come Together)" bei mir als nicht so typisch für City durchgeht. Den Charakter einer Hymne hat ebenfalls "Klarer Fall (Born in the GDR) " Als Gast überzeugt Vollblutmusiker und Sänger Dirk Michaelis, während Dieter 'Maschine' Birr bei diesem Lied sein Können abruft. Mehr Rock’n’Roll geht nicht. Dennoch bekommt man hier Gänsehaut.
Glanzstücke sind "Wir haben Wind gesät", "Die Sonne geht auf" und "Die glorreichen Zwei." Wie bei City typisch, lassen sich Musik und Text nicht voneinander trennen. Es gab externe Texter und Komponisten – den Hauptanteil leisteten jedoch Fritz Puppel (Musik) und Toni Krahl (Text).

"Aus der Ferne 2.0" liefert aus meiner Sicht den Beweis, dass es durchaus Stücke gab, die keinen Deut schlechter waren als "Am Fenster", die eben nur nicht diesen Bekanntheitsbonus hatten – Georgi Gogow (Musik) und Toni Krahl (Text) lieferten bei "Aus der Ferne" (Originaltitel, 1978) ein meisterhaftes Gesellenstück ab. Eine wunderbare, zeitgemäße Auffrischung erfahren "Meister aller Klassen", Es ist unheimlich heiß" und "Der King vom Prenzlauer Berg", alle zwischen 1976 und 1978 entstanden, in "Die erste Runde – Medley". In ihnen steckt der Geist der City Rock Band, wie die Formation in den Anfangsjahren kurze Zeit hieß (neben City Band Berlin). Bei den eingeschworenen Fans gab es keine zwei Meinungen: City waren Kult. Im Medley ragt "Meister aller Klassen", dessen Frischzellenkur überaus gelungen ist, noch einmal heraus.

In "Wir haben Wind gesät" heißt es außerdem: "Es gibt nichts, das uns hindert, besser zu sein." Immer auch ein Stück Perfektionismus, bis zum Ende der langen Karriere. So wie in diesem Lied, das einfach gute Laune beschert. Viele Andeutungen aus der eigenen Vergangenheit erklingen. Somit ist das Doppelalbum "Die letzte Runde" ein sehr persönlicher Rückblick auf die lange Bandgeschichte von City. Daneben erscheint ein Buch zur Bandgeschichte, während viele Fans auf der im Herbst anstehenden Tour ihren ganz persönlichen Abschied begehen werden.


Line-up City:

Toni Krahl (Gesang, Gitarren)
Fritz Puppel (Gitarren)
Georgi Gogow (Violine)
Manfred Hennig (Keyboards)

With:
André Kuntze (Keyboards)
Roger Heinrich (Schlagzeug)
B. Deutung (Cello)
AnNa R. (Gesang – #16)
Ritchie Barton (Keyboards – #16)
Uwe Hassbecker (Gitarren – #16,19)
Jäcki Reznicek (Bass – #16)
Julia Neigel (Backgroundgesang – #16)
Leo Vaessen (Schlagzeug – #16)
Dirk Michaelis (Gesang – #14,17)
Dieter "Maschine" Birr (Gesang – #14,19)
Matthias Reim (Gesang – #20)
Henning Wehland (Gesang – #18)
Herr Petereit (Gitarre – #18)
Berliner Symphoniker (Orchesterbegleitung – #20,21,22,23)

Tracklist "Die letzte Runde":

CD 1:

  1. Die Hymne (Come Together) (4:19)
  2. Tanz mit mir (3:31)
  3. Wir haben Wind gesät (5:38)
  4. Die Sonne geht auf (3:30)
  5. Is' soweit (3:51)
  6. Ticket nach Athen (5:00)
  7. Die glorreichen Zwei (4:45)
  8. Apokalypso (2:58)
  9. Ja, ich lebe (2:56)
  10. Aus der Ferne 2.0 (4:00)
  11. Du hast mich berührt (3:40)
  12. Nach Hause (3:54)
  13. Mit offenen Armen 4:12)

CD 2

  1. Klarer Fall (Born in the GDR) (4:23)
  2. Die erste Runde – Medley (7:51)
  3. Z. B. Susann (Berlin) (4:32)
  4. Glastraum (4:08)
  5. Gute Gründe (3:00)
  6. Casablanca (3:34)
  7. Wand an Wand (3:52)
  8. Am Fenster (7:27)
  9. Wir haben Wind gesät (5:38)
  10. Die Sonne geht auf (3:32)
  11. War gut (4:11)

Gesamtspielzeit: 51:53 (CD 1), 51:48 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

1 Kommentar

  1. Marco Schuster

    Hallo Mario,

    man liest deinen Beitrag und merkt: Da kennt sich einer gut aus!
    Herkunftsmäßig "bedingt" dem (Ost)-Rock gut gewogen, schwingt auch bei dir sicher immer ein gewisser Stolz mit, wenn man über "unsere" Bandgeschichten was berichten kann und sich auch die abgelieferten Werke der Bands nicht verstecken müssen, was musikalische Qualität angeht. Da sind einfach "Könner" am Werk, textlich wie kompositorisch.
    Du schaffst es auch mit diesem Bericht sicher, einige vom Hören bzw. Kauf des Albums zu überzeugen oder zumindest neugierig zu machen!
    Gut recherchiert, detaillierte Hintergrundinfos, Titelanalysen, auch wenn es den einen oder anderen gibt, der die Stücke völlig anders empfindet, was ja legitim ist. Daumen hoch!

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