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City – Konzertbericht, 24.11.2022, KuK, Gera

City in Gera

Wenn es heißt, Abschied zu nehmen, muss es wohl auch einen Trennungsschmerz geben. Tritt eine Band nach 50 Jahren ab, dann verstärkt diese lange Zeit diesen Eindruck. So zumindest die Theorie. Beim Konzert der Band City am 24. November 2022 im Kultur- und Kongresszentrum (KuK) in Gera blieben die trüben Gedanken weitestgehend auf der Strecke. Um es vorweg zu nehmen: Die Band lief zur Hochform auf, während Musiker und Publikum sich immer wieder zu Höchstleistungen anspornten. Sänger Toni Krahl, der in der Vergangenheit gern mal mit längeren Moderationen auffiel, leitete schnell zu neuen Titeln über. Nach 135 Minuten Konzertdauer wurden die Akteure auf der Bühne gefeiert, klatschten Krahl & Co. ihre Fans ab und alles sah nach einer versöhnlichen Trennung aus.

Vielleicht kommt der Schmerz erst nach dem 30. Dezember, wenn beim letzten Konzert in Berlin symbolisch der letzte Vorhang fällt. Denn dann ist es traurige Realität: City wird es fortan live und im Studio nicht mehr geben. Das Drehbuch zum Bühnenabschied konnte man sich im Vorfeld gut ausmalen: Fünf Musiker versuchen ihr Publikum abzuholen, indem sie möglichst viele bekannte Lieder spielen – Hits einer Band, die zeitlos und damit für die Ewigkeit geschrieben wurden.

Abschied von der Bühne

Abschied von der Bühne

Die Musiker von City sahen es an diesem Abend gar nicht ein, auf Wehmut zu setzen. Sie ließen dafür keine Gelegenheit, indem sie ein Feuerwerk der Rockmusik zündeten. Viele Hits wurden neu eingespielt, in einigen Fällen zauberte das Keyboard eine Klassikbegleitung hervor. Dieses Gefühl kennen all jene Zuhörer, die City im Sommer mit Orchesterbegleitung erlebt hatten. Zwar ist dies die Paradedisziplin schlechthin, doch Abstriche waren deshalb in der Hallenvariante nicht auszumachen. "Freude schöner Götterfunken" läutete instrumental das Konzert ein, was inhaltlich schon einmal eine Ansage war. Die Musiker waren bei ihrem Auftritt derart fokussiert, als entscheide sich hier die Zukunft der Band.

Dabei war der Abschied lange zuvor beschlossene Sache.  Es ist ein Abschied mit Ansage. Nach einem neuen Album (Die letzte Runde) und einer Buchveröffentlichung (Einmal wissen, dieses bleibt für immer) jeweils in der Mitte des Jahres verabschiedet sich die Band nach 50 Jahren von der Bühne. Während des Konzertes ließen es Sänger Toni Krahl und seine Kollegen noch einmal richtig rocken. Rock ’n' Roll contra Abschiedsschmerz schien das Motto gewesen zu sein. City ließen bei ihren Hits kein Jahrzehnt aus. "Achtung, tieffliegende Gitarren", kündigte der 73-jährige Sänger Titel an, die auf ein Leben vor "Am Fenster" deuten, wie beispielsweise "Meister aller Klassen" und "King vom Prenzlauer Berg". "Am Fenster", das bekannteste Stück der Berliner, erklang wenig überraschend am Ende des Konzertes.

Das aktuelle Album und das Konzeptalbum "Casablanca" (1987), das dank seiner freizügigen Texte als Meilenstein der DDR-Rockgeschichte galt, gaben bei den Kompositionen den Ton an. Einer der Höhepunkte war der Vortrag des Liedes "War gut", das dem 2020 an Krebs verstorbenen Schlagzeuger Klaus Selmke gewidmet ist. Hier waren großformatige Aufnahmen auf einer Leinwand zu sehen. Die Szenerie war angetan, große Gefühle zu zeigen. Der "General", wie Toni Krahl den Mann an der Schießbude nannte, war nicht nur aufgrund seiner Spielweise barfuß eine stattliche Person.
Das darf man getrost jedem Bandmitglied bescheinigen, allen voran Gitarrist Fritz Puppel, aber auch Georgi Joro Gogow, dem Mann für Bass und Violine. Das Konzert war reich an emotionalen Momenten, darunter beispielsweise "Sind so kleine Hände" aus der Feder von Bettina Wegner. Es war ebenfalls ein Fall für pure Gänsehaut.

Gitarrist Fritz Puppel (links) und Sänger Toni Krahl

Gitarrist Fritz Puppel (links) und Sänger Toni Krahl

Auf dem jüngsten Album "Die letzte Runde" sind bekannte Kollegen als Gäste vertreten, die Toni Krahl alle gern mit auf Tour genommen hätte. »Aber das war mit unserem Budget nicht zu machen«, erntete er ein leichtes Gelächter vom Publikum. Also schlüpften er und seine Musiker gedanklich selbst in diese Rolle, wie bei "z.B. Susann", das von der Band Silly und Sängerin AnNa R. interpretiert worden war. Das Original ist auf "Casablanca" enthalten und war wie der Titelsong und "Wand an Wand" zu hören.

Die Liedfolge vermittelte das gute Gefühl, dass die Protagonisten des Abends dem Publikum so viel wie möglich Musik präsentieren wollten. Das kam an, denn kurzweiliger und unterhaltsamer hätte ein Konzertabend nicht sein können. Professionell waren Sound und Bühnenoptik im Saal aufgestellt. Das Funkeln in den Augen vieler Zuhörer hatte gezeigt: Es war ein versöhnlicher Abschied zum Genießen. Vielleicht auch deshalb, weil man schnell zu der Erkenntnis gekommen war, dass hier Künstler konsequent handeln. Einmal aus Respekt vor Klaus Selmke, aber auch aufgrund der Altersstruktur.

Von City wird viel zurück bleiben. Vorrangig die Gewissheit, dass es eine Band gab, die sich zu keinem Zeitpunkt verbiegen ließ. Weil sie sich nichts vorschreiben ließen, nahm ich die Formation fast immer wie eine Nischenband auf. Der Mainstream nahm die Berliner nicht auf. Schließlich bleibt die Feststellung, dass Haltung und Courage ebenso Bestandteile waren wie passende Musik und die entsprechenden Texte. "Am Fenster" war das Aushängeschild, aber "Casablanca", "Unter der Haut" und Co. enthielten viele Kompositionen, deren Botschaften zwischen den Zeilen steckten. Die Abschiedsvorstellung von City in Gera war eine Glanzleistung im Zeichen anspruchsvoller Rockmusik, eine Gute-Laune-Party statt Frust und Katerstimmung.

Ein besonderer Dank von RockTimes geht an Ina Nowakowski von der Multiart-Agentur und an Marie-Luise Reber von Semmel Concerts für den freundlichen Support und die Bereitstellung der Fotoakkreditierung.

Fotos: ©Mario Keim


Line-up City:

Toni Krahl (Gesang, Gitarren)
Fritz Puppel (Gitarren)
Georgi Gogow (Violine)
Manfred Hennig (Keyboards)

Gast:
Roger Heinrich (Schlagzeug)


 

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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