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City Weezle / N° 2 – CD-Review

City Weezle / No°2

Wow, was ist das denn Schräges? So oder so ähnlich muss es geklungen haben, als City Weezles "N° 2" den Weg aus dem Briefkasten der Chef-Redaktion in den Player fand. Verblüffung ja, aber keine Abschreckung! Das könnte was für den schrägen Neuen sein. Ist es auch, sagt der schräge Paul, der spätestens nach dem zweiten Song weiß: Dieses Werk ist eine Offenbarung.

Wir sprechen von Rock Fusion – rein technisch gesehen – wenn wir über City Weezle sprechen.
Wenn man eine Band bislang nicht kannte, kann man sich einen ersten Überblick verschaffen, wenn man nachschaut, worauf sich die Musiker beziehen bzw. auf welche Wurzeln sie für sich selbst verweisen. Im Falle von City Weezle sind das Faith No More, Mr. Bungle, Primus, King Crimson, The Melvins und Frank Zappa. Respekt! Angesichts solcher Referenzen darf man sich auf spannende Abenteuer fernab vom Mainstream freuen. Und tatsächlich findet man sich in einer Gemengelage wieder, die man so nicht sehr häufig antrifft.

Grob gesehen orientiert sich City Weezle am Jazzcore, der jazzige Momente mit Elementen des Punk und des Metal verbindet. Immer wieder begegnen uns aber auch klassische Passagen des progressiven Rocks und ein perlender Swing, mitunter zusammengehalten durch wahrhaft zappaeske Verschachtelungen und Brüche. Die Lebensader aber durch das gesamte Album ist der beinhart geile Groove. Garniert wird diese wilde Fahrt von den aberwitzigen Vokal-Parts, über die gemäß beiliegender Presseschau ein italienisches Blatt bereits mutmaßte, der Gesang stamme unzweifelhaft aus einer forensischen Klinik. Das trifft es recht gut und korreliert sehr fein mit den Texten, die die Band im Internet dem Hörer als besonders lustig und lesenswert anpreist. Sie weist aber ebenfalls darauf hin, dass diese Texte für das Grundverständnis der Musik nicht notwendig sind, sondern eher für eine zusätzliche Ebene der Erquickung sorgen sollen. Das hab ich denn, exemplarisch an der grandiosen zweiten Nummer, "The Underground Of Europe", mal näher betrachtet. Lustig zu lesen ist das schon, aber nur im Bezug auf einen genial bösen Wortwitz und einen giftgrün, galligen Humor. Denn im Inhalt geht es um knallharte gesellschaftskritische Themen – sensationell aufbereitet und von entlarvender Schönheit. Dazu komme ich noch.

"N° 2" heißt das Album, weil es die zweite LP nach dem 2010er Album "Taboo" darstellt und sozusagen den zweiten Start der Band markiert, die wegen der geografischen Entfernung bedingt durch die unterschiedliche Herkunft der Musiker eine lange Pause einlegte. Bandgründer Simon Fleury stammt aus Irland, weitere Bandmitglieder aus Japan, Deutschland und auch Frankreich. City Weezle haben darüber hinaus in der Vergangenheit zwei Demos und eine EP produziert.

Abschnitt 1 – die Europäische

Bevor der erste Teil des Albums präsentiert werden soll, lohnt ein kurzer Rückblick auf "Taboo", das vor gut zehn Jahren den als Quellen genannten Bands Mr. Bungle und Primus deutlich ausgeprägter zugewandt war und von daher noch deutlich avantgardistischer klingt als "N° 2". Wenn man die ungewöhnlichen Stilmittel dieser Musik einmal verarbeitet hat, erschließt sich nämlich eine durchaus ergreifende Harmonie aus der Gesamtkomposition, die man im ersten Moment niemals erwartet hätte – ein klassisches Merkmal großer progressiver Bands wie zum Beispiel Van der Graaf Generator, deren Werke man sich auch erst einmal erarbeiten musste. Dann aber ist die Wucht der Wirkung umso größer.

Krasse Lead Vocals und Choräle aus den Tiefen neurotischer Verwirrungen dominieren den wilden Auftakt, der Rest passt sich irgendwie an.
Doch dann zu "The Underground In Europe", der ultimativen Abrechnung mit imperialistischem Faschismus: »Adel steht im Stammbaum und das Königtum liegt uns im Blut, das wir seit Jahrhunderten vergossen haben. Denn blaues Blut ist wahres Blut. Wir glauben an Gerechtigkeit und segeln in fremde Länder. Um sie von der Wildheit zu befreien und ihnen zu helfen zu verstehen, dass die Gabeln nach links gehen und die Messer nach rechts gehen.«

Jesus, was haben sie einst in Deinem Namen getan? Sie tun es heute noch, nur unter einer neuen Flagge. Als barbarische Terroristen den Leuten die Köpfe abschnitten, überschlugen sie sich in Verachtung. Natürlich zu Recht! Sie vergaßen lediglich, dass die Rüben-Reduktion keine Erfindung fremder Kulturen war und ist. Kreuzzügler waren kopfabtrennungstechnisch schon vor tausend Jahren recht effizient und hinter dem vorgehaltenen Kreuz konnte man rein nebensächlich recht erträgliche Reichtümer erbeuten. Was heute zurecht als Barbarei gescholten wird, ist doch auch Teil der europäischen Geschichte und damit ein Stück unseres gesellschaftlichen Fundaments. Auch wenn es tausend Jahre her ist. Geil dazu das metaphorische Cover, wo auf der Vorderseite das gestylte Weezle dem dezenten Kunden als Ober eine Glosche kredenzt. Doch auf der Rückseite wird der Deckel der Glosche gelüftet und es erscheint eine Substanz, die eine dem Essen eher als Gegenteil bekannte Substanz zu enthalten scheint. Ein Scheißhaufen, wenn Ihr mich fragt. Eine geniale Entblößung spießig traditioneller und jahrhundertelang gewaltbereiter Kultur – eine Fassade aus Gold, unter der sich nur Übelriechendes verbirgt. Wie geil und wie mutig! Wie sagt der König im Song so schön? »Meine Ritter werden den Bauern beschützen! Solange er seine Steuern blecht!«

Die Queen persönlich erfährt auch gelegentlich Erwähnung. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man sich mit der Geschichte der Windsors befasst, die sich heute noch hinter ihrem Pomp verstecken und im Hintergrund in seltsamen, sogenannten Think-Tanks agieren. Da freut sich ein alter sozialistischer Demokrat, dass es Künstler gibt, die zumindest in Bildern das ansprechen, was eigentlich die Welt beschäftigen sollte. In unserem Land würden sie bestimmt mit der Nazi-Keule erschlagen. Andere Kulturen sind uns vielleicht ein bisschen voraus. Übrigens, die Passage mit dem Text »hold, hold, hold, hold…attack« erweckt bei mir schmerzhafte Assoziationen an den Stellungskrieg um Verdun. Der sakrale Abschluss brennt das alles noch tiefer ein: »In Nomine patris et filii et spirutus sanctus – amen«.

Wem anderen als Italien soll "Maestro Mafioso" wohl gewidmet sein? Hier möchte ich den musikalischen Aspekt in den Vordergrund stellen. Es ist nämlich ein erklärtes Ziel der Band, dem geneigten Zuhörer eine möglichst vielseitige und abwechslungsreiche Handschrift zu präsentieren. Stilistische Feinheiten an diverse Kulturen orientiert als Nachweis eigener Losgelöstheit. Das stilistisch eingeflochtene mandolinenartige Spiel weckt romantische Eindrücke, diese werden aber durch mächtig krachende Breaks gleich wieder zerbröselt. Und dann schält sich aus all dem plötzlich ein elektrisierendes Gitarrensolo heraus wie aus einer göttlichen Intervention. Meine Fresse, ist das jetzt geil. Wieder diese sakrale Orgel am Ende, die Jungs spielen mit Stimmung und Atmosphäre, wie ich es selten erlebt habe.

"Crimson Jig", die karmesinrote Schablone ist die einzige instrumentale Nummer auf dem Album und ich kann nicht umhin, sie als eine Anspielung auf eine ähnlich betitelte Band zu betrachten. Die wunderbar abgestimmte Rhythmik passt perfekt dazu. Gut, dass Bass und Drums aus Japan stammen. Da gab es sicher Abstimmungsmöglichkeiten.
Die Entstehungsgeschichte des Albums beläuft sich übrigens auf etwa vier Jahre, hier ist wirklich nichts dem Zufall überlassen worden. Die teilweise fast orientalische Perkussion ist irgendwie der Träger zwischen den mitreißenden Stimmungsbildern im Song. Die Nummer bietet übrigens sehr schöne durchgängige repetitive Hooks, die wir nur hier finden. Ein schöner und sicher gewollter Stilbruch, vielleicht eine Hommage? Ich weiß es nicht.

Abschnitt 2 – die Amerikanische

Eintönig monotone Hooks und metalaffine Riffs eröffnen den amerikanischen Teil des Werks. Hier wird der Blues als Bezugsgröße eine größere Rolle spielen, auch wenn in "She’s A Stomper" erst einmal eher Krawall angesagt ist. Passend dazu die teilweise gegrölten Vocals.
Und dann ist wirklich Blues Time. Musikalisch! "Even Weezles Get The Blues". Der Text ist aber eher eine herrlich Persiflage auf das ewige Thema von Verlust und Frust: Ach Else, wieso bist Du abgehauen, jetzt sauf ich mir die Birne zu und eigentlich brauch ich doch nur irgendeine Frau. Egal welche. Böse, böse!
Der schicke Wechsel zwischen Jazz und Blues wie in einer Rauch geschwängerten und nach Bier stinkenden Spelunke in New Orleans wird hier gigantisch vom Piano getragen.

Wer jetzt nach all den komplexen musikalischen Bezügen und anspruchsvollen Texten eine Verkopfung der Musik befürchtet, liegt völlig falsch. Der durchgängig lässige Groove sorgt für Spaß – selbst da, wo die Themen knifflig werden. City Weezle sind in erster Linie eine musikorientierte Band, die den Spaß in den Vordergrund stellt. Den Spaß beim Einspielen hört man in jeder Sekunde heraus und die Musiker werden nicht müde zu betonen, wie sehr sie sich auf die post-coronöse Zeit freuen, um ihre Nummern endlich live vorzutragen. Wer die Improvisationsfreudigkeit jazzorientierter Combos kennt, sollte bei dieser Ankündigung große Freude empfinden.

Ach ja, "Eskimo Pie" wirkt auf mich wie eine böse Satire auf den Untergang der Titanic. Aber auch ich hab mitunter gefährliche Entgleisungen im Kopf. Das Piano ist trotzdem wieder sehr geil.

"Cluedo" beschließt das Album und mir fällt ein, dass ich das gleichnamige Spiel nie gespielt habe. Aus einem groovenden Swing entwickeln sich plötzlich heftige Gitarren-Gewitter mit metallenen Tendenzen, rifforientiert und klaren Hooklines folgend. Die folgenden Breaks haben ein wenig von den anarchischen Wechseln in der Mitte von Genesis' "Supper’s Ready". Die wechselnden Gesänge liegen ebenfalls in diesem Trend. Mal Chöre, mal schräge Soli, dann wieder Monologe.
Hier aber swingt es jetzt, dass ich mich weniger im Spiel Cluedo, als in einem der zahlreichen klassischen Siebzigerjahre-Hollywood-Filmen wähne – die hatten oft wirklich rasante Soundtracks. Tarantino kann das übrigens auch. Das Tempo und die Intensität nehmen noch einmal zu.
Und dann ist irgendwie mittendrin Feierabend. Es dauert annähernd drei Minuten der Stille, bis eine Stimme ertönt. Jetzt völlig von allen Effekten befreit: »Oh, was it me? Pouh!«

Am Ende fasse ich mich (endlich) kurz. In der Welt zwischen Rock und Jazz herrscht Fusion. Das kann übersichtlich sein oder wild und virtuos. Und wenn es obendrein witzig böse sein kann, werden noch mehr Rezeptoren für Lustgewinn getroffen. Und die Musik erscheint mir irgendwie wie ein Gesamtkunstwerk, das auch mit schauspielerischen Passagen auf die Bühne gebracht werden könnte. Die Texte gäben das allemal her. Ich hoffe inständig, dass nicht erst in zehn Jahren retrospektiv beschrieben werden wird, welch ein geniales Meisterwerk City Weezle 2020 hingelegt haben. "N° 2" ist nicht mehr und nicht weniger als das, ein Meisterwerk. Ein schräges halt…


Line-up City Weezle:

Simon 'The Vocal Viking' Fleury (guitar, vocals, banjo)
Kengo 'The Bass Samurai' Mochizuki (bass)
Axel 'Wunderkind' Steinbiss (keyboard)
Ai 'The Drum Ninja' Uchida (drums)
Pierre Schmidt (guitar)

Additional Musicians:
CSL Parker (piano and arrangement -# 1-3 harpsichord – # 2)
Pierre Schmidt (guitar – #1-3,5,8)
Tommy Buckley (guitar solo – #4,8, arrangement – #1,7)
Pedro Lacasa and Jasmina Barra (vocals – #3)
Etienne Gaillochet (arrangement – #5)
Patrick Dalton (sax – #8)
Richard Rudkins (organ – # 2,3)
Gael Leprince Caetano (percussion – #3,4)
Gautier Serre (electro magic – #8)
Hamish Brewster (additional recording)
Benoit Vibes (silence)

Tracklist "N° 2":

  1. Captain Introspective
  2. The Underground In Europe
  3. Maestro Mafioso
  4. Crimson Jig
  5. She’s A Stomper
  6. Even Weezles Get The Blues
  7. Eskimo Pie
  8. Cluedo

Gesamtspielzeit: 58:18, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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