Diese Platte verdient allein schon wegen ihrer Begleitumstände besprochen zu werden – aber ich verspreche schon jetzt, dass die Musik dem nicht nachsteht. Und wer wie ich beim Titel ans Fressen denkt, liegt völlig falsch.
"Omelette Du Fromage", cooler Titel denke ich mir und freue mich auf Musik, die sich von einer Speise hat beeinflussen lassen, die auch ich sehr schätze: Käse-Omelette eben.
Pustekuchen! Der Name leitet sich von einer Comic-Folge ab, von der ich vorher nie gehört hatte und in der ein Dexter versucht, per Schallplatte im Schlaf Französisch zu lernen. Doch die Platte hat einen Sprung und am nächsten Morgen kann Dexter nur noch drei Worte sprechen: »Omelette Du Fromage«. Damit wird er weltberühmt, indem er überall Reden hält, in denen jene Worte in Endlosschleife wiederholt werden. War wohl alternativlos, der liebe Dexter und die ein oder anderen öffentlichen Personen bekennen sich ja auch zu vielen Worten und es kommt am Ende doch nur Käse heraus.
Auch die Entstehungsgeschichte des Albums ist absolut außergewöhnlich. Dabei musste ich selbst erst einmal nachlesen, dass die Kernband, Closet Disco Queen, sich aus zwei Musikern der schweizer Noise- und Math-Rockband Coilguns zusammen setzt, nämlich Luc Hess am Schlagzeug und Jona Nido an der Gitarre. Letzterer ist gleichzeitig Gründer des Hummus-Labels, welches auch diese Platte produziert hat. Für dieses Projekt verstärken sie sich mit Kevin Galland (auch aus dem Dunstkreis von Coilguns) und dem diplomierten Bassist Chadi Messmer, die somit beide zusammen den Part The Flying Raclette übernehmen.
Motiviert wurde das Projekt von den Veranstaltern des Palp-Festivals, welche eine Serie von abgefahrenen Musik-Events in exponierten Umgebungen der Schweizer Berge organisiert und diese gerne mit der Kulinarik der jeweiligen Umgebung verbindet. So quartierten sich die vier Musiker in einem hoch gelegenen kleinen Kaff namens Bruson am Nordhang der westlichen Walliser Alpen in einer leer stehenden Schule ein, wo binnen 20 Tagen das Album fertiggestellt wurde. Im Dorf gibt’s übrigens ein Raclett' House mit sehr guter Bewertung, erklärt vielleicht den Namen der Band-Erweiterung.
Da wäre wenigstens eine Parallele zum 'essbaren' Fromage.
"Melolo-Aromatomat", was für ein irrer Titel. Klingt wie eine kongolesische Abwandlung auf Ottos 'Tomato-Brotomat' aus den Siebzigern, aber da dürften die betreffenden Musiker noch nicht zugegen gewesen sein, daher werden sie vermutlich das segensreiche Gerät zur Zubereitung eines schönen Tomatenbrotes nicht kennen. Krachende eintönige Riffs setzen sofort Akzente. Grummelnd speedige Bässe, wildes Schlagzeug und zwei Gitarren, die voll auf Energie setzen. Düster und bedrohlich wie die hohen Felswände der Berge und der eisige Wind der Gletscher. Es wird nicht das einzige mal bleiben, dass mich die Musik an ihre Entstehung beziehungsweise den Ort derselben erinnern wird. Völlig überraschend taucht der Song bei Halbzeit etwas ab in dunkle beängstigende Tiefen eines psychedelischen Ambientes, wo der Zuhörer den Urängsten seines Wesens begegnen kann – wenn er mag. Eine gespenstisch schöne Sequenz, die dann ganz behutsam, fast ein wenig postrockig wieder Fahrt aufnimmt und in den Ausgangsriffs kulminiert. Geiler Automat, dieser Song.
Die unglaublich monotonen rhythmusbestimmenden Riffs in "Glutentag" mit ihren nur minimal ausschwärmenden Harmonien erinnern an den einsilbigen Dexter und seine drei Worte. Die geschickte Verschmelzung unterschiedlicher Kreise, die man wohl dem Math Rock zuspricht, hält jedoch eine sehr spezielle und faszinierende Spannung aufrecht, zumal der ganzen Nummer ein kaum spürbares und doch wirksames Crescendo unterliegt.
Hab ich schon erwähnt, dass es sich um ein Instrumental-Album handelt? Das passt aus meiner Sicht hervorragend zu den für sich selbst sprechenden, hoch energetischen Klangwänden, die so mächtig sind wie die Berge, in denen sie entstanden sind. Die Musik legt selten Wert auf Solo-Exzesse, ihre Wirkung entfaltet sich aus der Dramatik des Zusammenspiels.
Im Spannungsbogen des Albums folgen nach dem brachial ausgereizten Auftakt nun mehrere kurze Nummern, die wie in "Goussepaille" auch mit rhythmischer Akrobatik aufweisen können, der Song explodiert nach ein paar eher traditionellen Hooklines geradezu unter rhythmischen Verwerfungen konträrer Linien und Riffs. Noise Rock und wilde Arithmetik des Math, aber immer dicht herum um die Komposition. Die Stücke bleiben weitgehend bei sich und nehmen sich keine Zeit, mal über die Bergspitzen zu schauen.
Doch die Show ist erst vorbei, wenn die dicke Frau gesungen hat. Am Ende wartet "Gigadodane". Was immer hinter diesem Wortspiel steckt, giga wird es, im Bereich Stoner und Psychedelik dürfte diese Nummer mein Highlight 2021 werden, mehr als zwölf satte Minuten lang.
Hypnotischer Beat köchelt ganz dezent eine eigenartige Stimmung auf, so als ob drüben über den Bergen ein Wetter aufkommt. Der Bass setzt ein und verdunkelt das Firmament. Spärlich und kaum wahrnehmbar lädt im Hintergrund sechssaitiges Ungemach seine Energiefelder auf. Es ist Intensität, die hier entsteht, langsam und unaufhaltbar, dramatisch wie ein Naturereignis. Man weiß, dass der Sturm kommt.
Die gesamte Nummer ist nichts anderes als ein Monster-Jam. Eine Gitarre führt uns mit tiefen gedehnten Tönen hinein ins Gewitter, während die andere im Hintergrund mit elektrisierenden Phrasen die Luft immer mehr und mehr zur Aufladung bringt. Ich sehe mich mit der Gretel vor einer einsamen Berghütte sitzend, voller Spannung und gleichzeitig Entspanntheit ob des gigantomanischen Naturschauspiels, fasziniert und verschreckt zugleich.
Und dann die ersten befreienden Riffs, das Getöse von Blitz und Donner hat uns erreicht. In diesem Mittelteil wirkt die treibende Entladung ein wenig artverwandt mit den Landsleuten von Monkey 3. Die Szenerie beruhigt sich ein wenig und nimmt einen neuen Anlauf, der ebenfalls in ekstatische Riffs mündet. Und dann die totale Befreiung hinein in grandiose Stoner-Lines, ein fettes Freak-out, das uns am Ende alle aus dem Sturm ans Licht führt, machtvoll, gewaltig und krachend.
Diese Aufnahme ist ein Statement und man spürt in jeder Sekunde, dass sie quasi live eingespielt wurde. Wer zwischen Stoner und Noise unterwegs ist und hier und da auch ein paar postrockige Attitüden mag, wird voll auf seine Kosten kommen. Der klassische Naturfreund übrigens auch. Schon das schöne Video zu "Melolo-Aromatomat", hat da einiges zu bieten, besonders berührend in der ambienten Passage, wo über einem Standbild mit einem Kiesboden und einem toten Maulwurf, wenn ich das richtig erkannt habe, faszinierende Naturbilder gerade in die Dunkelheit des Tierkörpers überblendet werden. Und auch die Collage auf dem verstörend verrückten Cover hat allerhand tierische Anspielungen parat, so nicht nur zwei kopulierende Pandas, sondern auch ein fröhlicher flotter Dreier von Hut bewehrten Nilpferden. Aber auch das Spiel mit der Kulinarik kommt nicht zu kurz, die Raclette-Zutaten wie Silberzwiebeln oder Gewürzgurken finden wir in verfremdeter Weise. Genau diese Zutaten gehören übrigens zu einem Computerspiel, welches zur Platte erschienen ist. Dafür ist der Rezensent aber zu alt.
Geiler Humor, wie schon bei den Wortspielen in den Songtiteln.
Dass man sich übrigens mit The Mars Volta als Inspiration befasst hat, war von Beginn an ein weiterer Pluspunkt für mich. Doch so ungeordnet geht es gar nicht zu auf diesem Album, der Flow ist allgegenwärtig und genau da spüre ich eben den Einfluss der archaisch alpinen Umgebung auf die Musik. Aber ich hab das auch schon bei anderen (norwegischen) Musikern so zu erkennen geglaubt, die das völlig anders sahen.
In diesen Tagen des frühen Novembers gibt es im Rahmen des Palp-Festivals übrigens eine Veranstaltung namens "Alpine Cheese Market" in Bruson, wo das Album entstand, und dort kann man sich in traumhafter Umgebung tatsächlich mit den lukullischen Spezialitäten der Umgebung ausstatten, direkt beim Bauern des Vertrauens.
Ach ja, der Weißwein der Region soll übrigens auch recht gut sein.
Line-up Closet Disco Queen & The Flying Raclette:
Closet Disco Queen:
Jonathan 'Jona' Nido (guitar)
Luc Hess (drums)
The Flying Raclette:
Kevin Galland (guitar)
Chadi Messmer (bass)
Tracklist "Omelette Du Fromage":
- Melolo-Aromatomat
- Glutentag
- Flugensaft
- Goussepaille
- Spartacuisse
- Flugantaj Raketoj
- Gigadodane
Gesamtspielzeit: 38:58, Erscheinungsjahr: 2021
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