Manchmal ist es schon verblüffend, wie viele neue hörenswerte und faszinierende Bands auftauchen, bzw. darauf warten, entdeckt zu werden. Im Fall vom ColdCell frage ich mich, wieso ich die bisher verpasst habe…
Denn die 2008 in Basel gegründete Band hat bisher zwei Scheiben veröffentlicht, nämlich "Generation Abomination" (2013) und "Lowlife" (2015). Ich lerne sie nun mit der "Those" erst kennen, eine Scheibe, die mir wieder einmal zeigt, wie interessant sich
Black Metal mittlerweile entwickelt hat, bzw. was Bands wie ColdCell Faszinierendes daraus machen können. Neben dem oldschooligen, möglichst fiesem Gerumpel gibt es verschiedene atmosphärische Varianten, seien sie Cascadian Black Metal, Post Black Metal oder auch Atmospheric Black Metal genannt. In beiden Bereichen existieren einige herausragende Formationen und andere, die auf hohem Niveau dem Trend folgen, aber keine neuen Akzente setzen können.
Immer wieder schaffen es Bands, mich zu beeindrucken und auch ColdCell gehören dazu. Als Orientierungshilfe würde ich sie mal grob in die Richtung Bölzer (ebenfalls Schweizer) und Secrets Of The Moon einordnen, jedoch ohne eine Kopie der Genannten zu sein. Dazu sind die Baseler zu individuell, zu eigenwillig, stufen sich selbstironisch als 'Swiss-German Extreme Rock’n’Roll' ein.
Doch nicht nur die Musik ist weit entfernt von billigem Black Metal, auch bei der Namensgebung haben die Schweizer sich Gedanken gemacht: ColdCell hat eine Doppelbedeutung. »Einmal als konstruierte, gezüchtete Zelle, produziert und gebraucht für (massenhaft) industrielle Zwecke: der Mensch als einzelnes Rädchen im System. Und zweites die Zelle als Metapher für Isolationshaft des Individuums, verloren in der Masse, keinen Anschluss findend.«
Kommen wir zu "Those": Schleppend düster geht es mit "Growing Girth" los, die Bösartigkeit wächst mit Einsetzen des Schlagzeugs und der Stimme, dann steigert sich auch die Geschwindigkeit. Anfangs angedoomter Black Metal mit interessanter Rhythmik wird hier geboten, immer wieder variiert das Tempo.
Schon beim zweiten Stück "Entity I" werden einzelne ruhige Passagen eingestreut, teilweise recht unheimlich gestaltet, als Kontrast zu den schwarzmetallischen (Wut-) Ausbrüchen.
Solche Einlagen gibt es ebenfalls im weiteren Verlauf. So beginnt beispielsweise der mit fast zwölf Minuten überlange Track "Tainted Thoughts" mit Midtempo, drosselt sich dann im Mittelteil (nach mehr als vier Minuten) in fast schon akustisch wirkende harmonische Gefilde, um dann gegen Ende die Düsterkeule auszupacken und schließlich sinister davonzukriechen.
"Entiy II" fängt zart an, wird dann sehr stimmungsvoll und doomig. "Drought In The Heart" bietet hingegen fieses Keifen und stellenweise Raserei, das Ganze eingebettet zwischen faszinierenden sanften Parts.
Insgesamt passt sich die Stimme der musikalischen Atmosphäre an, ist oft eher dezent bösartig, teilweise wirkt sie sogar beschwörend, manchmal jedoch bricht der Zorn heraus.
Das Spiel mit Gegensätzen ist die Stärke von ColdCell, schleppende Stellen wechseln mit Geschwindigkeitsanfällen, dazwischen gibt es immer wieder abgefahrene, teilweise fast schon psychedelische Momente.
Hier wird ein zynischer Blick auf die Welt in Klänge umgesetzt: Wahnsinn und Morbidität, Moderne und Entfremdung, Digitalisierung und Isolierung, Suche nach Hoffnung und Verbindung – sind Gegenstand der Betrachtung.
Dazu passt, dass "Those" kein Textblatt enthält (schade eigentlich, die Lyrics hätte ich durchaus gerne gelesen), sondern im an alte Fotorahmen angelehnten Frontcover drei herausnehmbare Karten enthält. Ungewöhnlich, doch stilvoll. Die Musiker kürzen ihre Namen alle ab, sodass eine gewisse Anonymisierung vorhanden ist. Auch dass sie auf Fotos nicht zu erkennen sind ist mit Sicherheit ein gewollter Aspekt für den Gesamteindruck.
"Those" ist eigenwillig, düster, zeitweise böse – und weiß damit (mich) zu beeindrucken. Klare Empfehlung an alle, die Black Metal verbunden mit Atmosphäre mögen.
Line-up Coldcell:
S (vocals)
Ath (guitar)
In (bass, samples, backing vocals)
aW (drums)
w 4 (guitar)
Tracklist: "Those"
- Growing Girth (7:54)
- Entity I (2:53)
- Seize The Whole (5:46)
- Tainted Thoughts (11:48)
- Sleep Of Reason (5:30)
- Entity II (4:01)
- Drought In The Heart (7:30)
- Heritage (9:11)
Gesamtspielzeit 54:38, Erscheinungsjahr 2017
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