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Colosseum / Live 05 – CD-Review

Colosseum / Live 05 - CD-Review

Gereifter Wein für die Ewigkeit

Dieses Jahr wäre Jon Hiseman 80 Jahre alt geworden. Wie so viele Koryphäen der rockmusikalischen Popularmusik wurde er um das Ende des zweiten Weltkriegs herum geboren und gehörte jener glorreichen Generation an, die als British Invasion einen gänzlich anderen Eroberungsansatz wählte als es die Irren taten, gegen die sich nicht nur Großbritannien zwanzig Jahre zuvor hatte erwehren müssen.

Aus einer musikalischen Familie stammend professionalisierte sich der junge Hiseman bereits Mitte der 1960er Jahre und ersetzte niemand Geringeren als Ginger Baker in der Graham Bond Organization, der seinerseits kurz darauf mit der Mutter aller 'Supergroups' (Cream) durchstartete. Zwei Jahre später landete Hiseman bei John Mayall & The Bluesbreakers, bei denen wiederum zwei Jahre zuvor Creams Gitarrist Eric Clapton zum 'Gott' aufgestiegen war und gründete noch im selben Jahr seine eigene, jazzig progressiv ausgerichtete Combo Colosseum, in der auch sein Schulfreund Dave Greenslade involviert war.
In einem kurzen Zeitraum von lediglich dreieinhalb Jahren erwarb sich das Kollektiv von Hochbegabten einen Legendenstatus bei Kennern, denen die Stones dann doch zu simpel waren.

23 Jahre später fand die Gruppe in der Besetzung ihrer Auflösung wieder zusammen und feierte eine (musikalisch) triumphale Rückkehr, welche auch in neuen Studioplatten gipfelte. 2004 verstarb der so großartige wie eigensinnige Dick Heckstall-Smith, so dass Jon Hisemans Ehefrau Barbara Thompson, mit der er seit 1967 verheiratet war, bei Colosseum einstieg.
Anlässlich des 2003er Studioalbums Tomorrow’s Blues wurde fleißig getourt und es entstand zum Einstand der leider auch bereits verstorbenen Barbara Thompson der Doppeldecker Live05, aufgenommen in Stuttgart, Worpswede (Künstlerdorf in Niedersachsen nahe Bremen) und Innsbruck, der zunächst ausschließlich bei Konzerten angeboten, dann 2010 an Ruf Records lizensiert wurde und jetzt in einer limitierten Neuauflage von Repertoire Records auf den Markt gebracht wird, untergebracht in einem Pappschuber und mit einem völlig neuen Booklet versehen, das voll und ganz 80 Jahre Jon Hiseman gewidmet ist und Bandkolleg*innen, alte Weggefährten und auch seine Tochter zu Wort kommen lässt.

Der Inhalt der zwei Silberlinge ist allerdings identisch, überspielt von den Originalmasterbändern. Gut so, denn die zwei Scheibletten klingen – gerade im Zeitalter des Loudness Wars – angenehm unkomprimiert.

Musikalisch und spieltechnisch ist die Formation hier auf einem späten Höhepunkt ihres Schaffens, insbesondere 'Professor Doktor' Clem Clempson kann sich hier als außerordentlich filigraner und inspirierter Saitenheld gerieren, der er nie sein wollte und somit wohl für immer ein Geheimtipp bleiben wird, trotz Legendenstatus durch seine Mitwirkung bei u.a. Humble Pie.

Der Verfasser dieser Zeilen hat diese Tour damals in der Oldenburger Kulturetage erleben dürfen und die guten Erinnerungen trügen nicht … ein traumwandlerisch aufeinander eingespieltes Ensemble mit virtuoser Raffinesse, dem unnachahmlichen Humor und Gesangstalent von 'The Voice' Chris Farlowe, zelebrierte Konstruktionen wider des Simplizismus wie die Valentyne Suite oder "Lost Angeles", geerdeter Blues in Gestalt des Schlachtrosses "Stormy Monday Blues" und ein, es muss an dieser Stelle explizit nochmals erwähnt werden, für seine Verhältnisse geradezu entfesselt aufspielender Clem Clempson, vermutlich der unterschätzteste Saitenartist ever.

Fazit:
Neuer Wein in alten Schläuchen?
Vom neuen Booklet und Design abgesehen natürlich schon, aber dieses tolle Live-Dokument verdient unbedingt eine Wieder- und/oder Neuentdeckung, da eine gereifte Band mit einer musikalisch hochklassigen Performance in einer ebenbürtigen Klangqualität für die Ewigkeit festgehalten ist. Und auch wenn Colosseum heutzutage immerhin noch mit drei damals beteiligten Musikern unterwegs sind und an guten Tagen die alte Magie aufflackern lassen können … ihr Kopf, Kapitän und Steuermann in Personalunion ist unersetzlich, was durch diese Wiederveröffentlichung eindrucksvoll wie schmerzhaft demonstriert wird.


Line-up: Colosseum

Jon Hiseman (drums)
Barbara Thompson (saxophone)
Dave Greenslade (hammond organ, electric piano)
Clem Clempson (guitars, vocals)
Mark Clarke (bass, vocals)
Chris Farlowe (vocals)

Tracklist "Live05":

Disc 1:

  1. Showtime (0.34)
  2. Come Right Back (5.00)
  3. Theme for an Imaginary Western (6.35)
  4. Lights (0.32)
  5. Rope Ladder to the Moon (8.35)
  6. The Valentyne Suite
    • January’s Search (6.46)
    • February’s Valentyne (5.09)
    • The Grass is Always Greener (11.09)

Disc 2:

  1. Those About To Die (5.00)
  2. Stormy Monday Blues (10.14)
  3. No Pleasin' (7.50)
  4. Tomorrow’s Blues (12.10)
  5. Drum Intro To Lost Angeles (2.57)
  6. Lost Angeles (16.24)

Gesamtspielzeit: 99:01, Erscheinungsjahr: 2024 (2007/2010)

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

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