«

»

Colosseum / Live At Montreux Jazz Festival & At The Boston Tea Party – 2CD-Review

Colosseum / Live At Montreux Jazz Festival 1969

Teil 1 einer Hommage an eine Band, die die Stilelemente von Jazz, Rock und Blues fusionierte, zur Perfektion herauf beschwor und bis heute ein Maßstab ihrer Musik geblieben ist.

Ich habe nicht immer die Gunst der frühen Geburt. Als Rockmusik geboren wurde und vermutlich bis heute die tiefsten Sporen in den kulturellen Humus meines Daseins trieb, war ich ein Dreikäsehoch. Würde ich heute alle meine Vorlieben eines langen Lebens von bald sechzig Jahren zusammenfassen, müsste ich zwangsläufig bei einer Band landen: Colosseum

Inspiriertester Jam-Rock mit ganz viel Blues und Jazz, der durch seine Melange natürlich auch progressive Bedürfnisse befriedigt, mehr kann man in meinem persönlichen Spektrum von Musik einfach nicht leisten. Damals war ich zu jung und habe erst Anfang der Achtziger über das sensationelle "Live"-Album Kontakt gefunden. "Lost Angeles" war eine meiner Lieblingsnummern – damals und auch heute noch. Doch die spannenden Gründertage, die sind an mir vorbei gegangen und so bin ich froh und glücklich, dass wir bei RockTimes auch private Kontakte intensiv pflegen. Mein lieber Freund und früherer Kollege Manni hat mir aus seinen persönlichen Erfahrungen vermitteln können, er war damals schon am Ball. Und er hat mir die spannende Geschichte über die zwischen den Kontinenten unterschiedlichen Versionen der "Valentyne Suite" erzählt, hier bei uns im Archiv nachzulesen. Dort berichtet Manni auch in einzigartig empathischer und vor allem authentischer Weise über die Anfangstage der Band, darum möchte ich Euch gern auf diesen Bericht verweisen, da findet Ihr die Geschichte, wie sich die Band einst gründete.

Repertoire Records hat uns einen unschätzbaren Gefallen erwiesen und aus den Gründertagen einer einzigartigen Band einige wundervolle Konzerte, die bis dahin nur als Bootlegs einst auf dem Markt zu haben waren, in einem fantastischen Sound neu aufgelegt und das klassische Wunderwerk der Band um ganz markante Versionen erweitert. Sollte ich Euch verraten, dass Eroc (in Zusammenarbeit mit Clem Clempson) die Platten remastert hat?  Was er aus Grobschnitts Rockpalast-Auftritt gemacht hat wird ihn für alle Zeiten unvergesslich machen. Ihn, den Meister des perfekten Sounds.

Es ist schwierig, sich einem Paket von fünf Platten zu nähern, die allesamt den Anspruch auf historisches Kulturgut erheben dürfen. Wie wirst Du dem gerecht?
Ich hab mich dafür entschieden, die Reviews zu dritteln und beginne mit Phase Eins der Band, als Clem Clempson und Chris Farlowe noch nicht dabei waren.
Es gilt zwei Konzerte zu betrachten, beginnend mit einem legendären Jazz-Festival in der Schweiz.

Colosseum – Live At Montreux Jazz Festival 1969

"The Valentyne Suite". Hier möchte ich ausdrücklich noch einmal auf Mannis Review von 2006 verweisen, der den Wert dieser einzigartigen Komposition schon damals heraus stellte. Irre ich mich, wenn ich in dem genialen Georgel von Dave Greenslade Vorboten dessen erkenne, was ein Jon Lord später perfektionierte? Klassische Zitate und Bruchstücke aus zeitgenössischen Songs. Hier bekommen wir es nicht zum letzten Mal mit "A Whiter Shade Of Pale" und "Sunshine Of Your Love" zu tun. Während dieser Nummer bewegen wir uns übrigens auch ein Stück weit auf Focus-Gelände, auch wenn die erst ein Jahr später ins Geschehen eingriffen. Sie haben anscheinend gut zugehört.

Wenn Dick Heckstall-Smith im Mittelteil, dem Februar der January-February-March-Oriented-Suite den Chefsessel besteigt, haben wir gelegentlich Anspielungen auf einen Song der Zukunft zu vernehmen. Verrat ich jetzt noch nicht, denn im nächsten Moment spielt er herzergreifend und dahin schmelzend das Thema aus "A Whiter Shade Of Pale". Da darf die Orgel nicht schweigen und übernimmt wirklich geil. Ein klassisches Duo zwischen Sax und Orgel gibt uns ein paar Momente Barock und eine Hookline aus "Satisfaction", bevor der Punk abgeht. Die finalisierende Gitarre ist echt nicht von schlechten Eltern. Manni sagt sinngemäß, diese Suite ist so etwas wie das non plus ultra – was soll ich sagen Manni? You' re right!.

"Mandarin" ist ein einzigartiges Spielfeld für einen Bass – und es wird bespielt, wie ich es nie zuvor gehört habe. Ich dachte immer, die wilden Exkursionen von Tim Bogert bei Beck, Bogert & Appice wären da nicht zu schlagen. Meinen Stuben-Mitbewohner im Studium haben sie fast ins Irrenhaus getrieben – ich fand’s gut. Tony Reeves schert sich einen Teufel drum und phrasiert minutenlang auf höchstem Niveau. Wer hat jemals den Bass zu solch virtuosen Verrenkungen aufsteigen lassen? Maximal fällt mir da Chris Squire von Yes ein.
Und der Spannungsbogen wird eloquent aufgebaut bis hin zu ekstatischen Entladungen. Boah, geil – sagt man hier im Pott.

"Butty’s Blues" entspricht seinem Namen und begleitet uns durch mehrere Konzerte, allerdings nur, solange James Litherland an der Gitarre agierte. Später finden wir die Nummer nicht mehr. Der Blues groovt fließend, Dicks geile Saxophone treiben uns durch ein Imperium aufschaukelnder Klangteppiche und wütender Drum-Schläge. Eine stürmische See, würde ich sagen. Butty kommt übrigens aus Manchester, was ich als Liverpool-Fan nicht so gerne höre. Er hat Glück, denn er kann sich eine große Schnauze (sprich, ein vordergründiges Spiel) erlauben, die Orgel trägt und stützt ihn geradezu kameradschaftlich. Was für eine Nummer.

Und wann immer "Machine" im Titel eines Colosseum-Songs erscheint, dann wird ganz viel getrommelt. Jon Hiseman versteht sich darauf allerdings auch extrem trefflich.

Colosseum – Live At The Boston Tea Party 1969

Colosseum – Live At The Boston Tea Party 1969

Colosseum / Live At The Boston Tea Party 1969

Zwei Monate nach dem legendären Montreux-Festival durften sich die virtuosen Briten in den fernen Staaten versuchen. Das Konzert bei der Boston Tea Party war schon damals ein großer Erfolg, der komplette Set ist beim einschlägigen Video-Anbieter im Netz schon lange vorhanden. Das hat aber mit der Tonqualität dieser CDs rein gar nichts zu tun. Eroc und Clem Clempson haben überwältigende Arbeit geleistet.

Dick findet so oder so seinen Groove für das geile Solo in der Mitte – ganz allein vor dem Volk. Hat eigentlich in der Geschichte der Rockmusik schon jemand so ein geiles Saxophon gespielt? David Jackson bei Van der Graaf Generator vielleicht?
Doch dann findet so etwas wie eine unsichtbarer Staffelübergabe vom Sax zur Gitarre statt und der Song scheint sich fast selbst zu überholen. Der Blues fängt sie am Ende alle ein.

Dann wieder was "Machine"-artiges. Ein Schlagzeugsolo, üblicherweise bei Konzerten der Moment, wo ich pinkeln gehe. Ich muss aber zugeben, dass Jon eine überwältigende Performance hinlegt.

"Valentyne" wird dann in allen Koordinaten vorgestellt, mit den jeweiligen Hauptakteuren, die da sind: Organ, Saxophone, Guitar. Eine herrliche Komposition, die sich der stilistischen Möglichkeiten ihrer Protagonisten sicher ist. Und was ist das für eine Orgel? Minutenlang kreiseln wir hin und her, alles verdichtet sich und am Ende hab ich den Eindruck, das Zwischenstück von "Child In Time" erreicht zu haben. Colosseum haben viele Dinge voraus gedacht und Dave orgelt sich echt die Haut von den Fingerkuppen. Dass sie in solchen Momenten hin und wieder ein wenig wie Rare Bird klingen – wobei man geschichtlich korrekt sagen müsste, dass letztere am Ende wie Colosseum klangen – macht mich an dieser Stelle sehr glücklich. Ich liebe Rare Bird, die zu dieser Zeit (1969) gänzlich auf Gitarren verzichteten und doch einen abgefahrenen Sound in den Soli kreieren konnten. Wo mögen sie das wohl her gehabt haben?

Elegant schwingt sich Dave zu Dicks absolut außergewöhnlichem Saxophon empor, um die Spur für James Litherland zu bereiten. Es ist Zeit für Gitarrensounds, die ausgerechnet durch eine geblasene Hookline aus "Sunshine Of Your Love" bereitet wird. Wer bislang den geilen Sound noch nicht bemerkt haben sollte stellt hier erfreut fest, wie das Saxophon auf der rechten Seite in begleitender Phrasierung verschwindet, während die Gitarre von links attackiert und das Geschehen massiv an sich zieht. Der Saitenpart bleibt vergleichsweise kurz und eine letzte Phrase aus "A Whiter Shade Of Pale", von Moody Blues zwei Jahre zuvor ersonnen, bringt das Ganze auf den Punkt.

Im nächsten Review werden Clem Clempson und Chris Farlowe die Bühne betreten. Es wird der Start sein für eine Karriere, die ihnen den Status einer Supergroup schon damals für alle Zeiten sichern würde.

Interessiert? Dann bleibt dran …


Line-up Colosseum:

Jon Hiseman (drums)
James Litherland (guitar, vocals)
Tony Reeves (bass)
Dave Greenslade (keyboards)
Dick Heckstall-Smith (saxophones)

Tracklist "Live At Montreux Jazz Festival 1969":

  1. January’s Search
  2. February’s Valentyne
  3. Beware The Ides Of March
  4. Mandarin
  5. Butty’s Blues
  6. The Time Machine

Gesamtspielzeit: 43:32, Erscheinungsjahr: 2020

Tracklist "Live At The Boston Tea Party":

  1. Butty’s Blues
  2. The Machine Demands A Sacrifice
  3. The Valentyne Suite
    – January’s Search
    – February’s Valentyne
    – Beware The Ides Of March

Gesamtspielzeit: 49:27, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>