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Colosseum / Live At Ruisrock Festival, Turku, Finland 1970 & Live At The Piper Club, Rome, Italy 1971 – 2 CD-Review

Live At Ruisrock Festival, Turku, Finland, 1970

1970 betrat ein Musiker die Bühne mit Colosseum, der bis heute zu den Größten seiner Zunft gehört. Dave 'Clem' Clempson hab ich erst viel später im Rockpalast wirklich kennen und lieben gelernt, damals an der Seite von Jack Bruce und seinen Friends. Ich bin halt Baujahr 1962! Es muss kurz nach der Rocknacht gewesen sein, als ich mir die Colosseum Live zugelegt habe. "Lost Angeles" wurde für mich neben "America" von Yes zu dem Song nach meiner Schulzeit, ich hab ihn mir bis zur Versauerung reingezogen.

Live At Ruisrock Festival, Turku, Finland, 1970

Die Beziehung zu Jack Bruce zelebrierte Clem Clempson also schon auf diesem Album, stammt doch die erste Nummer zum Teil aus Jacks Feder. Geiler treibender Beat, gurgelnde Orgel – und ein losgelöstes Saxofon. Schnell fallen wir zurück in ein rein gepustetes Solo. Die Spannung baut sich sukzessive auf, da muss doch jetzt was kommen. Dauert eine Weile, doch dann setzt der Beat wieder ein und nun geht in Finnland der Braunbär ab. Oder der Elch. Jon Hiseman köchelt immer noch ein unglaublich erdiges Gebräu. Mr. Clempson schleicht sich mit eintönigen Akkorden ganz langsam heran, doch erst muss das Getaste die Szenerie beruhigen, bevor der Meister der Saiten über ein Zitat auf "Spoonful" ins wilde Geschehen eingreift. Aber dann fliegen die Elchkühe! Clem can.
Herrje, der Gesang klingt für ein paar Sekunden nach Jack Bruce. Das wars dann.

"The Machine Demands A Sacrifice" legt los wie die Feuerwehr, stimmlich eher ein wenig krawallig. Schönes Georgel über einem beschleunigten Blues Rock-Rhythmus befriedigt uns mehr als die gesangliche Leistung. Und dann wird wieder getrommelt. "Machine" steht im Titel, da gibt es immer auf die Felle. "Downhill And Shadows" macht es dem Zuhörer einfacher, das ist ein klassischer Blues. Clem Clempson zeigt hier, was er drauf hat und warum er mit seinem rockigeren und bluesigeren Ansatz wahrscheinlich die beste aller Lösungen in der Besetzung von Colosseum gewesen ist. Der Junge spielt eine Gitarre, das klingt nach den ganz Großen. Irgendwie entwickelt sich tief im Hinterstübchen der Gedanke, dass das Saxofon seit Clems Präsenz ein ganz klein wenig Zurückhaltung übt. Scheiße, Rache kommt sofort. Dick holt zu einer großartigen Keule geblasenen Rock’n’Rolls aus. Die Finnen toben im Hintergrund, als ob die Leningrad Cowboys on stage wären. Nein, die kommen ein paar Jahrzehnte später. Clem lässt sich nicht zweimal bitten und knallt mitten dazwischen. Schön geht sie hier ab, die Post, oder auf finnisch: Siellä on paljon tekemistä. Genau!

Das herrliche, Sternen gleiche Intro zu meinem persönlichen Favoriten, wo ich eigentlich ein Xylophon zu hören glaube (ist aber keines, wenn man das Inlet liest), groovt eloquent ein und der treibende Rhythmus übernimmt die schnelle Fahrt. "Lost Angeles" legt los wie die Feuerwehr, LAFD (Los Angeles Fire Departement) müsste die Nummer eigentlich heißen. Ich liebe diesen Song: Klassischer Jazz Rock, voller Drive und Dynamik. Nur der Gesangspart leidet hier noch. Clem kriegt die Kurve nicht annähernd wie Chris wenige Monate später. So wie ich gelesen habe soll er sich ausdrücklich geweigert haben, prinzipiell zu singen. Wer einmal Chris Farlowe gehört hat, wird ihm zu dieser Entscheidung gratulieren. Dafür spielt er eine göttliche Gitarre, die auch diesen Song so herrlich veredelt. Die Improvisation nimmt gemächlich Tempo auf und steigert sich immer mehr in ihrer unglaublichen Intensität zu einem Inferno wild fliegender Licks über stakkatoartigen Keyboards. Wer ausflippen möchte, hat jetzt die besten Voraussetzungen dafür. Mir spielt der Song immer noch die Haare vom Kopf!

"Walking In The Park" ist eine Power Blues-Nummer mit einem geilen Zwiegespräch zwischen Orgel und Gitarre, bis sich Clem mit dem Versuch eines Scat-Gesangs einbringt und Dick mit dem Saxophon zum Ende gemahnt. Jeder weiß an dieser Stelle, was Chris Farlowe in Zukunft zu tun haben würde. Und dann kam Rom…

Live At The Piper Club, Rome, Italy, 1971

Live At The Piper Club, Rome, Italy, 1971

Live At The Piper Club, Rome, Italy, 1971

Mit Chris Farlowe übernimmt endlich ein großer Künstler den Vokal-Part, der den Instrumentalisten ebenbürtig ist. Seine machtvolle Soul-Stimme passt in das Gefüge der virtuosen Zauberer. In diesen Tagen wird er gerade achtzig Jahre alt, ich gratuliere von Herzen!
Der Auftritt von Colosseum im Rom von 1971 umfasst nur vier Songs und das Konzert geht doch über fast siebzig Minuten. Ui, da muss eine Menge improvisiert worden sein.

Riffiges Georgel fordert die Gitarre heraus – die hält sich aber seltsam zurück. So tasten wir uns reduziert durch das Stück, "Rope Ladder To The Moon", bevor die krachenden Breaks wieder in den Refrain zurück führen. War in Finnland geiler.

Und dann machen wir erste Erfahrungen mit "Skellington", eine jener Nummern, die auf dem legendären Live-Album zu den Krachern gehörten. Hier ist der Sound vergleichsweise zu vorher gehenden Aufnahmen nicht so dolle. Hey, but that’s history! Diese Nummer ist sozusagen ein Ur-Blues. Clem Clempson genießt die Zeit, sich in aller Form auszutoben, lange Zeit ohne jegliche Begleitung. Hey, da brauchst Du schon einen Gitarristen mit Cojones, der so eine lang gezogene Solo-Passage bewältigt. Doch trotz aller Qualität wirds am Ende 'a bisserl zach', wie man in Bayern sagt. Das unsagbar langsam eingeleitete Crescendo mittels des Saxofons (zwischenzeitlich sind da wohl zwei im Spiel) treibt endlich wieder den Pegel nach oben und wir landen glücklich in wild groovenden vokalen Lines, die bluesig befeuert werden. Die Scat-Einlage am Ende benenne ich einfach mal, weil sie da war. Insgesamt hätte man den Song aus meiner Sicht um mehr als die Hälfte kürzen können. Aber ich bin kein Musiker!

Irgendwie scheint diese Scheibe nicht mein Freund zu werden. Der Sound befriedigt mich nicht und die Interpretation der Songs trifft bei mir auch nicht mitten ins Herz. Die Gesänge bei "Tanglewood ’63" hören sich für mich teilweise an wie die Kriegsgesänge der Irokesen, wenn sie in die Schlacht ziehen. Im weiteren elaboriert das Saxofon recht nett und am Ende findet man zu einem Höhepunkt, der an der Stelle für mich nicht passt. Für mich die schwächste Nummer im gesamten Kontext.

Und zuletzt "The Time Machine"? Mehr als zwanzig Minuten für einen Song, der in der Vergangenheit meist vor allem für ein Drum-Solo stand. Ich bin gespannt. Aber das legt sich, denn von Minute 3:30 bis zum Ende nach mehr als zwanzig Minuten wird getrommelt. Na dann.

Vier Konzerte, vier frühe Bootlegs, die endlich offiziell und in angemessener Qualität dem Musikfreund vergangener Tage viel Freude bereiten werden. Doch dies ist nicht das Ende. Denn einen haben wir noch in petto! Wer Colosseum mag, darf sich freuen, denn die geilste Platte kommt noch!

Wir warten mit angehaltenem Atem…


Line-up Colosseum:

Jon Hiseman (drums)
Chris Farlowe (vocals #Rome, 1971)
Clem Clempson (guitar, vocals)
Mark Clarke (bass)
Dave Greenslade (keyboards)
Dick Heckstall-Smith (saxophones)

Tracklist " Live At Ruisrock Festival, Turku, Finland 1970″:

  1. Rope Ladder To The Moon
  2. The Machine Demands A Sacrifice/Drum Solo
  3. Downhill And Shadows
  4. Lost Angeles
  5. Walking In The Park

Gesamtspielzeit: 51:16, Erscheinungsjahr: 2020

Tracklist "Live At The Piper Club, Rome, Italy 1971":

  1. Rope Ladder To The Moon
  2. Skellington
  3. Tanglewood ’63
  4. The Time Machine

Gesamtspielzeit: 67:43, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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