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Dan Penn / Living On Mercy – CD-Review

Dan Penn / Living On Mercy

Unbekannte Legende ohne Rost auf den Stimmbändern, aber am Auto

Alte weiße Männer sind eine Gefahr … eine Gefahr für viele fortschrittliche Errungenschaften des 20ten und bisherigen 21igsten Jahrhunderts, eine Gefahr für den Zusammenhalt von Gesellschaften und den Fortbestand diverser Demokratien.
Auf dem Frontcover von "Living On Mercy" quält sich ein alter weißer Mann ungelenk aus einem fast noch älteren Pick-Up, das unvermeidliche Base-Cap glänzt in der Sonne und wildes Baumgestrüpp symbolisiert ein wild-romantisches Landidyll … willkommen im ländlichen Tennessee. Südstaaten und alte weiße Männer … eine nicht erst tagesaktuell brisant anmutende Mischung.

Nicht so beim fast 79jährigen Dan Penn, der geradezu grotesk unbekannten Muscle Shoals-Songwriterlegende, Mitarchitekt des erfolgreichen Southern Soul der 1960er Jahre und Zeit seines Lebens immer lieber im Hintergrund agierender Katalysator für schwarzamerikanische Erfolgsgeschichten der Marke Aretha Franklin, Solomon Burke, Percy Sledge, James Carr oder der blutjungen Weißbrote The Box Tops mit Alex Chilton. Die Musikdatenbank 'Discogs' listet 1213(!) Beteiligungen am Songwriting und als Arrangeur auf, 111 Produktionen hat Dan Penn zu verantworten, wenn es im Studio mit den Protagonisten seiner Songs nicht so recht voran ging, schritt er gerne mal ans Studio-Gesangsmikro und demonstrierte als Bleichgesicht eindrucksvoll wo der Bartel den Most holt … aber es gab bisher lediglich zwei offizielle Studioalben unter seinem Namen, ergänzt durch ein Live-Album mit seinem Muscle Shoal-Buddy und Songwriting-Partner Spooner Oldham.

Nun erschien Ende August mit "Living On Mercy" der Nachfolger zum 1994er(!) Werk "Do Right Man", und während er bei letzterem noch seine diversen Songvorlagen erstmals selbst interpretiert hatte, gibt es nun ganz frische Kost auf die Ohren … für Vinyl-Liebhaber ab Ende Oktober auch auf Langrille.

Zeit seines Schaffens zog Dan Penn es vor, seine Songs überwiegend in Kooperation mit (mehreren) Kollegen zu schreiben, was auch diesmal bis auf zwei Ausnahmen der Fall ist. Herausgekommen ist dabei eine völlig unaufgeregte Songkollektion altersweiser Zärtlichkeiten, begleitet von Muscle Shoals Veteranen wie Clayton Ivey an den stets durch die Songs führenden Tasten, Will McFarlane an den wohlfeil tönenden Saiten, Nashville-Studio- und Garth Brooks' Haus- und Hof-Schlagwerker Milton Sledge und Joe Bonamassa-All-Star-Bassist Michael Rhodes. Das bürgt für Qualität und so umschmeicheln denn auch die kleinen und großen Alltagsdramen butterweich, melodisch und sehr gefühlvoll die empfindlichen Innenohrhärchen … der vom seit 25 Jahren leider überwiegend üblichen Kompressionsklang etwas abweichende Sound der Produktion tut sein übriges. Lediglich "Clean Slade", "Edge Of Love" und "Soul Connection" schrecken den Rezensenten kurzzeitig von seinem Schwelgen in altehrwürdigen Legenden-Klängen auf und bringen die 'Fußwippe' des geschätzten Kollegen Joachim 'Joe' Brookes zaghaft in Anschlag.

Stimmlich kann die unbekannte Legende auf ganzer Linie überzeugen, auch wenn sich das Alter nicht immer verheimlichen lässt. Interessanterweise geht dem Rezensenten beim Gesangsvortrag das ein oder andere Mal Eric Clapton durch den Kopf – in weicher, weniger knurrig und mit besserer Gesangstechnik ausgestattet. Vielleicht liegt es ja insgesamt an dieser herrlich entspannten Slow-Attitüde.

Und nicht zuletzt unterstützen und würzen gleich drei Background-SängerInnen den Songreigen, der mit "I Do" sogar eine klassische Crooner-Nummer zu bieten hat und bei "One Of These Days" die Background-Ladys an die legendäre Elvis-Lachnummer "Are You Lonesome Tonight?" in Las Vegas 1969 gemahnen lässt, bei der damals eine standhafte Cissy Houston, Mutter einer gewissen Whitney Houston und durchaus Dauergast (The Sweet Inspirations) bei diversen Aufnahmen originaler Dan Penn-Songs (beispielsweise Aretha Franklin), den King völlig aus der Fassung brachte.

Dan Penn lässt sich nicht aus selbiger bringen und beweist mit der Innenhülle seines neuen Albums zusätzlich noch Humor, indem dort ein Bild abgebildet ist, welches Teile seines Grundstücks zeigen dürfte, auf welchem friedlich vier uralte amerikanische Automobile vor sich hinrosten … unterlegt mit den Worten "Rust In Peace" (Rostet in Frieden).
Großartig, gerade wenn in Betracht gezogen wird, dass laut eigener Aussage Autos sein letztes verbliebenes Laster seien … wären doch in seinem Heimatland (und anderswo) deutlich mehr alte weiße Männer so wie Dan Penn!!


Line-up Dan Penn:

Dan Penn (lead vocals, background vocals)
Clayton Ivey (keyboard, B3 – leader)
Milton Sledge (drums)
Michael Rhodes(bass)
Buzz Cason (background vocals)
Cindy Walker (background vocals)
Marie Lewey (background vocals)
Charles Rose (trombone, arrangements)
Doug Moffet (tenor and baritone sax)
Drew White (trumpet)

Tracklist "Living On Mercy":

  1. Living On Mercy (4:41)
  2. See You In My Dreams (3:24)
  3. I Do (3:04)
  4. Clean Slate (4:09)
  5. What It Takes To Be True (3:00)
  6. I Didn’t Hear That Coming (3:41)
  7. Down On Music Row (4:09)
  8. Edge Of Love (3:49)
  9. Leave It Like You Found It (5:00)
  10. Blue Motel (4:51)
  11. Soul Connection (3:35)
  12. Things Happen (3:47)
  13. One Of These Days (3:36)

Gesamtspielzeit: 50:52, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

2 Kommentare

  1. Olaf "Olli" Oetken

    Hey Steffen,

    vielen Dank für Dein Feedback! Du hast es in der Tat auf den Punkt gebracht … "Living On Mercy" ist ein kompaktes, unaufgeregtes, absolut zeitloses (Alters-)Werk innerhalb eines bestimmtes Genres. In so turbulenten Zeiten wie aktuell kann Entschleunigung nur gut sein! Ich empfehle den Erwerb dieses Albums uneingeschränkt, zumal auch der Klang zum genießen ist … heutzutage bei Neuproduktionen eine Rarität.

    Rock on
    Olli

  2. Steffen Nitzsche

    Ich bin durch euch oder Dir "Olli" auf die Platte gestoßen und hat etwas neugierig gemacht. Auf YouTube ist fast alles zu hören und ich bin begeistert. Sicher muss man Fan dieser Richtung sein aber ein sehr kompaktes unaufgeregtes und musikalisch feines Südstaatenwerk. Als Landei so einfach das Richtige für viele Stunden. Ich glaube ich werde mir die Scheibe holen….auch wenn ich ihn leider nie "Live" erleben werde. Schade.
    Das ist Musik, die einfach zeitlos ist und ihre Gemeinde hat….Es muss nicht immer spektakulär sein. Bodenständig ist auch gut. Danke

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