«

»

Daniel Kahn & Jake Shulman-Ment / The Building & Other Songs – CD-Review

Daniel Kahn & Jake Shulman-Ment / The Building & Other Songs – CD-Review

Das ist die »persönlichste und intimste Auswahl an Songs und Gedichten, die ich je aufgenommen habe«. So äußert sich Daniel Kahn, der als Musiker, Schauspieler sowie Theater-Regisseur unterwegs ist und mit Jake Shulman-Ment seit etwa zwanzig Jahren Musik macht. Kahn hat jüdische Wurzeln, ist seit seinem 15. Lebensjahr am Musik machen und studierte später Schauspiel, Regie sowie Dichtung.

Mir persönlich war Daniel bis dato nicht bekannt, sodass ich gerne auf Wikipedia verweise, damit sich ein jeder einlesen kann. Verraten will ich aber, dass man dort über Namen stolpert, die Ehrfurcht vermitteln: Franz Josef Degenhardt, Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Leonard Cohen, Georges Brassens, Bob Dylan. Sein kongenialer Partner Jake Shulman-Ment, dem Kahn attestiert, dass »die Aufnahmen mit Jake sich wie mit einem Bruder anfühlen«, gilt als einer der »finest klezmer fiddlers on the planet« und nun wissen wir, um was es geht: Jiddische Musik. Keine leichte Kost also, zumindest wenn man keinen Experten für dieses Genre mehr in der Redaktion hat und der Rezensent (weil er früher einmal Klarinette gespielt hat) außer einer Giora Feidman-CD keine jüdische Musik (bewusst) im Regal stehen hat. Aber er mag Klezmer und auch die Musik von Tom Waits, Leonard Cohen, Lou Reed, Woody Guthrie, Tom Paxton und Bruce Springsteen.

Die Coverversionen, die sich perfekt neben den jiddischen Stücken einsortieren, bekommen einen total neuen Touch. Nicht nur, weil sie zum Teil in jüdischer Sprache dargeboten werden, sondern auch musikalisch anders arrangiert sind. Besonders das Geigenspiel von Jake Shulman-Ment verleiht das gewisse exotische Flair. Dem Neuling in dieser musikalisch-kulturellen Welt öffnen sich neue Horizonte. Vielleicht auch falsche, denn Velvet Undergounds "All Tomorrow’s Parties" (Morgndike Simkhes") hätte ich ein mittelalterliches Kleid verpasst und den Titeltrack nach Russland transportiert.

Allerdings holt einen das Fiddelspiel immer wieder in Kahns Welt zurück. Und der Künstler schafft es, den beiden Cohen-Stücken "The Future" und "Everybody Knows" seinen Atem einzuhauchen, sie aber beide als von Cohen erkennbar zu lassen. Kahn hat nicht einfach gecovert – vielleicht zitiere ich hier mal den Promoter: »Die Originalstücke, mit denen Kahn aufgewachsen ist, wurden aus den Verwurzelungen in ihren unterschiedlichen Kontexten gelöst, "tradaptiert", und in ein grenzenloses Land verpflanzt, das "Yiddishland" heißt«.

Brechts "Das Lied von der Moldau" schließt sich an (schön, mal wieder einen Text von Brecht zu hören). Es folgt ein traurig wirkendes Instrumental, "Zuchnower Nign" – überhaupt wirkt diese Musik, die mich auch etwas an den Balkan erinnert, sehr tiefgründig, emotional und eher nicht lustig, "Brokhshtiker / Broken Pieces", wieder mit Gesang und schöner Pianobegleitung haut gefühlsmäßig in die gleiche Kerbe. Wer "My Father’s House" vom Boss kennt, weiß ob der Stimmung, die gerade transportiert wird.

Guthries "This Land Is Your Land" ist nahe am Original und gewinnt durch die ungewohnte Sprache enorm an Tiefe. Bis jetzt hatte ich es noch nicht erwähnt, aber "The Building & Other Songs" hat natürlich auch eine politische Komponente. Brecht, Guthrie, aber auch das von Kahn und Christian Dawid geschriebene "Zuchnower Nign" stehen nicht für sonniges Trallala – "Zuchnower Nign" zum Beisspiel »steht für die Epoche sowietisch-jiddischer Poeten, die 1952 in der "Nacht der ermordeten Dichter" in Moskau hingerichtet wurden«.

Paxtons "Home To Me" und vor allem Meister Waits' "Tom Traubert’s Blues" gehören unbedingt auf vorliegende Platte, denn zum einen passen die beiden Musiker in die Schar Kahns »Dichterhelden«, zum anderen sind die beiden Stücke prädestiniert, um hier zu erscheinen.

"The Building & Other Songs" ist intim, ist berührend und öffnet all denjenigen, denen diese Musik neu ist, ein Stück die Tür. Bleibt zu hoffen, dass dies nicht das einzige Soloalbum des Duos bleibt. Ansonsten findet man sie zusammen auch bei der Band The Painted Bird.


Line-up Daniel Kahn & Jake Shulman-Ment:

Daniel Kahn (vocals, piano, accordion, drum, harmonica, buitar, banjo, ukulele, harmonium)
Jake Shulman-Ment (violin, backin vocals)

Tracklist "The Building & Other Songs":

  1. Morgndike Simkhes (All Tomorrow’s Parties)
  2. Der Binyen / The Building
  3. Di Tsukunft (The Future)
  4. Yeder Eyner Veys (Everybody Knows)
  5. Dos Lid Fun Der Molde (Das Lied von der Moldau)
  6. Zuchnower Nign
  7. Brokhshtiker / Broken Pieces
  8. Mayn Tatns Hoyz (My Father’s House)
  9. Dos Land Iz Dayn Land (This Land Is Your Land)
  10. Heym Iz Mir (Home To Me)
  11. Tom Trauberts Kloglid (Tom Traubert’s Blues)

Gesamtspielzeit: 46:27, Erscheinungsjahr: 2023

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
Über mich
Meine Seite im Archiv
News
Mail: ulli(at)rocktimes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>