![David Judson Clemmons / Tribe & Throne](https://www.rocktimes.info/wp-content/uploads/2020/08/david-judson-clemmons-tribe-and-throne.jpg)
David Judson Clemmons kann auf eine erstaunliche Diskographie aus seiner Vergangenheit zurück blicken. Ursprünglich aus Virginia stammend arbeitete der Sänger, Gitarrist und Songwriter seit den achtziger Jahren im Großraum Los Angels mit den Formationen Damn The Machine und Jud prinzipiell im Dunstkreis zwischen Progressive und Metal, war aber auch damals schon immer wieder mal an genreübergreifenden Sounds interessiert. Einige akustische Experimente gehörten zum kreativen Programm.
Heute lebt David, der sich inzwischen um seine Solo-Karriere kümmert, in Berlin und dort hat "Tribe & Throne" auch das Licht der Welt erblickt. Mitten im Lockdown erschien das digitale Album, nun endlich sind auch physische Versionen als CD und LP über die Webseite des Musikers erhältlich.
Den Erwerb kann ich dringend empfehlen für jeden, der sich nicht auf stilistische Diskussionen einlassen möchte und abwechslungsreiche Musik zu schätzen weiß, denn Davids Interpretation ist über Zuordnungen weitgehend erhaben und genau daraus entwickelt sie ihren Reiz.
Inhaltlich sind die sechs Nummern zu einem durchaus düsteren, progressiven Konzeptalbum verwoben und der Titel "Tribe & Throne" steht als Metapher für die gesellschaftlichen, weltweiten Entwicklungen, wo ein Prozent der Menschen (der Thron) fast alles besitzt der große Rest (der Stamm, das Synonym für die Menschheit) mehr oder weniger herum dümpelt. Es ist tröstlich, dass es wenigstens Künstler gibt, die sich mit diesem Zustand auseinander setzen. Die auf Machterhalt und Systembestandsschutz geimpften Medien als Vasallen der Thron-Besetzer versuchen diese Umstände ja weitgehend unter den Tisch zu kehren. David will, dass wir uns damit auseinandersetzen, er will Gefühle erzeugen. Das gelingt ihm außerordentlich gut. Darum ist dieses Album so emotional gestaltet, gleich vom Beginn des Gänsehaut erzeugenden Openers "Our Love Our War" bis hin zum furiosen Ende.
Wie wichtig ihm die Texte in seiner Musik sind, erkennt man an der ungewöhnlich langen Dauer des Schreib-Prozesses – die Songs wurden über 2018 und 2019 geschrieben.
Die Musik bewegt sich zwischen progressivem Rock mit allerlei Wave-Anleihen genauso sicher wie in verschiedenen Ausdrucksformen von Postrock – das Finale von "My Trust" bestätigt dies erstmals und eindrucksvoll. Aus dieser spannenden Mixtur erwächst der hohe Grad an Authentizität. Der charismatische und überaus abwechslungsreiche Gesang sowie Davids elektrisierend vibrierendes Gitarrenspiel sind weitere Garanten außergewöhnlicher Eigenständigkeit. Die Intensität, beispielsweise in "Servants", schneidet sich fast schmerzhaft ins Hirn, auch durch die geschickte Kontrastierung von zurückgenommen sanften, elektronischen Klängen bis hin zu den repetitiven und immer mehr eskalierenden Gitarrenakkorden, die abermals aus dem Postrock-Universum gespeist werden. Ein hypnotischer Sog erfasst den Zuhörer, es ist unmöglich, sich dieser mystisch bedrohlichen Atmosphäre zu entziehen. »I’ll satisfy machine«, eine düstere Vision. Ein Song wie aus Stahl geboren, mein Favorit auf dem Album.
Dass bei der Beschreibung dieser Musik immer wieder auch die Großmeister von Pink Floyd herangezogen werden liegt nicht nur am gleichen Vornamen des Gitarristen. Wären die Floydschen Werke irgendwo in den astralen Sphären wavigen Konzepten begegnet, dann würde sich das vermutlich so ähnlich anhören wie auf "Tribe & Throne".
Später gibt es eine etwas poppigere Variante in "It Or The Dome", deren Hooklines tatsächlich aus einem Zeitloch direkt aus den Achtzigern stammen könnten.
Ausdrücklich erwähnen möchte ich das großartige Schlagzeugspiel von Thomas Götz, das im abschließenden "The Loyalty" ganz erheblich zum dramaturgischen Spannungsbogen beiträgt. Die anfangs zart mäandernde Gitarre über dem still köchelnden Rhythmus brennt sich unauslöschlich ins Erinnerungsvermögen und der mitreißende Ausklang hat für mich irgendwie Verwandtschaft zu "You Keep Me Hanging On" von Vanilla Fudge, vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein. So oder so, diese Musik ist hochgradig emotional, und wie anfangs erwähnt, war genau das der Plan des Künstlers. Touch down, würde ich sagen.
Progressive Rock schien in der Vergangenheit irgendwann aus der Mode gekommen zu sein, nicht zuletzt aufgrund des weit verbreiteten Vorurteils, dass dort nur wabernd schwermütige Keyboard-Sounds und elegische Gitarren zu hören seien. In der modernen Musik gibt es zum Glück ganz viele neue Konzepte, die mit solchen blöden Gerüchten aufräumen. Die Musik von David Judson Clemmons trägt massiv zu dieser Erkenntnis bei. Dabei besteht die große Kunst darin, ein Album durchgängig und stimmig klingen zu lassen, obwohl gänzlich unterschiedliche Stimmungen und stilistische Richtungen verwendet werden. Die Songs sind geil geschrieben und bestechen durch eindringliche, nicht immer leicht verdauliche Kompositionen. Diese Musik ist nicht rund und bequem, sie baut Ecken und Kanten ein, die erst die Aufmerksamkeit des Zuhörers gewinnen und dann sein Herz. Das mag auch daran liegen, dass man sich in jeder einzelnen Nummer ausdrücklich Zeit nimmt, die jeweilig vorherrschende Atmosphäre zu kreieren, mit einem klassischen Songschema hat das sehr wenig zu tun. Das vielschichtige Konzept ist durchgängig klasse, Kopf und Bauch kommen gleichermaßen auf ihre Kosten.
Musik für musikalische Abenteurer, die auf der Suche nach etwas Neuem sind.
Line-up David Judson Clemmons:
David Judson Clemmons (guitar, vocals)
Earl Grey (bass)
Thomas Götz (drums, organ)
Tracklist "Tribe & Throne":
- Our Love Our War
- My Trust
- Dark Walk Home
- It Or The Dome
- Servants
- The Loyalty
Gesamtspielzeit: 43:49, Erscheinungsjahr: 2020
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