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Deafening Opera / Let Silence Fall – CD-Review

Deafening Opera - Let Silence Fall

Das wörtlich übersetzt 'Ohrenbetäubende' an dieser Oper hat nichts mit Lautheit zu tun. Deafening Opera machen schließlich keinen Thrash Metal und keinen Grindcore, sondern Progressive Rock. Dessen Urahnen sind im Falle des Münchner Sextetts sicherlich im Bereich von Genesis & Co. zu finden, wobei man stilistisch durchaus hier und da Kraftfutter angeknabbert hat, um auch metallische Einflüsse und atmosphärische Durchschlagskraft hinzuzugewinnen. Unter den Einflüssen, die die Band selbst angibt, wären sicherlich u. a. Pain Of Salvation, Angra und Porcupine Tree mit einem Häkchen zu versehen. Nach den bisherigen Alben "Synesteria" von 2009 und Blueprint aus dem Jahre 2013 werben Deafening Opera beim nunmehr dritten Machwerk der Bandgeschichte mit der bis dato größten Komplexität, Tiefe und auch Länge.

Um es vorwegzunehmen: Der Länge hat "Let Silence Fall" ein bisschen arg viel mit seinen gut 70 Minuten. Aber wer Stoff à la Neal Morse liebt, darf das auch als Einladung verstehen, sich auf das Komplexe einzulassen und tief abzutauchen. Dem Stichwort 'Oper' wird man durchaus gerecht; das ist nicht nur so ein Spruch. Denn "Let Silence Fall" arbeitet mit groß angelegter Dramaturgie, mit Episoden und unterschiedlichen Energielevels. Nach dem "Prologue" markiert die "Deafening Overture" einen prachtvollen Start aus leidenschaftlichen Lead-Gitarren-Melodien und markanter Tastenarbeit. Einzelne Momente daraus tauchen auf dem Album später wieder auf. Die proggigen Synthesizerklänge, die dem Ganzen nicht nur rhythmischen Pep, sondern auch noch eine gewisse dramatische Tiefe verleihen, zeigen gleich: Man mag auch Retro-Klänge.

"Down The River" ist so eine typische 'erste Nummer' mit Gesang und nimmt sich die Zeit, die es braucht. Nach merhrminütigem, ruhigem Aufbau folgen pompöse Power-Parts mit spannenden instrumentalen Zwischenspielen. Das Ganze wirkt eingängig, aber episch angehaucht … und man fiebert zuhörends den Höhepunkten entgegen, die sich aber nicht so richtig einstellen wollen. Die knapp acht Minuten gesteht man diesem ersten "Hauptteil" des Albums noch zu. Das folgende, mit fast sechseinhalb Minuten auch nicht allzu kurze "Amber Light" baut sich ganz ähnlich auf, kommt aber nicht über das Prädikat eines 'guten' Prog-Stücks mit solidem musicalhaftem Refrain samt chorhaften Call-and-Response-Parts – irgendwo zwischen Prog Rock und Prog Metal – hinaus.

"The Tempest" haut dann aber einen raus, ist weniger eingängig, im positivsten Sinne. Das Riffing ist spannend und reißt mit. Die Atmosphären sind aufwühlend, dies aber ansprechend subversiv, gar nicht mit dem Hammer auf die Zwölf oder in irgendeiner Weise overplayed. Am Ende lösen sich viele Spannungen in einem warmen, vielstimmigen Bombast-Finale auf. Viele, nicht alle: Die Harmonien werden hier und da geschickt überstreckt, um die Spannung zu halten. Das anschließende "Sweet Silence" mit seinen kantigen und dreckigen Heavy-Riffs kann das hohe Level leider wieder nicht ganz halten. Es klingt ein wenig wie 'das Hard Rock-Stück, das in der Rock-Oper als nächstes kommen musste'.

Und nach 'dem Hard Rock-Stück' folgt mit "Sundown" das ’schnelle'. Es wird Metal-lastig, samt technisch hervorragender Läufe und Kabinettstückchen und heavy Bass-Grooves – das Gesamtpaket erinnert etwas an Vanden Plas. Während man aber zuvor in mehrstimmigen Gesangspassagen oft die richtige Portion Glanz an der richtigen Stelle verbreiten konnte, klingt Lead-Sänger Adrian Daleore in Solo-Parts, in denen er besonders aggressiv und düster rüberkommen will, nicht immer ganz überzeugend und bekommt nicht den Ausdruck in die Stimme, den die Stimmung erfordert, die er wohl selbst kreieren will. Auch bei "Man And Machine" mit seinem kraftstrotzenden, hymnischen Refrain gibt es ein paar Stellen, wo es … einfach nicht 'gelungen' klingt, wie er versucht, besonders derb zu singen (bei "Plus Ultra" gibt es weitere solcher Momente).

Und dann sind da noch die bereits erwähnten Längen. Ein wenig krankt das im Chorus durchaus durchschlagende "Man And Machine" am selben Syndrom wie das folgende, wieder aus lyrisch-akustischen Mitteln heraus aufstrebende, wesentlich komplexere und proggigere "At The Edge" und auch der vielschichtige, wechselvolle und anspruchsvolle Zwölfeinhalb-Minüter "Plus Ultra" zum Schluss: Man braucht hier und da zu lang, um zum Punkt zu kommen. Ja, es ist Prog. Und auch, wenn die beiden letzten Nummern in ihren stärksten Momenten angenehmst an frühe Enchant-Kompositionen erinnern: Diese Stücke und letztlich auch das gesamte Album "Let Silence Fall" packen den Hörer erstens nicht ganz pausenlos am Ohr und bieten trotz hoher Qualität unterm Strich etwas zu wenig Highlights, die man eigentlich sofort noch einmal hören möchte. Es reicht für gute Noten, aber nicht zu höchsten Weihen.

 


Line-up Deafening Opera:

Christian Eckstein (bass guitar, vocals)
Thomas Moser (rhythm guitars)
Adrian Daleore (lead vocals)
Moritz Kunkel (lead guitars, vocals)
Gérald Marie (keyboards, vocals)
Konrad Gonschorek (drums)

Tracklist "Le Silence Fall":

  1. Prologue (1:23)
  2. Deafening Overture (2:45)
  3. Down The River (7:47)
  4. Amber Light (6:23)
  5. The Tempest (7:50)
  6. Sweet Silence (7:45)
  7. Sundown (6:29)
  8. As Night And Day Collide (3:35)
  9. Man And Machine (6:37)
  10. At The Edge (7:19)
  11. Plus Ultra (12:33)

Gesamtspielzeit: 70:25, Erscheinungsjahr: 2018

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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