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Deep Energy Orchestra / The Return – CD-Review

Deep Energy Orchestra / The Return

Wenn ein Album sich dem Geist der Verschmelzung von Kulturen widmet, mit asiatischen Themen beladen, die direkt von den Wipfeln der hohen Berge zu klingen scheinen und durch die Gebetsfahnen Tibets oder Nepals pfeifen, dann kann ich nur schnellstens versuchen, dieses Album besprechen zu dürfen. Ulli wusste das und hat es mir quasi reserviert. Es war ein echter Freundschaftsdienst.

Musik zwischen Progressive, Fusion und Ethno hat mich immer schon fasziniert. Hier aber fährt Jason Everett, auch bekannt als Mister E und ein Meister für Mainstream-verweigernde Musik, neben einer beachtlichen Gala an hochkarätigen Gastmusikern das komplette Seattle Metropolitan Chamber Orchestra auf und stellt sie an die Seite eines einzigartigen Projekts. "The Return" ist, wie der Titel vermuten lässt, das zweite Album von Deep Energy Orchestra und sie werden uns dem Bandnamen entsprechend mit ungezügelter Energie versorgen. Wer Musik jenseits aller Grenzen mag, wird hier sehr große Freude finden.

Ein sinnlich brodelndes indisches Soundgeflecht empfängt uns zu Beginn des vierteiligen "Moksha", dem Sanskrit-Wort für die Erlösung aus dem ewigen Zyklus Geburt – Sterben – Wiedergeburt – es ist im Hinduismus das höchste aller Ziele. Meine Freunde von My Sleeping Karma betitelten so einst ihr Live-Album.

Doch jetzt sind wir auf Pfaden unterwegs, wie sie die Welt selten erlebt hat. Wege hinauf in die mystische Welt des Himalaya, teilweise mit klassisch indischen Motiven, aber auf völlig hinreißende Weise befruchtet und befeuert von Einlagen anderer Kulturen, wenn im zweiten Teil der Suite, "The Battle", zunächst eine ungezügelte jazzige Gitarre ein ekstatisches Schlachtfeld hinterlässt und in wilden, krachenden Breaks mit jenem düster elaborierenden und vollkommen losgelösten Fretless Bass des Masterminds Jason Everett konkurriert. Das ist geilste Fusion im Stil des Mahavishnu Orchestra oder späterer Konzepte. Sollte ich hier erwähnen, dass in "Moksha" unter anderem auch V. Selvaganesh mitwirkt, bekannt von John McLaughlins Shakti?

Teil drei des Epos um das Wesen einer Seele eröffnet Jason mit mäandernden Bassläufen über spärlichen, asiatischen Rhythmusspielereien und erodiert sich im Wechsel mit einer sensibel dahintreibenden Gitarre in die Fundamente unseres geistigen Daseins. Mit dem obertönigen Gesang, der ähnlich in der mongolischen beziehungsweise russischen Musik aus dem Altai-Gebirge traditionell verarbeitet wird, offenbart sich immer mehr unser inneres Selbst und wir verschmelzen mit den Bildern einer archaischen Landschaft im Kopf zu einem spirituellen Ganzen.

Doch aus den ethnisch sphärischen, traditionellen Mustern entwickelt sich schnell ein leicht funkiges Gebräu zwischen lässig groovenden, modernen Rhythmen und östlich angehauchten Gesängen, ähnlich wie ich es bei Dewa Budjana erleben durfte. Jetzt sind wir im Finale von "Moksha" angelangt, "The Return". Hier verschmelzen nun Kulturen und Zeitepochen und wenn ungezügelte Saiteninstrumente, teilweise fast synthesizerartig jazzig über dem Grundthema meditieren und in immer höhere Sphären führen, bekommen wir einen kleinen Eindruck dessen, was Nirwana im Buddhismus oder eben Moksha im Hinduismus bedeuten kann.

So erleben wir neben ein bisschen progressivem Rock, aufbrausender Fusion und ganz vielen ethnischen Einflüssen eine transzendentale Reise durch die esoterischen Felder Asiens, wir erreichen die schwindelnden Höhen windumtoster Gipfel des Himalaya und am Ende die Mitte von uns selbst. Es ist verrückt, dass ich einst die Musik von John McLaughlin in Basislager am Berg Pumori in Nepal gehört habe. So schließen sich mit dieser Scheibe auch ein paar kosmische Kreise in meinem Leben, wenn ich dieses Album höre und an die großartige Zeit zurückdenke, wo buddhistische und hinduistische Freunde mich wie selbstverständlich auf dem Weg zu innerer Befriedigung begleiteten, egal ob auf dem Pfad in die Berge oder der inneren Suche nach mir selbst. Ich glaube, es war eine gute Musikauswahl, damals am Berg.

Und all diese Empfindungen im ersten Werk auf der Platte, ich bin schwer begeistert und freue mich auf fünf weitere Nummern zwischen fünf und neun Minuten und zahlreiche Höhepunkte.

Wunderschön eröffnet "Zyryab" mit weichen Flamenco-Klängen in eine ganz andere Kultur, Paco de Lucia führte diese Musik einst, unter anderem mit seinen kongenialen Mitstreitern Al Di Meola und dem schon zitierten John McLaughlin zu virtuosem Glanz. Die Harmonien der Gitarre zeichnen dabei sogar ein wenig von der sehnsüchtigen Melancholie der Musik Südamerikas nach – wer zum Beispiel die Klassiker Ecuadors mal gehört hat, findet hier Anklänge wieder. Unglaublich, wie hier geschickt mit Nuancen gespielt wird und scheinbar fremde Dinge vereint werden.

Ein stilistisches Mittel, dem ich in den letzten Monaten häufiger und mit großer Begeisterung begegnen durfte, ist die Touch Guitar. Kein geringerer als Trey Gunn (King Crimson) hält sie in "Call Of Kali" bereits erstmals und sie konveniert mit dem Fretless Bass von Jason Everett ganz exquisit. Dazu die perlend esoterische Gitarre von Fareed Haque, der mit der Schlagzeuglegende Billy Cobham unterwegs war, der Ruf von Kali, der Göttin des Todes, der Zerstörung und Erneuerung hallt nach in virtuosen Zwiegesprächen überragender Musiker.

Das zunächst ganz sanfte "Grapes Of Khan" startet wie ein Dialog östlich-westlicher Musik, wie ihn einst Ry Cooder und V.M. Bhatt aufnahmen. Doch am Ende sind es die Violinen, die diesem Werk den Geist einhauchen. "Resolve" mit seinen fast zehn Minuten erscheint dann wie der mystische Fluss des Lebens, der in unendlichen Windungen durch die Täler der großen Berge fließt. Aufbereitet über indischer Percussion und einer eingängigen Mainline der Violinen extemporieren Jasons Monsterbass, Treys Touch Guitar und Fareeds Gitarre entspannt und meditieren uns in den ewigen Kreislauf des Lebens. Spiritueller kann Musik nicht sein. Gerade diese hinreißende Gitarre setzt ein ums andere mal Highlights für den Jazz-Fan. Ich habe vor ein paar Wochen eine Doku über den Fluss Brahmaputra gesehen, diese Bilder werden mir hier alle wieder bewusst.

Zum Abschluss wirkt das wieder etwas treibendere "Mysterious World" fast wie eine Kommentierung dessen, was wir auf der Reise durch dieses Album haben kennenlernen dürfen. Es ist kein Zufall, dass ich gerade bei den mit westlichen Instrumenten vorgenommenen Improvisationen gegen Ende des Albums immer auch ein wenig meine heimische Bröselmaschine im Kopf hatte. Die überragende Meditation in dem Song Indian Camel hat etwas vom Geist dieser Musik; kein Wunder, war Peter Bursch hierzulande doch einer der ersten, der sich mit indischer Musik auseinandersetzte.

Wow, nach diesem Album ist der Geist befreit, sind die Ohren gereinigt. Denn wenn großartige Musiker in einem mitreißenden Gesamtkonstrukt agieren, dann verliert das Bewusstsein jenen Hang nach permanenten Wohlklängen und erkennt irgendwann die wahre Schönheit der Dinge. Sowohl in der durchaus fordernden Musik als eben im Dasein selbst. Musik als transzendentale Erfahrung, aber ohne esoterischen Schnickschnack, sondern mit ethnischen Elementen, faszinierendem Jazz und dem spannendsten Prog des bisherigen Jahres. "The Return" muss man nicht hören, dieses Album muss man durchleben, dann wird man den Everest in sich selbst finden.


Line-up Deep Energy Orchestra:

Jason Everett aka Mister E (fretless bass, acoustic bass)
Fareed Haque (guistar, guitar)
V. Selvaganesh (kanjira, konnokol, custom drum kit – #1)
Suhail Yusuf Khan (sarangi – #1)
Vishal Nagar (tabla – #1)
Eric "Doc" Smith (zendrum – #1,6,8)
Steve Sklar (throat vocals – #1-part III)
Trey Gunn (touch guitar – #5,6,8)
Radhika Iyer (electric violin – #5-8)
Chaz Hastings (tabla – #5,6,8)
Anil Prasad (tabla – #7)
Rachel Nesvig (violin – #5,6,8)
Aleida Gerhels (viola – #5,6,8)
Phil Hirschi (cello – #5,6,8)
Karin Choo (violin – #1-part IV)
Gaye Detzer (viola – #1-part IV)
Annie Roberts (cello – #1-part IV)
George Heidorn (double bass – #1-part IV)
Wesley Peterson (drum kit – #1-part IV)
Ken Jacobsen (guitar #- 1-part IV)
Don Gunn (drum kit – #5)
Ujwal Nagar (vocal – #1-part IV)
Neyveli Radhakrishna (double-neck violin – #1-part IV)

Line-up The Seatlle Metropolitan Chamber Orchestra
featured on Mysterious World

Geoffrey Larson (conductor)
Rachel Nesvig (violin I and concertmaster)
Thao Huynh (violin I)
Caroline Faflak (violin I)
Lauren Eastman (violin II)
Elena Vukosavljev (violin II)
Janet Utterback-Peck (violin II)
Tricia Wu (viola)
Aleida Gehrels (viola)
Julia Adams (viola)
Mary Riles (cello)
Phil Hirschi (cello)
Bryan Kolk (double bass)
Joshua Romatowski (flute)
Emily Ostrom (oboe)
Jenny Ziefel (clarinet)
David Sloan (trumpet)
Clarisse Benson (bassoon)
Suzanne Feinstein (french horn)
Sue Perry (french horn )

Tracklist "The Return":

  1. Moksha I -The Village
  2. Moksha II – The Battle
  3. Moksha III – The Journey
  4. Moksha IV – The Return
  5. Zyryab
  6. Call Of Kali
  7. Grapes For Khan
  8. Resolve
  9. Mysterious World

Gesamtspielzeit: 50:08, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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