Ich weiß nicht, ob ich die Musik von Dewa Budjana mehr bewundern soll, weil er seine ethnischen Wurzeln dezent und geschickt in westliche Musik einzufügen vermag, weil er dies auf einem unglaublich hohen, spielerischen Niveau vollzieht oder aber weil er es wie kaum ein anderer versteht, zwischen Fusion und Progressive Rock zu vermitteln, ohne eine eindeutige Position für das eine oder andere zu beziehen.
Diese Musik hat ihren eigenen Stil und Charakter.
Es ist meine erste Berührung mit diesem faszinierenden Musiker auf den Spuren eines Nils Petter Molvaer, eines Nguyen Le und ganz sicher auch des großen John McLaughlin; damals, als er mit seinem Mahavishnu Orchestra eine deutlich wildere Variante von Musik zwischen Jazz und Rock zelebrierte. Keine Frage, an Dewa Budjana führt in der Welt der Fusion kein Weg mehr vorbei, das wird mir schon nach dem ersten Durchlauf klar.
Ein melodisches und nachdenklich verträumtes Piano poppt auf, bedient von keinem Geringeren als Jordan Rudess, dem Tastenzauberer von Dream Theater. Es findet sein Echo in sanften Gitarrenlinien und sprödem Gesang, der schon bald in aggressiven, energetischen Ausbrüchen in den Refrain des Songs "Crowded" leitet. Für diese Vocals zeichnet jemand verantwortlich, den man hier nicht zwingend erwarten würde, nämlich den früheren Gitarristen und Begleitsänger der Red Hot Chili Peppers. Ja, John Frusciante mischt mit auf einem Fusions-Album – wer hätte das gedacht? Reflektierend sanfte Momente geben kurze Zeit zum Innehalten, dann bricht immer wieder die hypnotische Titelzeile heraus und die versammelte Kombo lässt gleich im Auftakt keinen Zweifel daran, dass man Fusion auch mit sehr rockigen Attitüden auszustatten vermag. Ein gewisser Ohrwurm-Charakter lässt sich bei den schönen und eingängigen Hooks nicht leugnen. Im Kreise einer fast schon hoch-kulturellen Spielmannschaft birgt das einen Überraschungsfaktor und ein verschmitztes Augenzwinkern.
Aber dann bietet "Queen Kanya" eine elegante Fusion mit schönen Breaks, wo Dewa Budjana sein faszinierendes Gitarrenspiel entwickelt und immer wieder in eine progressive Phrasierung hinaus gleitet, die manchem Progger die Tränen in die Augen treiben wird. Nur, um mit herrlich metallenen Progressive-Riffs hinein in ein perlend erquickendes Piano-Solo und ein wildes, verfremdetes Gitarrengefrickel auszuscheren, getoppt noch von der Konnakol-Einlage der großartigen Bassistin Mohini Dey, jener jungen Frau aus Mumbai, die sonst mit Steve Vai spielt. Asiatischer Scat und ein exzessiver Bass, eine virtuose Gesangs- und Rhythmuseinlage voller fremdartiger Faszination und gleichzeitig ein Stempel des Ausnahmegitarristen und seiner begnadeten Bassistin, Menschen, die die Musik ihrer Heimat nicht aus den Augen und Ohren zu verlieren scheinen. Doch am Ende steht wieder diese wunderbar warmherzig, melodische Gitarre, die alle Wellen glättet. Die "Queen Kanya" ist eine erhabene Dame zwischen den eitlen Fronten von Fusion und Prog und ganz offensichtlich von höchstem Geblüt.
"Hyang Giri" lebt erst einmal von Soimah Pancawatis mitreißendem Gesang. Der erste Teil des Songs driftet beschwingt in asiatischer Freundlichkeit und vermittelt in seiner hier fast lässig poppigen Gestaltung ein wenig Feeling aus dem großartigen Mickey Rourke-Film "Im Jahr des Drachen". Doch dann blüht der Jazz auf und alle dürfen sich solistisch positionieren. Klassischer Jazzrock mit exotischen Gesangseinlagen, schillernd bunt und wohltuend wie ein guter karibischer Cocktail in meiner Duisburger Lieblingsbar im Hafen. Die Mischung macht es aus.
"Jung Oman" bietet ergreifende Gitarrensounds mit emotionalem Tiefgang, den jede Progressive-Band ihr eigen wünschen würde. Doch hier führt der entspannt, leicht melancholische Strom in ein wunderschönes Zwischenspiel auf akustischen Saiten, wo nicht zum ersten mal Gedanken an einen Helden aus alten Tagen wach werden: Al di Meola. Insgesamt aber ein Song mit ausdrücklich progressiver Gestaltung. Diese Gitarre bringt Steine zum Schmelzen und lässt Bäume weinen, eine Hymne auf die Schönheit der Schöpfung.
Und dann darf ich die Platte umdrehen wie in seligen Zeiten, denn ich habe die Vinyl-Fassung dieses mitreißenden Albums vorliegen und erfreue mich an den herrlich organischen Klängen. Und dem geilen Plattencover mit den stilvoll asiatischen Motiven. Sanfte Erinnerungen an Zeiten, wo man regelmäßig die Plattenhüllen noch mit zwei Händen halten musste, und als ich die Welt des ferneren Ostens selbst bereisen konnte. Elefanten hingegen sind mir dort nicht begegnet. Aber Halt, der kolossale Vierbeiner auf der Plattenhülle scheint sich irgendwie aus Afrika eingeschlichen zu haben, für ein indisches Rüsseltier hat der viel zu große Ohren.
Wenn ein anerkannter Gitarren-Virtuose einen Gastmusiker wie Mike Stern einlädt, darf man auf ein Saiten-Gewitter höherer Kunstformen hoffen. Letztgenannter hat unter anderem für Miles Davis (dem wohl wahren Erfinder der Fusion), Blood, Sweat & Tears und Billy Cobham die herrlich pulsierende Gitarre bedient, hier fordert er den Meister zum Duell und beide lassen es Krachen, fett und fetzig. Hier und da erwachen legendäre Zitate aus den frühen Neunzigern, als Al di Meola auf "Kiss My Axe" wohl die schönsten Soli seiner gesamten genialen Karriere erschuf. Auch Pat Metheny dürfte eine eloquente Referenz darstellen für diesen lässig treibenden Jazzsong namens "ILW", eine Nummer voller Energie und Wucht.
Der Titelsong eröffnet mit reflektierend ruhigen Klängen. Die repetitive Gitarrenlinie zu Beginn lässt mich kurz an frühe Marillion denken, doch die jazzige sechssaitige Phrasierung übernimmt sehr schnell das Ruder, während bereits jetzt schon im Hintergrund ein dezenter, aber sehr eigenständiger Bass mäandert und sich alsbald zu einem perlenden Solo heraus kristallisiert. Jordan Rudess übernimmt den Spielball und groovt beschwingt auf dem Piano hinüber zum Meister der Gitarre, der nun alle Zeit der Welt zu haben scheint, die souveräne Klasse seiner Saiten-Technik genüsslich zu zelebrieren. Zuletzt zündet Marco Minnemann ein wahres Rhythmus-Feuerwerk. Er, der sonst die Felle bei Joe Satriani oder Adrian Belew bearbeitet.
"Zone" als eigentlich gedachter Schlusspunkt nimmt wie in einer klassisch progressiven Klammer nicht nur stilistische Harmonien aus dem ersten Song auf, auch hier darf John Frusciante noch einmal seine vokalen Fähigkeiten in den wohlklingenden Raum einbringen, während Dewa ein großes finales Solo spielt, mit dem er endgültig die Grenzen zwischen den herauf beschworenen Stilrichtungen auflöst.
Zuletzt schenkt uns Dewa Budjana auf der LP einen willkommenen Bonus, eine akustische Version des Titelstücks "Mahandini", die vor allem von den herrlichen Untermalungen des Cellos lebt und durch die spärlich sanfte Rhythmik ein wenig von der Entspanntheit indischer Ragas vermittelt, ganz dem ruhig gemessenen Schritt des bereits zitierten Elefanten angepasst. Eine beschwingt transzendentale Erfahrung.
Das Album "Mahandini" bietet mitreißend komponierte Songs und lebt natürlich von der einzigartigen Virtuosität und Kompetenz eines Ensembles, welches hier erstmals zusammen spielt und die Grenzen zwischen Fusion und Progressive lässig auflöst zu einem stimmig eigenständigen Konzept, in dem ethnische Einflüsse mit spielerischer Leichtigkeit in westlicher Kultur verschmelzen. Musikalische Integration in Reinform, die sich ganz nebenbei auch noch saugut anhört. Eine Parabel auf die Schönheit der Welt und ihrer Kultur, wenn sie sich im Einklang befindet. Balsam für die Seele in einer unruhigen Zeit.
Line-up Dewa Budjana:
Dewa Budjana (guitars, soundscapes)
Jordan Rudess (keyboards)
Marco Minnemann (drums)
Mohini Dey (bass, konnakol)
Special appearances:
John Frusciante (vocals # 1, 7)
Mike Stern (1st guitar solo # 5)
Soimah Pancawati (lead vocal # 3)
Special appearance on the vinyl bonus track:
Dimawan Krisnowo Adji (cello # 8)
Adrian Muhammad (vibraphone # 8)
Tracklist "Mahandini":
Side A
- Crowded
- Queen Kanya
- Hyang Giri
- Jung Oman
Side B
- ILW
- Mahandini
- Zone
- Mahandini Acoustic
Gesamtspielzeit: 54:59, Erscheinungsjahr: 2019
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