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Doctor Cyclops / Local Dogs – CD-Review

Denk ich an Doctor Cyclops, dann werden Gefühle lang verdrängter Schuld in mir wach. Es war der Mai 2012, ein Tag, bevor die Bayern ihr 'Finale Dahoam' vermasselten. Damals spielten drei überaus freundliche, fast schon hyperaktiv euphorische Italiener beim ersten Freak Valley Festival auf. Doctor Cyclops eben.
Voller Enthusiasmus versprach mir Drummer Alessandro seine Drumsticks, wenn ich nach dem Konzert an die Bühne käme. Da aber zu diesem noch frühen Zeitpunkt des Festivals der Merch ganz mächtig boomte und ich für den Absatz unserer Plörren zuständig war, fand ich überhaupt keine Gelegenheit, mich näher mit dem Konzert der Jungs zu befassen. »Mann, wo warst Du, ich wollte Dir doch die Sticks schenken«, fragte ein immer noch unter Strom stehender Alessandro später und stürzte sich nun auf meine klamottentechnischen Auslagen. »Ich muss meiner Freundin unbedingt ein T-Shirt mitbringen«. Doch dieser fromme Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Wir hatten schlichtweg falsch kalkuliert und bei der Produktion von Festival-Shirts vorwiegend auf die kräftigeren Größen gesetzt. Alessandros Freundin jedoch war dem Bekunden nach von sehr zierlicher Gestalt. Doch so sehr ich auch suchte und bemüht war, den Herzenswunsch meines neuen Kumpels zu befriedigen, es gab überhaupt keine Hemden oder Hoodies mehr in den Größen S und XS. Den enttäuschten Gesichtsausdruck des jungen Drummers habe ich nie vergessen. Ich hätte ihm wahnsinnig gern geholfen.

Dass nun ausgerechnet auf der neuen Scheibe der Band auf ganz spezielle Weise an dieses Festival erinnert wird, liegt vielleicht an Bill Steer, der als Gast auf zwei Songs die Gitarre bedient. Bill ist planmäßig Mitglied bei den Gentlemans Pistols, und die haben seinerzeit am späteren Abend beim gleichen Festival gespielt. Wer weiß, ob nicht dort die Kontakte für die Zukunft entstanden sind. Gleichsam eine sehr merkwürdige Geschichte zwischen exzessiver Party, magentechnischen Zwischenfällen im Backstage-Bereich und Katzenstreu – ich werde aber nur so viel verraten, dass keiner der hier zitierten Mitmenschen und Musiker davon betroffen war.

Ein cooler Vintage-Sound empfängt uns in "Lonely Devil" reichlich boogielastig und erinnert mich erstmals an den fantastischen Soundtrack der fiktiven Siebziger-Jahre-Rockband Strange Fruit in dem Film "Still Crazy", sicher eine Betrachtung an anderer Stelle zum Thema Film und Rockmusik wert. Breaks hinein in Gesänge mittleren Tempos, psychedelische Twin Gitarren am Ende, schon in der ersten Nummer erwarten uns herrlich kreiselnde Power-Exkurse aus Heavy Rock und jeder Menge Retro.

"D.I.R." schließt inhaltlich an, ein typischer Song für dieses Scheibe. Schlagzeug getrieben, Riff befeuert, aber immer mit Bedacht und Augenzwinkern, wirklich böse wird es nie. Black Sabbath Erinnerungen und jede Menge Vollgas sind uns sicher, ein mächtiger Stimmungsüberschwang und jede Menge positive Energie kreisen und grooven, vor allem aber mit schönen Rhythmuswechseln und leidenschaftlichem Gesang, der sich mit tendenziell helleren Tönen sehr schön gegen die all gegenwärtigen Saitenattacken stemmt. Schade, dass ausgerechnet hier am Ende ausgeblendet wird, das ist eigentlich gar nicht mein Ding.

Dann erwartet uns der Gitarrengast in "Stardust". Groovende Licks befeuern bei gesteigertem Tempo die Maschine und Mr. Steer von den Gentlemans Pistols lässt sich nicht zweimal bitten. Leicht doomig entschleunigt holt uns die Band zurück in den ursprünglichen Duktus des Songs. Krachende Bässe, exzessive Schläge und ein cooles Outro lassen uns abrupt verenden.

Tolle Licks zu Beginn zwischen Black Sabbath und Deep Purple vermitteln in "Epicurus" ein leicht mystisches Siebziger Jahre Feeling, hier werden irgendwie eine Menge Assoziationen aus sehr lange vergangenen Zeiten wach. Ein tolles Gitarrensolo wechselt in eine sanfte kurze Reflektion und gibt mir einen wirklich schönen Flashback auf alte Tage, die ich so sehr geliebt habe. Das geile Anfangsriff lässt diese Stimmung perfekt kulminieren. Spätestes jetzt habt Ihr mich.
Schön, dass in "Wall Of Misery" gleich ein hinreißend groovendes Solo perfekt an die aufschäumenden Vibes anschließt.
'Seventies Rotten Rock' nennen die Zyklopen ihre Musik, eine coole Wortschöpfung der Band, um ihre Musik zu beschreiben. Passt ziemlich gut.

Ein ganz starkes psychedelisches Intro in ein doomiges Riffgedröhne führt uns zu einem Höhepunkt auf dem Album. »Black spider on the wall«, "King Midas" kommt mit einer klassisch wirkenden Phrase und eben solchen Monster-Riffs daher, da fällt mir eine ganze Reihe aktueller Mitstreiter ein, die sich ebenfalls in solchen Sounds versuchen. Der Song lebt von seinen eindrücklichen Tempi-Wechseln und besticht wieder einmal mit herrlich konkurrierenden Gesängen zu den tief schwarzen Akkorden der bösen Saiten.

Die Eule Stanley scheint im kurzen Intermezzo in "Stanley The Owl" fast ein wenig den früheren Purple-Improvisationen entschlüpft zu sein, georgelt wird hier dank Gästeunterstützung ganz erheblich. Die Eule hat ja ansonsten einen durchaus geruhsamen, aber gefährlichen Ruf – still, eindringlich und bisweilen tödlich. So schlimm wird uns Stanley nicht erwischen.

"Witchfinder General" ist wohl ein Statement von Doctor Cyclops im Anbetracht der gleichnamigen Band. Riffs und ein treibender Beat mit daraus entwachsenen Soli entwickeln sich wie ein guter Freund – wie der große Bruder, der dich an die Hand nimmt und durch die Dunkelheit führt.

So manches Solo auf diesem Album wächst wie ein Pilz aus riffigen Wurzeln, sprießt und entwickelt sich zu einem anschaulichen Gewächs und die mitunter leicht progressiven Anwandlungen, am ehesten vergleichbar mit den alten Atomic Rooster, geben uns immer wieder Anreize inne zu halten und zu reflektieren, aber die Musik bleibt stets offensiv und angriffslustig, mit geladener Flinte und jeder Zeit bereit, abzufeuern.

Das Auge des Zyklops hat uns fest im Visier, während wir uns durch tief düsteren Wald bewegen. Dieses Thema scheint die Band nachhaltig zu beeinflussen, die Atmosphäre dichter Wälder und dunkler Bäume taucht in den Selbstbeschreibungen der Jungs immer wieder auf und erinnert mich an meine Kindheit, als wir voller aufgeregter Anspannung und geheimnisvoller Faszination den Erzählungen unserer Kindergarten-Tanten folgten. Ich bin sicher, hier liegt ein tief verwurzeltes Ur-Thema in der Psyche des Menschen, die Furcht vor dem fremden Geheimnisvollen, aber auch der Natur an sich, die uns immer überlegen sein wird. So ähnlich finden wir es in dem gleichnamigen alten Science Fiction-Film "Doctor Cyclops", in dem ein abgedrehter Wissenschaftler seine Kontrahenten auf Bierflaschengröße einschrumpft und in einem Urwald aussetzt. Ach ja, selbst bei "Harry Potter" haben sie dieses Thema sehr schön in jenem verbotenen Wald aufgenommen und ausgesprochen wirkungsvoll in Szene gesetzt. Aber bei Doctor Cyclops, der Band, nimmt die Bedrohung nie Überhand, bleibt es immer irgendwie ein wenig augenzwinkernd, wenn auch die Mystik ganz stark und bewusst spürbar wird. Sie wollen uns wohlig eingrooven, aber niemals wirklich erschrecken. Genauso wie Menschen aus dem Heavy-Rock nie so gruselig sind wie sie gelegentlich tun oder aussehen mögen. Lasst uns böse schauen und scheinen, aber niemals böse sein. That’s it.

Doctor Cyclops möge sein mächtiges Auge huldvoll auf mich richten und vergeben, dass ich damals so wenig hilfreich war. Bitte nicht einschrumpfen, besonders groß bin ich ja eh nicht. Aber vor dem Wald braucht sich keiner fürchten, der ist unser Freund. Und ein bisschen Gruseln ist ja auch immer ganz schön.

Feine Scheibe, Freunde.


Line-up Doctor Cyclops:

Christian Draghi (guitar, vocals)
Francesco Filippini (bass)
Allessandro Dallera (drums)
Bill Steer (guitar # 3, 8)
Enzo Draghi (organ # 7)
Rob Last (organ # 7, 9)
James Atkinson (backing vocals)

Tracklist "Local Dogs":

  1. Lonely devil
  2. D.I.A.
  3. (Stardust
  4. Epicurus
  5. Wall Of Misery
  6. King Midas
  7. Stanley The Owl
  8. Druid Samhain
  9. Witch’s Tale
  10. Witchfinder General

Gesamtspielzeit: 48:09, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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