«

»

Elles Bailey / Shining In The Half Light – CD-Review

Elles Bailey / Shining In The Half Light

Zwei Babys auf einen Streich

Neulich im Auto auf dem Weg nach Delmenhorst – weltberühmt geworden durch "Getränke Hoffmann" (»Hinter Huchting ist ein Graben/Der ist weder breit noch tief/Und dann kommt gleich "Getränke Hoffmann"/Sag' Bescheid, wenn du mich liebst«), welcher ironischerweise in Delmenhorst gar keine Filiale hat – und es läuft im lokalen Formatradio für die Generation der nicht mehr Werberelevanten überraschenderweise nicht Element Of Crime, sondern es wird ausführlich das 'Album der Woche' vorgestellt … inklusive eines Interviews mit einer Künstlerin namens Elles Bailey.

Nun mag besagte Dame für 'Bremen Eins' und seine Stammhörer*innen eine geradezu subversiv unbekannte Underground-Entdeckung als Reminiszenz längst vergangener progressiver Beat Club-Zeiten sein … der Rezensent verfolgt die Künstlerin aus dem englischen Bristol bereits seit fünf Jahren und ist bisher immer recht angetan gewesen, ohne dabei in Jubelstürme auszubrechen.

Vollkommen zufällig liegt ihm derzeit "Shining In The Half Light" tatsächlich zur Besprechung vor und die Anekdote mit 'Bremen Eins' mag als Beleg dafür gelten, dass Elles Bailey mittlerweile dem Nischendasein entwächst.
Das zu rezensierende Album hat es im Vereinigten Königreich auf Rang 1 der dortigen offiziellen Blues-Charts geschafft, Rang 2 der offiziellen Americana-Charts, Rang 4 der offiziellen Indie-Charts und Rang 42 der offiziellen UK-Album-Charts, nachdem die Sängerin und Songschreiberin sowohl 2020, als auch 2021 als 'UK Blues Artist of the Year' ausgezeichnet worden war.
Auch knapp 160.000 monatliche Hörer*innen bei einem schwedischen Streamingdienst sprechen eingedenk des Genres eine deutliche Sprache, haben doch Rezensent und Freunde in einem snobistischen Anfall alles über 1000 als Mainstream abgestempelt.

Doch was macht den doch etwas überraschenden Erfolg aus?
Klar, die Stimme von Elles Bailey war schon immer ihr großes Pfund, leicht rauchig und vom Timbre her dunkler als die musikalisch nicht weit entfernten Bonnie Raitt oder Susan Tedeschi. Von der teilweise brachialen Urgewalt einer Beth Hart ist sie dagegen weit entfernt.
Entgegen ihrer bisherigen Gepflogenheit, ihre Musik in Nashville mit Studiomusiker*innen aufzunehmen, entstand "Shining In The Half Light" zusammen mit ihrer heimischen Tour-Band in Devon, einer Grafschaft im Südwesten Englands. Dabei dürfte die Pandemie-Thematik keine geringe Rolle gespielt haben, was auch für das Songwriting an sich gilt. So sieht Elles Bailey ihr neues musikalisches Baby als das bisher persönlichste an, welches sie zeitlich passend zur Geburt ihres ersten Kindes nicht hätte erfolgreicher abschließen können.

Als gelungener Schachzug darf gewertet werden, dass mit Dan Weller (Enter Shikari, Young Guns) ein Vertreter weitaus härterer Klänge als Produzent gewonnen werden konnte … vom doch eher konservativen Blues Rock-Mief der großen Vorhersagbarkeit ist "Shining In The Half Light" meilenweit entfernt. Die Britin suhlt sich vielmehr genüsslich in vollmundiger Americana, lässt gospelige Frauenpower im Hintergrund mitlaufen und schleift den Roots Rock relativ rund, ohne dabei beliebig zu werden. Sie erinnert in der musikalischen Umsetzung latent an Bonnie Raitt zu "Nick Of Times"-Zeiten (ihr Gitarrist Joe Wilkins weiß auch das kleine Metallröhrchen zu bedienen), was zumindest eine Grammy-Nominierung nicht ganz utopisch erscheinen lässt und wartet dabei mit Songs auf, die nur vordergründig etwas glatt erscheinen, sich aber alsbald als kleine Ohrwurm-Kleinode entpuppen. Etwas spät – und insgesamt leider viel zu selten – lässt sie bei "Sunshine City" auch mal den Rock’n’Roll vom Stapel.
Ihr ansonsten eher krachiger Produzent hat es hervorragend verstanden, einen vergleichsweise üppigen und doch vornehm zurückhaltend, homogenen Begleitsound zu kreieren, der Elles Bailey als Sängerin noch stärker strahlen lässt, ohne dass diese auch nur ansatzweise zu Manierismen greifen müsste. Wer noch die alten Susan Tedeschi-Solosachen kennen sollte, wird sich auch hier zurechtfinden und gleichzeitig feststellen, dass alles auf wundersame Weise in einem eher altmodischen Genre erstaunlich modern klingt.

Fazit:
Mit "Shining In The Half Light" gelingt der sonnigen Neu-Mutter Elles Bailey hörbar ein erstes Karriere-Highlight, welches für den Geschmack des Rezensenten allerdings mehr Pfeffer hätte vertragen können. Das wiederum ließe selbigem im Formatradio keinerlei Chance auf das 'Album der Woche' und der Rezensent wäre um eine Anekdote ärmer gewesen.
Insofern wurde alles richtig gemacht, einschließlich der Aufmachung im aufklappbaren Digi-Sleeve mit inkludiertem Booklet und allen Texten zum Nachlesen … heutzutage leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Elles Bailey wird den Bekanntheitsgrad von Delmenhorst garantiert noch übertreffen.


Line-up Elles Bailey:

Elles Bailey (lead vocals, piano #10, percussion #7)
Joe Wilkins (guitars)
Kris Donegan (guitar #3,4)
Matthew Waer (bass)
Matthew Jones (drums, percussion)
Jonny Henderson (piano, wurlitzer, hammond, clavinova)
Izo FitzRoy, Jade Elliot & Andrusilla Mosley (backing vocals)

Tracklist "Shining In The Half Light":

  1. Cheats And Liars (3:49)
  2. The Game (3:04)
  3. Stones (3:25)
  4. Colours Start To Run (3:28)
  5. Different Kind Of Love (4:00)
  6. Who’s That (3:41)
  7. Sunshine City (4:17)
  8. Halfway House (4:49)
  9. Riding Out The Storm (4:30)
  10. Shining In The Half Light (3:38)

Gesamtspielzeit: 38:49, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>