Möglicherweise wundern sich nun manche, dass ausgerechnet ich diese Box bespreche, da sonst eher 'Morlock-Musik' mein Metier ist. Doch gerade die "Ocean" war damals als ich sie kennen gelernt habe, für mich das wunderschöne musikalische Pendant zu den 'Eloi' in "Die Zeitmaschine" von H. G. Wells, nach denen sich die Band Eloy bekanntlich benannt hat.
Ich weiß gar nicht mehr, wie die Begegnung war und wodurch mein Interesse geweckt wurde, aber das inhaltliche Konzept passend zu sanft fließenden Klängen hat mich sofort begeistert. Im Laufe der Zeit habe ich mir noch einige weitere Scheiben der Hannoveraner zugelegt, die mir ebenfalls gefielen und noch gefallen, wobei jedoch keine an den Status der "Ocean" herankam – für mich. Ich kann mich noch erinnern, dass es damals Kritiker gab, die das anders sahen und meinten, die Platte wäre nicht progressiv genug. Rückblickend ist sie für viele jedoch herausragend, was die Qualität anderer Werke nicht schmälern soll.
Doch fangen mit dem Anfang an … der Schöpfung von Eloy. Diese fand 1969 statt, also im Jahr der Mondlandung und Woodstock – irgendwie ist von beidem etwas in der Musik von Eloy zu spüren, zumindest empfinde ich das so.
Einziges permanentes Mitglied seit damals ist Gründer, Gitarrist, Sänger und Komponist Frank Bornemann, der 2017 "The Vision, The Sword And The Pyre – Part I" veröffentlichte ("Part II" soll demnächst folgen), also noch aktiv ist.
50 Jahre hält er nun also die Band am Leben. Anlässlich dieses Jubiläums wurden drei Werke aus der sogenannten klassischen Phase neu aufgelegt als Box "The Classic Years Trilogy". Da stellt sich die Frage, warum nicht mit dem Debüt begonnen wurde. Die Antwort darauf lautet, dass es sich um die kommerziell erfolgreichste Phase handelte und außerdem um die musikalisch-kreativen Höhepunkte der Band bzw. das kreativste Line-up (diese bestand von 1976 bis 1979). Lassen wir das mal so dahingestellt, egal ob es möglicherweise andere Ansichten gibt – Fakt ist, die Box ist wirklich FETT!!
Alle drei LPs sind mit Klappcover (auch die "Dawn", die im Original keins hatte) ausgestattet, deren Innenseiten Lyrics und Fotos beinhalten, von Eloy-Grafiker Michael Narten überarbeitet. Die Farben erscheinen sorgfältig restauriert, erstrahlen irgendwie in neuem Glanz. Die äußere Seite von "Ocean" und "Silent Cries And Mighty Echoes" ist ansonsten unverändert.
In einer vierten Klapphülle befinden sich eingeschoben die drei Werke auf CD, während auf der linken Innenseite Zitate dazu aus dem Eloy-Fanzine "Magic Mirror" abgedruckt sind. Die Musik wurde natürlich auch sorgfältig restauriert (von Produzent/Musiker Eroc, der ja besonders als Spezialist für das Remastern von alten Aufnahmen gilt).
Vor allem wer noch nicht alles auf CD oder Vinyl hat, sondern manches so und anderes so, sollte hier zuschlagen, Sammler werden dies durch die Limitierung auf 2000 Stück sowieso tun. Der Preis mag im ersten Moment etwas abschrecken, ist jedoch für drei hochwertige, schwere LPs im Gatefold-Cover und die drei CDs im Extra-Gatefold durchaus angemessen.
Nun etwas ausführlicher zu den einzelnen Werken, auch wenn sie vielen Lesern bereits vertraut sind (und seit Langem geschätzt werden).
Die "Dawn" von 1976 habe ich immer als 'esoterisch' bzw. ’spirituell' empfunden, durchflutet von Sonnenschein, nicht nur auf dem Cover und in "The Sun-Song", sondern als inhaltliches Motiv im Hintergrund der ganzen Scheibe. Wobei es sich wohl um ein Konzept über einen Mann handeln soll, der nach seinem Tod als Geist wiederkommt, mit positiven Impressionen.
Schon der Opener "Awakening" ist verträumt, die Orchesterarrangements wirken spielerisch leicht und schön. Sanft kriecht die Dämmerung aus den Boxen. Das Gefühl von Harmonie mit der Natur soll dann die nächste dreiviertel Stunde anhalten, auch wenn die Musik durchaus rockiger und proggiger wird, schon beim zweiten Stück "Between The Times". Der bereits erwähnte "The Sun-Song" ist wieder etwas ruhiger, ich stelle mir hier immer einen lichtdurchfluteten Wald vor, in dem Nymphen tanzen. Völlig berechtigt taucht dieses Stück immer noch in der Live-Setlist auf. "The Dance In Doubt And Fear" ist etwas unruhiger, überzeugt eher durch die reizvolle Rhythmik. Auch "Lost? (Introduction)" weist interessante Feinheiten auf und zeigt weitere Facetten der Musik von Eloy.
Ich will diese nun gar nicht alle einzeln erwähnen, Fans kennen diese längst und neugierige Neulinge sollten einfach in die Klangwelt eintauchen und sie auf sich wirken lassen. "Gliding Into Light And Knowledge" ist nicht nur als Begriff wunderschön, sondern spiegelt auch etwas von der musikalischen Reise wider, die hier zu erleben ist. Egal, ob man die Scheibe nun durch die Lyrics eher etwas esoterisch betrachtet oder aus rein musikalischer Sicht als harmonischen Kraut/Prog-Rock – sie lohnt sich auf jeden Fall. Immer noch und immer wieder.
Tracklist "Dawn":
- Awakening (2:28)
- Between The Times (6:08)
- The Sun-Song (4:55)
- The Dance In Doubt And Fear (4:25)
- Lost? (Introduction) (5:18)
- Lost?? (The Decision) (5:02)
- The Midnight Fight / The Victory Of Mental Force (8:10)
- Gliding Into Light And Knowledge (4:13)
- Le Réveil Du Soleil / The Dawn (6:49)
Gesamtspielzeit 47:48, Erstveröffentlichung 1976
1977 folgte "Ocean", wie bereits oben erwähnt, mein Favorit von Eloy. Niemals sonst, empfand ich, kam die Band meiner Vorstellung der Eloi von H.G.Wells so nahe, deren Zartheit und Unschuld. Das Werk besteht aus nur vier Songs, diese haben jedoch Überlänge. Der Opener "Poseidon’s Creation" lässt sich fast fünf Minuten Zeit, bis der Gesang einsetzt, vorher scheinen die endlosen Wellen des Ozeans das Klangbild zu beherrschen. Dann zeigt sich das legendäre Atlantis … bzw. dessen Geschichte wird erzählt. Insgesamt elf epische Minuten lang versetzt uns das Stück in die griechische Sagenwelt.
"Incarnation Of Logos" kommt schneller zur Sache, ist jedoch nicht weniger verträumt und schön, wirkt lediglich etwas kompakter. Voller Erhabenheit wird hier von der Schöpfung aus dem Nichts und schließlich der Erschaffung der Menschen erzählt. Damit weicht das Sphärische etwas rockigeren Klängen, was sich in "Decay Of Logos" fortsetzt. Meiner Meinung ist dies der schwächste Song auf der "Ocean", obwohl der Unterschied klein ist und die etwas aggressivere Ausrichtung zum Inhalt passt.
Mit dem finalen "Atlantis' Agony At June 5th 8498 – 13 p.m. Gregorian Earthtime" (was für ein Titel … – und dann passend dazu ist das Stück eine Viertelstunde lang) geht es wieder zurück nach Atlantis. Gewagt ist hier nicht nur die Länge, sondern dass die erste Hälfte vorwiegend aus Gesprochenem und Geräuschen besteht, daher fast wie ein Hörspiel wirkt, das teilweise mit sphärischen Sounds unterlegt wurde. Erst nach gut der Hälfte (acht Minuten) wandelt sich der Track zu einem Prog Rock-Song, wobei dieser immer noch sehr sanft und atmosphärisch ist.
Wenn Detlev Schmidtchen meint, dass er damals fasziniert war von den Pink Floyd-Werken Dark Side Of The Moon und Wish You Were Here muss ich ergänzen, dass die "Ocean" für mich tatsächlich einen ähnlichen Stellenwert erreicht.
Tracklist "Ocean":
- Poseidons’s Creation (11:38)
- Incarnation Of Logos (8:25)
- Decay Of Logos (8:15)
- Atlantis' Agony At June 5th 8498 – 13 p.m. Gregorian Earthtime (15:35)
Gesamtspielzeit: 44:08, Erstveröffentlichung 1977
1979 folgte "Silent Cries And Mighty Echoes". Der Opener "Astral Entrance" bietet genau das, was der Titel behauptet: wunderschöne Gitarrenklänge, die aus der Astralebene zu kommen scheinen und die Scheibe sehr stimmungsvoll einleiten. Bei "Master Of Sensation" wird es dann gleich deutlich rockiger/proggiger. Hier gibt es auch tolle Tastentöne. "The Apocalpyse" ist ein überlanger Song von fast einer Viertelstunde, erinnert daher (auch inhaltlich) ein wenig an "Atlantis' Agony At June 5th 8498 – 13 p.m. Gregorian Earthtime" vom Vorgängeralbum, hat aber nicht dessen musikalische Zweiteilung, dennoch sind unterschiedliche Parts unterschiedlichen Charakters vorhanden. Einiges davon ist ohne Franks Gesang, er kann sich daher auf die Gitarre konzentrieren, was ich durchaus als Hörgenuss empfinde, denn mir gefällt, wie er spielt. Während ich die "Dawn" mit Wald verbinde, die "Ocean" mit Wasser assoziierte, denke ich hier irgendwie an den Weltraum … auch wenn das eigentlich gar nicht Thema ist.
Obwohl die Musik von Eloy sich gar nicht gravierend unterscheidet, so finde ich doch, dass jedes Werk eine eigene Klangfarbe hat, so wie auch die Cover jeweils von einer Farbe dominiert werden, zumindest was die drei hier in der Box betrifft.
Trotz einiger wirklich guter Momente, die durch ihren Bombastsound oder durch spieltechnische Fähigkeiten überzeugen, ist meiner Meinung nach die "Silent Cries And Mighty Echoes" das schwächste Werk von diesen drei, was keineswegs schlecht bedeutet, sondern nur, dass die anderen noch besser sind. Vielleicht deutete sich dabei auch schon die kommende Line-up-Veränderung an, denn Detlev Schmidtchen und Jürgen Rosenthal verließen Eloy danach. Die 'klassische' Phase war damit beendet.
Tracklist "Silent Cries And Mighty Echoes":
- Astral Entrance (3:03)
- Master Of Sensation (6:01)
- The Apocalypse (14:54)
- Pilot To Paradise (7:01)
- De Labore Solis (5:12)
- Mighty Echoes (7:16)
Gesamtspielzeit: 43:43, Erstveröffentlichung 1979
Line-up Eloy (1976 – 1979):
Frank Bornemann (Gesang, Gitarre)
Klaus-Peter Matziol (Bass, Gesang)
Jürgen Rosenthal (Schlagzeug, Percussion, Stimme)
Detlev Schmidtchen (Tasteninstrumente, Gitarre, Xylophon)
Erscheinungsjahr "The Classic Years Trilogy": 2019 (1976, 1977, 1979)
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