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Epitaph / Five Decades Of Classic Rock – 3CD-Review

Epitaph / Five Decades Of Classic Rock

Die Halbwertzeit für deutsche Top-Bands scheint ziemlich hoch ausgeprägt zu sein. In den letzten beiden Jahren konnten sich legendäre Formationen wie Birth Control, Bröselmaschine oder Guru Guru bereits ins goldene Buch der Rockmusik eintragen: 50 Jahre aktiv und noch kein bisschen leise. Nun reihen sich Epitaph ebenfalls ein in den Reigen dieser Dauerbrenner – und Epitaph gehören zu den Bands, die eben auch jenseits der Grenze sehr erfolgreich waren. Hier legen sie eine wunderschöne Kompilation mit drei CDs vor, die weit mehr darstellt als nur ein simples Best-Of.

Ob sie es selbst wohl geahnt haben, als sie sich damals im Winter 69/70 erstmals im Dortmunder Musikclub Fantasio versammelt haben, dass sie 50 Jahre später noch immer zu den angesagtesten Bands im Lande gehören werden? Die Briten Cliff Jackson und James McGillivray sowie Bernd Kolbe aus heimischen Gefilden bildeten das Start-Line-up, Cliff und Bernd sind heute noch dabei. Schon vor dem ersten Album verstärkte Klaus Walz das Trio und sorgte damit für einen entscheidenden Impuls, denn der Sound von zwei Gitarren sollte zum Markenzeichen der Band werden. Die schönen Twin-Guitar-Passagen wecken bei mir auch heute noch Erinnerungen an Wishbone Ash und manchmal, wenn die Post wieder einmal etwas mehr abgeht, gelegentlich auch an Lynyrd Skynyrd. Der Geist des "Freebirds" weht uns gelegentlich um die Nase.

Diese beiden Vergleiche zeigen eben auch, dass Epitaph im Grunde nie eine klassische Krautrock-Band gewesen ist. Vielleicht war es ja der britische Einfluss, dass die gitarrenorientierte Musik der Jungs einen klaren anglo-amerikanischen Touch besaß und bis heute behalten hat. Kein Wunder also, dass ausgerechnet Epitaph recht häufig den Atlantik überquerten und einst vor langer Zeit sogar mal ein Album (Outside The Law) in Chicago produzierten – und wer weiß, wohin die Reise gegangen wäre, wenn nicht die Plattenfirma Konkurs angemeldet hätte. Die gesamte, spannende Bandgeschichte wird übrigens sehr lebendig auf der Webseite der Band erzählt, es lohnt sich, da mal rein zu schauen. Einige von diesen Geschichten erzählte mir Heinz Glass einst nach einem Konzert in Duisburg, sozusagen aus erster Hand. Die amerikanische Geschichte allerdings nicht, da war er noch nicht dabei. Ich weiß noch, wie er begeistert berichtete, mit vierzehn Jahren einst einen gewissen Jimi Hendrix in Kaiserslautern live gesehen zu haben. Danach wusste er, was er zu tun hatte. 1977 stieg Heinz für Klaus ins Line-up ein und ist heute noch dabei. Vervollständigt wird die Band aktuell durch einen Dortmunder Jung am Schlag, nämlich Carsten Steinkämper.

Die Zusammenstellung ist thematisch geordnet und strukturiert. CD 1 befasst sich mit der ersten Bandphase bis 1985, CD 2 bietet eine Übersicht von Songs aus dem neuen Jahrtausend und der dritte Silberling bietet einige Überraschungen, simpel als 'Covers, Demos & Jams' betitelt.

Doch wer nun gerade bei den Klassikern auf der ersten Scheibe eine schlichte Aneinanderreihung der bekanntesten Titel erwartet, sieht sich positiv überrascht. Klar sind Headliner wie gleich zu Beginn das mitreißende "Stop Look And Listen", "Big City" oder "Ain’t No Liar" dabei, doch die Songs kommen weitgehend in einem neuen Gewand daher. Wohl auch, weil die Rechte an den Liedern der Anfangstage Alternativen nötig machten. Das freut natürlich den Fan, der gerade die alten Scheiben alle im Schrank stehen hat und hier mit tollen Live- oder Akustik-Versionen verwöhnt wird. Ein satter Pluspunkt für das Album. So stammt "Early Morning" in der hier vorgestellten Version aus dem legendären Reunion-Konzert in der Lindenbrauerei von Unna. Es bezeichnet den Moment, wo Epitaph nach einer fünfzehnjährigen Pause endlich wiederbelebt wurde und markiert damit sicher einen der wesentlichsten Meilensteine in der Bandgeschichte.

Die zweite CD eröffnet in der ersten Hälfte mit einem mächtigen Block vom starken Album Remember The Daze aus dem Jahr 2007. Neben dem Titelsong schafften es weitere fünf Nummern auf diesen Sampler und vor allem das orientalisch geprägte "East Of The Moon" turnt mich an. Man muss nicht im Inlet nachlesen, dass die Inspiration zu diesem Song von George Harrison ausgegangen ist – man hört es laut und deutlich heraus. "Ride The Storm" ist das Flagschiff vom Album Dancing With Ghosts und zieht mit drei weiteren Nummern in die Galerie der Highlights aus 50 Jahren ein.

Bei der Live-Einspielung von "One Of These Days" kommen übrigens sechs Cellisten unter dem beziehungsreichen Namen The Epitaph Fire Strings genauso zum Einsatz wie Tim Reese an der Violine und Klaus Henatsch an den Tasten. Gewaltige Soundwände türmen sich da auf.

Den Abschluss bilden drei Nummern vom letzten Album Long Ago Tomorrow und thematisieren weitgehend die Erfahrungen der Band aus der Zeit in Chicago, als sich die Dinge plötzlich und unerwartet so ungünstig entwickelten. Dass man aus einem Tal wieder herausfinden kann, zeigte die Zukunft der Band und ist Inhalt der letzten Nummer, "Keep Standing Like A Rock". »Walk on, walk on, with hope in your heart…« singt man bei meinem favorisierten Fußballverein. Geht in die gleiche Richtung.

Die wahre Schatztruhe öffnet sich aber, wenn man den dritten Silberling in den Player schiebt. Da gibt es ein paar Versionen, wo einem spontan ein paar Tränen in die Augen schießen können. Ich weiß ja als bekennender Gov’t Mule-Fan, dass eine wirklich gute Band nicht nur ihr eigenes Zeug spielen kann. Wer gut ist und in der Lage, sich auch in andere Menschen, Stimmungen und Songs hinein zu versetzen, der kann covern. Und covern heißt eben nicht, einfach nur nachzuspielen. Fremdes Material anzunehmen und doch so zu verarbeiten, dass man es am Ende zum eigenen Song macht, das ist die hohe Kunst, anderen Werken seinen Respekt zu bezeugen. Ich bin glücklich und dankbar, dass man mit "Sympathy" eine Band ehrt, die ich sehr liebe – Rare Bird, eine tolle, progressive Band der frühen Siebziger. Und als ob sie meine These über Cover-Versionen bestätigen wollten, wird aus einer schwermütigen und rein vom Keyboard gespeisten Nummer eine völlig neue Sache mit sanften Streichern und riffigen Gitarren. Song absorbiert und Adaption gelungen. Sehr geil.

Ein wenig näher am Original liegt das großartige "Albatross", selbstredend von Peter Green’s Fleetwood Mac. Was Heinz hier aus seiner Gitarre raushaut, verschafft mir eine Gänsehaut – und doch hat er noch einen auf Lager, wo sich dieses Gefühl noch einmal potenziert. Dann, wenn er seine Vision von "Villanova Junction" akustisch einspielt. Jimi beendete damit einst das Woodstock-Festival, hier soll die Einspielung gemäß Beilage in einem Take einfach mal so durchgezogen worden sein. So wie vor ein paar Jahren Peter Bursch und seine Bröselmaschine das Indian Camel in einer einzigen Improvisation haben fliegen lassen. Ehrfurchtsvolle Andacht ist es wohl, die mich dabei erfasst – ein wohliger Schauer aus den Sphären des Rock’n’Rolls und der Verbundenheit mit unseren alten Helden, die nicht mehr bei uns sind. Der Wahnsinn.

Weiter finden wir Cover-Versionen von Taste, sozusagen als Tribut für Rory, mit dem Epitaph die Bühne teilte, es gibt das obligatorische Cover von "All Along The Watchtower", hier aber in einer sehr schönen, von Cliff arrangierten akustischen Version, die diesem so oft reproduzierten Song völlig neue Nuancen verleiht. Ganz ähnlich wie der Acoustic-Jam zu "Outside The Law", dem Titelsong der in Chicago produzierten Scheibe. Mann, geht da die Post ab, sicher auch, weil mit Tim Reese ein gern gesehener Gast an der Violine sich zwischenzeitlich einen Wolf geigt. "Edge Of The Knife" kommt mit dem Paramabira Choir aus Jakarta, Indonesien besonders harmonisch daher und der Chor hat später die Ehre, mit einer a capella-Version von "Sad Song" das hinreißende Album beenden zu dürfen, eine Werkschau, die nicht nur die Klasse der Band ausdrücklich unterstreicht, sondern die auch mit viel Gefühl und Verstand zusammengestellt wurde. Ganz besonders erwähnen möchte ich das geile Cover-Artwork von Stefan Keller. Auf dem Bild ragen die Oberglieder von fünf Fingern einer riesigen vergrabenen Hand aus einem wüstenartigen Boden, erinnern in ihrer Form und Anordnung ein wenig an Stonehenge. Die Finger scheinen nach dem Mond zu greifen, hinter dem versteckte Sonnenstrahlen durchbrechen – genau die Konstellation wie im Plot von Kubriks Meisterwerk "2001: Odyssee im Weltraum". Wow, der Film ist entstanden, kurz bevor die Jungs den Dortmunder Keller erstmals betraten und mit seiner Metaphorik über Zeit und Raum sicher eine bestens geeignete Parabel auf eine 'unendliche' Band. Geil, wenn’s denn so gemeint ist.

Epitaph haben im Verlauf ihrer Karriere über ein halbes Jahrhundert dreimal im Rockpalast gespielt, mehrmals in den Staaten getourt und gehören zu den wenigen Urvätern deutscher Rockmusik, die auch das Studio des Beat Clubs noch kennenlernen durften. Meilensteine für Musik Made In Germany. Ein Garant für ihren andauernden Erfolg mag auch in ihrem Songwriting liegen, das war immer schon Klasse. Mitreißende Nummern mit klassisch rockigem Drive, aber immer auch mit musikalischen Finessen und einem ausgeprägten Sinn für geile Melodik. Wer 50 Jahre am Ball bleiben will, muss mit dem Spielgerät umgehen können.

Mögen sie uns noch lange erhalten bleiben, denn wer die neueren Einspielungen kennt, der weiß, dass die Jungs immer noch vor Ideen sprühen und es nach wie vor draufhaben. Es ist viel Zeit vergangen seit damals in den Kellergewölben von Dortmund. Die Liebe und Leidenschaft jedoch, die erstmals unter dem Namen Fagin’s Epitaph entfacht wurde, die brennt bis heute noch.

So soll das bitteschön auch bleiben.


Line-up Epitaph (aktuell):

Cliff Jackson (guitar, vocals)
Bernd Kolbe (bass, vocals)
Heinz Glass (guitar, vocals)
Carsten Steinkämper (drums, percussion)

Former members:
Jim McGillivray (drums)
Achim Poret (drums)
Fritz Randow (drums)
Klaus Walz (guitar)
Michael Karch (keyboards)
Harvey Janssen (bass)

Tracklist "Five Decades Of Classic Rock":

CD 1:

  1. Stop Look And Listen
  2. Visions (Acoustic)
  3. Early Morning
  4. Crossroads
  5. Little Maggie
  6. Reflections
  7. Woman
  8. Big City
  9. In Your Eyes
  10. Return To reality
  11. On The Road
  12. Bad Feeling
  13. Summer Sky
  14. Heartless
  15. Ain’t No Liar

CD 2:

  1. Hole In My Head
  2. Cold Rain
  3. Evermore
  4. Remember The Daze
  5. Ships In The Dark
  6. East Of The Moon
  7. Dancing With Ghosts
  8. Ride The Storm
  9. Can’t You See
  10. Nightmare
  11. One Of These Days
  12. Sad Song
  13. Windy City
  14. Lost In America
  15. Keep Standing Like A Rock

CD 3:

  1. What’s Going On
  2. Are You Ready
  3. Sympathy
  4. Albatross
  5. All Along The Watchtower
  6. Edge Of The Knife
  7. Villanova Junction
  8. Love Child
  9. Good Times
  10. Who Do You Love
  11. Train To The City
  12. Outside The Law (Acoustic Jam)
  13. Sad Song (Paramabira Choir)

Gesamtspielzeit: 79:08 (CD 1), 76:37 (CD 2), 60:36 (CD 3), Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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