Epitaph / History Box 2 – The Poydor Years 1971-1972 – 2CD-Review

So umfangreich sowohl unser Künstler-Index als auch Archiv mittlerweile sind (wie wir durchaus stolz bemerken dürfen), so staunt zumindest der Verfasser dieser Zeilen immer wieder mal, wer bzw. welche Alben noch nicht darin vertreten sind. Die Lücke im Backkatalog von Epitaph können wir nach der kürzlich hier vorgestellten History Box 1 – The Brain Years 1979-1981 mit der mir nun vorliegenden "History Box 2 – The Polydor Years 1971-1972", sprich den ersten beiden Studioalben plus Bonus-Material – aber nun glücklicherweise schließen. Zwei sehr starken Alben, die die Ende der sechziger Jahre in einem Dortmunder Club zusammen gebrachten Musiker Cliff Jackson, Bernie Kolbe und Jim McGillivray sowie dem kurz vor den Aufnahmen des Debütalbums dazu gestoßenen zweiten Gitarristen Klaus Walz auf den Weg brachten, ihren Platz in der deutschen Rock-Geschichte auf qualitativ sehr hohem Niveau zu untermauern. Jeweils nur fünf (zugegebenermaßen längere) Tracks fanden ihren Platz auf den jeweiligen Platten.

Bereits das gleichnamige Debüt bestach durch seine Spielfreude, starke Songs, dem coolen Sound, mit Jackson sowie Kolbe zwei gleichberechtigten und gleichstarken Sängern und auf den ca. 37 Minuten Spielzeit lassen sich weder schwächere Songs noch Momente ausmachen. Seine Favoriten darf sich natürlich selbst raussuchen, dem Rezensenten haben es hier in erster Linie "Visions" und sein Lieblings-Stück "Little Maggie" angetan. Da durfte man ohne mit der Wimper zu zucken von einem Einstand nach Maß sprechen. Mit Album Numero 2, sprich "Stop, Look And Listen" legte das Quartett aber sogar noch einen oben drauf, indem es alle Qualitäts-Faktoren des Debüts behielt und hinsichtlich des Songwritings sogar noch zulegte. Mittlerweile natürlich auch durch die vielen Konzerte hervorragend eingespielt, wirkt das Zusammenspiel hier noch verfeinerter, noch subtiler und alles sogar noch ein Stückchen besser aufeinander ausgerichteter, als beim schon sehr starken Erstwerk. "Crossroads", das melancholische "Nightingale" oder das fast zehnminütige Titelsong gehen runter wie Öl, wobei auch die beiden anderen Nummern "Fly" sowie "Uptight" zu keiner Zeit nachlassen. Zwei Alben, die in keier Rock-Sammlung fehlen sollten.

CD 2 bietet dann die erstaunlich starke Quantität von 18 Bonus Tracks. Und was für welche! Zunächst gibt es die zwei wahrscheinlich ersten Tracks, die die Band – noch als Trio von Jackson, Kolbe und McGillivray – unter eigenem Namen in einem Studio im April 1970 live eingespielt hat. Nicht nur ist hier bereits die klare Handschrift der Combo zu erkennen, sondern sehr cool ist auch, dass sich Cliff und Bernie die Lead Vocals bei "I’m Trying" teilen. Wenige Monate später stieß Klaus Walz als zweiter Gitarrist zu Epitaph und wir dürfen an zwei Tracks der Combo aus dem Beat Club im Jahr 1972 teilnehmen. Gefolgt wird das Ganze von dem bärenstarken "London Town Girl", "Paradise For Sale", dem vom Rezensenten immer schon geliebten "Autumn ’71" sowie "Are You Ready", die seinerzeit auf keinem Album vertreten waren, sondern als Single-A- oder B-Seiten veröffentlicht wurden. Bärenstarkes Material!

"Long Tall Sally" sowie stammen von einer Session für ein Album mit Rock’n’Roll-Covers und "Feeling Shaky" aus den Sessions, bei denen die Band den Blues-Pianisten Günter Boas begleitete. Das Herz-Stück sind allerdings die sechs Tracks aus einem 1975 entstandenen Demo, aus dem eigentlich das Nachfolge-Album zu Outside The Law entstehen sollte. Da das Album nie fertig gestellt, geschweige denn veröffenrtlicht wurde, ist das Ganze natürlich umso interessanter. Hinter den Drums hatte mittlerweile Norbert 'Panza' Lehmann Platz genommen und es ist fast schon ein Drama, dass diese starken Tracks für Jahrzehnte im Gewölbe einer Plattenfirma verstaubt sind. "Better Games", "We Love You, Alice", "She’s Burning" … man könnte alle sechs Tracks namentlich aufführen. Erneut gilt: Bärenstarkes Material!

Die "History Box 2" von Epitaph lohnt sich gleich aus mehreren Gründen, um nicht zu sagen auf ganzer Länge: Zum einen bekommen wir die ersten beiden kompletten Alben, dazu die damals veröffentlichten Singles und als wahrscheinlich wertvollsten Bonus sechs Tracks eines bis heute unveröffentlichten Albums. Der Rezensent mag zwar (fast) alle Alben der Band, aber die erste Hälfte der siebziger Jahre ist eindeutig seine Lieblings-Phase von Epitaph. Dicke Empfehlung!

Line-up Epitaph:

Cliff Jackson (lead & rhythm guitars, vocals)
Klaus Walz (lead& rhythm guitars)
Bernd Kolbe (bass, vocals)
Jim McGillivray (drums)

With:
Norbert 'Panza' Lehmann (drums – CD 2 – #9-14)
Gottfried Böttger (piano – CD 2 – #16,17)
Günter Boas (piano – CD 2 – #18)

Tracklist "History Box 2 …":

Gesamtspielzeit: 72:52 (CD 1), 79:39 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2023