
Einhornfreie Zone!
Seit ihrer Premieren-EP im Jahr 2012 begleite ich nun schon schreiberisch die Bremer Gruppe Eyevory und ihren extrem melodischen Rock mit Prog-Elementen und viel, viel Fantasy. Und immer hat es viel geglitzert; aber immer haben sie die Kurve gekriegt, bevor es kitschig geworden wäre. Sie reiten halt keine Einhörner, sondern satteln schon eher den Pegasus, um mit ordentlich PS in fantastische Gefilde abzuheben. Und da bleiben sie sich absolut treu, auch mit "Aurora", dem inzwischen dritten Album in voller Länge. Im Gegensatz zum megastarken Vorgängerwerk Inphantasia handelt es sich nicht um ein Konzeptalbum, sondern um thematische Einzelstücke. Dieses Mal gab es auch keinerlei Gastmusiker – also auch zum Beispiel kein Cello, kein Akkordeon und auch keinen Kinderchor. Auch das trägt dazu bei, dass "Aurora" im Ganzen weniger episch wirkt. Es macht die Musik aber auch knackiger und kondensiert das Eyevory-Erlebnis mehr auf die Song-Ebene – macht die Kompositionen natürlich auch live ’spielbarer'. Die Position des Drummers konnte man mit Christian Schmutzer übrigens endlich wieder fest besetzen.
Ob mit oder ohne Gastmusiker, ob Konzept oder nicht – die musikalischen Landschaften, die Eyevory bauen, haben sich wenig verändert. Ihr Klang ist gesprägt vom Nach- und Miteinander träumerischer Atmosphären – mal zart, mal kraftvoll. Kaja Fischers Querflöte ist hier mitprägend, spielt und umspielt Melodien, läuft auch mal parallel mit David Merz' Gitarren.Die gehen hier und da erfreulich hart rockend zu Werke; das schafft Kontrapunkte, die den Puls nach oben treiben – sei es mit scharfkantigem Rhythmusspiel ("Forever Endeavour"!) oder mit mitreißenden Hard Rock-Soli (herauszuheben zum Beispiel bei "Limelight"). In der DNS der Band ist natürlich auch der weibliche Leadgesang fest verankert, jener der Frontfrauen Jana Frank und Kaja Fischer, die immer wieder mit- und nacheinander den Ton angeben. Die gedoppelten Passagen sind ’natürlich schön' – und bei "Soulmates" gibt es sogar leicht Kanon-artige Ansätze, was noch mal besonders herausragt.
Wenn "Aurora" nun aber kein Konzeptalbum ist, und der Vorgänger auch noch so bockstark war … wie soll es dieses aufs Wesentliche heruntergebrochene Album schaffen, da mitzuhalten, wenn die Band es auch nicht (oder sagen wir, selten) 'gewagt' hat, große Experimente einuzugehen oder sich an irgendeiner Stelle neu zu erfinden? Diese Frage darf man sich stellen. Und bekommt eine Antwort, einfach nur durch Qualität. Da gehen diese Nummern extrem schnell ins Ohr, und so ganz en passant merkt man auch noch, welche Details dahinterstecken, wie verschachtelt, und doch griffig und intuitiv die Melodien ineinandergreifen, welche Wirkungstreffer die Breaks zwischen hart und zart erzeugen, selbst bei einer anfangs unscheinbaren Ballade wie "Slowly Falling", die nach pittoreskem Piano-Start noch sehr eindringlich an Schwerkraft zulegt.
Zu absoluten Highlights des Albums werden die Power-Hymne "Roses", die ein wenig an Magnum erinnert, aber ganz in Eyevory’scher Eigenart noch einige hübsch verproggte Signale ins Hörzentrum sendet, "Forever Endeavour" dank seiner heavy und hochtourigeren Ausrichtung sowie – fast überraschenderweise – auch eine ruhig angelegte Nummer, nämlich "Soulmates". Es geht blütenzart und malerisch los – aber schon die Details sind faszinierend, wie die unterschwellig an Drive zulegende Rhythmusgitarre in der zweiten Strophe; die Melodie sowieso. Mittendrin dann plötzlich die E-Gitarre mit einem extralangen Thema, das die Grenze zwischen Rhythmus- und Melodiearbeit wunderbar verwischen lässt – in bester Kansas (!)-Tradition; toll! "Carry On Wayward Son" lässt ein wenig grüßen. Ach ja, und der abschließende knapp elf Minuten lange Song heißt: "Carry On" …
… ist das Zufall oder nicht? Die Frage an die Band müsste man womöglich mit demselben Zwinkerauge stellen, das bei der Antwort auch zugekniffen würde. Jedenfalls ist auch dieser Longtrack ein stattlicher Höhepunkt des Albums und gehört zum Besten, was Eyevory bislang aufgenommen haben. "Carry On" besticht durch eine packende Aneinanderreihung von Einzelteilen auf einer überzeugenden energetischen Berg-und-Tal-Bahn samt mutiger, verstörender Effekte, da, wo es besonders dramatisch wird. Auf Einflusssuche darf man sowohl in klassischen Genesis-Gefilden als auch bei Dream Theater-Langwerken à la "Metropolis" (Teil 1, Teil 2, whatever …) wildern. Heraus kommt auf jeden Fall Eyevory – ihr Klang ist ihnen eigen, da haben sie sich einiges erarbeitet. Und Songs schreiben können sie auch. Es wirkt bis zum wunderbaren Outro-Solo ganz am Schluss.
Châpeau in der einhornfreien Zone!
Line-up Eyevory:
Jana Frank (vocals, bass)
David Merz (guitars, synthesizer, piano, vocals)
Kaja Fischer (vocals, flute, piano)
Christian Schmutzer (drums, percussion)
Tracklist "Aurora":
- Unrest (5:05)
- Limelight (4:38)
- Roses (5:02)
- Slowly Falling (5:17)
- Forever Endeavour (5:08)
- Caught Between The Fires (4:27)
- Follow Me (5:40)
- Soulmates (4:58)
- Carry On (10:53)
Gesamtspielzeit: 51:10, Erscheinungsjahr: 2019
Neueste Kommentare