Ein 'Rocktheater nach Goethe', in deutscher Sprache, live uraufgeführt Ende August, als Studioaufnahme auf CD – alles Neuland für den Rezensenten. Klar, wir alle kennen Rock-Opern, so die mutmaßliche Mutter all dieser Produktionen, Tommy, oder weitaus weniger bekannte Musik-Filme wie "Lisztomania", vom selben Regisseur, Ken Russell, mit Adaptionen Franz Liszts Arbeit. Bonfire haben – auf Englisch – Schillers "Räuber" vertont und live aufgeführt und es gibt massig Musicals. Ein Rocktheater mit deutschen Texten, meist im Original gehalten, habe ich zumindest noch nicht gehabt.
Die Idee dazu stammt von Michael Manthey, der weitreichende Erfahrung mit der Produktion von "Faust – die Rockoper" sammeln konnte, die jahrelang live aufgeführt wurde. Bei der musikalischen Umsetzung "Faust’n’Rolls" oblag die Leitung Jimmy Gee, prämierter deutscher Rock-Gitarrist, der nicht nur die Komposition, sondern auch die meisten Instrumente für die Studiofassung übernahm. Auf der Bühne – und eigentlich sollte die Produktion schon seit April konstant touren – gibt es natürlich eine volle Begleitband, Solisten, Sänger, Chor, die komplette Nummer.
Knapp zwei Stunden literarischer Unterhaltung bekommt der Hörer, musikalisch toll in Szene gesetzt und für jeden Geschmack leicht verdaulich. Denn nicht Weltliteratur und Operngesang bestimmen diese Produktion, sondern eine kurzweilige Melange aus verschiedenen Genres, die das Bühnenstück als spannende Inszenierung vor dem inneren Auge entstehen lassen. Natürlich gibt es stimmungsvoll getragene Passagen, die Literaturvorlage, an die man sich weitestgehend eng gehalten hat, will das nun mal so. Aber wir haben auch fetzige Stücke, die auf der Bühne – die Darbietung soll an das Steam Punk-'Genre' erinnern – für turbulente Minuten sorgen.
Die "Ouvertüre" eröffnet die Vielzahl der einzelnen Stücke, ganze dreißig an der Zahl, mit einer gewissen Sanftmut, aber gleichzeitig auch erwartungsvoller Dramatik, bevor Eda Schilling mit "Das Puppenspiel" die erste Sangespassage eröffnet. Anfangs nur von ein wenig Piano unterstützt, gibt er die Einleitung zur weiteren Handlung. Im Zusammenspiel mit der dann einsetzenden Band intensiver werdend, im Chorus eindringlich, von kurzen instrumentalen Soli durchzogen, werden wir eingestimmt auf musikalische Spitzenleistungen (Anspieltipp). Das untermauert das unmittelbar danach folgende "Himmel und Hölle", als cooler Rock’n’Roll sehr an mein Lieblingsmusical, die "Rocky Horror (Picture) Show", erinnernd. Vor dem inneren Auge wirbeln die Akteure über die Bühne und diese Imagination macht richtig Lust, das Ganze live zu sehen.
»Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor« – eine der bekanntesten Textzeilen aus der deutschen Literatur wird als Refrain im gleichnamigen Hard Rock-'Stück' sehr dramatisch und in Ansätzen leicht proggig angehaucht vorgetragen und sorgt für mächtig viel Bewegung in den Extremitäten des Zuhörers.
Weiter geht es im munteren Wechsel zwischen balladesk sanft getragenen und fetzig rockenden Passagen, mal mit Chor im Hintergrund, mal als Duett oder auch solo gesungen. Mal hört man lediglich ein verhaltenes Piano, dann wieder kommt das komplette Repertoire der Instrumente zum Einsatz – alles äußerst gekonnt und songdienlich in die Dramaturgie eingeflochten. Selbst wenn man nicht der ausgewiesene Theatergänger ist und die Story des Dr. Faust nicht textsicher präsent hat, macht es Spaß, der Inszenierung zu lauschen.
Dieser Spaß kommt zweifelsohne durch die eingängigen Kompositionen, die sich, über die komplette Aufführung verteilt, verschiedenster Genres bedienen und von operettenhaften Anteilen bis zum Heavy Rock alles bieten können. Exemplarisch hervorgehoben sollen hier nur einige davon Erwähnung finden. Da wird zwischendurch gerappt oder man bedient sich einiger Anlehnungen an Reggae-Klänge ("Der Floh"). Wer zudem bei "Das also war des Pudels Kern" nicht an unser aller Boogie Rock-Lieblinge aus Australien denken muss, der darf noch mal in die Schule. Natürlich – Komponist Jimmy Gee ist ja Rock-Gitarrist – verorten wir die meisten Stücke im Rock, mal härter, mal weniger knüppelnd, immer jedoch eingängig. Und zur Abwechslung gibt es dann zwischendurch auch mal eine sehr offensichtliche Verneigung vor klassischen Country-Klängen ("Kann Wein auch geben") oder eine ebensolche vor dem leider zu früh verstorbenen Falco ("Pfaffen Rap"). Dieser stetige Wechsel in der rund zweistündigen, exzellent umgesetzten Produktion lässt für keinen aufgeschlossenen Hörer auch nur die Spur von Langeweile aufkommen.
Wer Spektakel auf der Bühne mag, wer Musicals für nicht unter der Würde hält, wem klassisches Theater und vielleicht sogar auch ab und zu mal die Oper ein Anliegen sind oder wem bislang der Zugang zu eben diesen Formen der Darbietung fehlte, dem sei "Faust’n’Roll" wärmstens ans Herz gelegt. Nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieses Kulturerbes in deutscher Sprache macht das Werk empfehlenswert, auch die musikalische Umsetzung lässt wenig Raum für Kritik – und dann mag sie höchstens im Bereich des subjektiven Empfindens anzusiedeln sein. An Komposition, Inszenierung, Instrumentierung, Besetzung und Gesang (und wahrscheinlich auch Bühnenbild und Kostümierung) gibt es nichts zu rütteln. Sehr schön zu hören ist natürlich auch, dass es immer wieder Platz für die einzelnen Instrumente gibt, hier mal ein kleines eindringliches Gitarrensolo, da ein wenig 'Klimperei' an den Tasten. Und jetzt will ich mir dieses Stück endlich live auf der Bühne ansehen, verdammt noch mal!
Line-up:
Jimmy Gee (guitars, bass, piano, Hammond, drums)
Martin Constantin (keyboard, – #22, 24)
Christian Venzke (Faust)
Jessica Fendler (Mephista)
Eda Schilling (Goethe)
Anika Bollmann (Gretchen)
Martin Constantin (Gott)
Carina Castillo ( Hexe)
Michail Mamschev (Erdgeist)
Jimmy Gee (Valentin)
Vivian Fuchs (Halbhexe)
Leo Sieg (Brandner)
Andreas Weimer (Siebel)
Chor:
Jimmy Gee
Melli Preuße
Michail Mamaschev
Carina Castillo
Vivian Fuchs
Ulrike Dombrova
Joleen Hartje
Tom Zips
Sophia Rietzschel
Tracklist "Faust’n’Roll":
- Ouvertüre
- Das Puppenspiel
- Himmel und Hölle
- Armer Tor
- Zwei Seelen
- Du gleichst dem Geist
- Der Tod erwünscht
- Vom Eise befreit
- Das also war des Pudels Kern
- Mein eigentliches Element
- Verweile doch
- Der Floh
- Kann Wein auch geben
- Vision
- Aus Eins mach' Zehn
- Perücken
- Liebt mich, liebt mich nicht
- Pfaffen-Rap
- Die Gretchenfrage
- Goethes Kommentar 01
- Valentins Klage
- Uhu-Schuhu
- Walpurgis-Chor
- Felsenspalte
- Einst hatt' ich
- Gretchens Erscheinung
- Lass sie leben
- Rettung
- Goethes Kommentar 02
- Durch die Welt
Gesamtspielzeit: 101:22, Erscheinungsjahr: 2020
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