Fiese Schweine, Stinkefinger und toxische Sp(r)itzen
Vor ziemlich genau 12 ½ Jahren schrieb der Rezensent folgende einleitenden Zeilen zur CD-Premiere der Holden Fee: »Da gab es doch tatsächlich eine Band namens FEE, die 1982 (…) einen kleinen Hit im Zuge des damals krass grassierenden NDW-Phänomens zu verzeichnen hatte, der auf den wunderschönen Titel "Schweine im Weltraum" hörte und wegen eines anzüglichen Wortes mit 'f…' von den Rundfunkanstalten (…) boykottiert wurde.«
Die Holde Fee, die auf "Malaga" eher mit gemäßigten jazzrockigen Tönen operiert hatte, ließ ab 1979 den ersten Teil des Namens weg, verlor unterwegs Gitarrist und Vokalist Hartmut Frenk, auch die im Booklet von "Malaga" explizit gewürdigten »zarten Stimmen« von Heike Brinkmann, Eileen Kurzbein und Dagmar Kroll verflüchtigten sich, Gitarrist Andreas Becker, 'Krankenschwester' Marlies Borcherding und Ex-Rattles/Grobschnitt Produzent Frank Mille kamen stattdessen auf Station, um schließlich 1981 die "Notaufnahme" in den Betrieb zu nehmen.
Neben den letzten Resten von Klängen aus der eigenen Vergangenheit dominierte jetzt eher anarchisch angehauchter New Wave mit leicht Pop-punkiger Note und deutschen Texten, was die Braunschweiger alsbald Richtung NDW schob. Bei mehr als 150.000 verkauften Alben avancierte das Debüt zu einem veritablen Achtungserfolg und bekam bereits ein Jahr später einen 'rezeptfreien' Nachfolger. Dieser feierte bereits vor 25 Jahren seine CD-Premiere, ist längst vergriffen und wird jetzt von Sireena Records wiederbelebt.
Und genau hier begegnen wir den Schweinen im Weltraum, die auf der Bombe sitzen und sich amüsieren, die in der Scheiße stecken und sich wälzen, die am Drücker sind und uns f…!
Marlies Borcherding war durch die aus dem Punk kommende Martina Knorr ersetzt worden, welche das Markenzeichen der Band – ein gesangliches Wechselspiel der Geschlechter – fortsetzte, wobei der Terminus 'Gesang' hier ziemlich euphemistisch ist. Frau Knorr echauffiert sich etwas hysterisch und spitz durch die Songs, während Kollege Thomas Ruhstorfer den gröhlenden Stinkefinger rausrotzt. Tatsächlich ist die Musik eine Art poppige Spaß-Variante von Ton Steine Scherben, mit viel Synthesizer am Puls der damaligen Zeit und souverän gespielt, die textlichen Giftspritzen sind aber tatsächlich zehn Jahre nach "Keine Macht für Niemand" kaum weniger toxisch. In die kunterbunte Welt der damals grassierenden NDW passen "Schweine im Weltraum" oder "Wunderschön" trotzdem sehr gut und Rio Reiser sollte wenige Jahre später gar zum König von Deutschland werden.
Lediglich ein Jahr später hielten Fee mit "SchizoFEEnie" das Martinshorn am Heulen, was jetzt ebenfalls seine Wiederauflage durch Sireena Records feiert.
In der gleichen Besetzung wird hier vergleichsweise etwas konventioneller gerockt – sogar der alte Gassenhauer "I’m A Man" der Spencer Davis Group erfährt hier in Form vom "Mann, der nicht warten kann" eine im historischen Kontext zeitgemäße Frischzellenkur. Die Melodien fallen insgesamt gefälliger als beim Vorgänger aus, die Band musiziert variantenreicher. In "Du kannst mir nicht imponier’n" dominiert Gitarrist Andreas Becker wie selten zuvor … überhaupt gerät "SchizoFEEnie" gitarrenlastiger. Die 'hysterische' Martina Knorr ist gebändigt, der gröhlende 'Stinkefinger' in geerdete Bahnen gelenkt – die gesamte Band im Deutsch-Rock angelangt.
Auch in "Erzähl mir nichts von Liebe" brilliert Andreas Becker an den Saiten und wird nicht umsonst später im Dunstfeld von Peter Maffay landen. Es groovt teilweise fast erdig, so dass die NDW, obwohl damals auf dem Höhepunkt, ziemlich weit weg erscheint … aus heutiger Sicht ein erstaunlicher und mutiger Move der Band, wenn auch das gesamte Klangbild den damaligen Zeitgeist nicht leugnen kann. Stattdessen beschwören Fee die "Neue deutsche Küche" und wiederholt streut Andreas Becker Riffs ein, die in dieser Form auf "Rezeptfrei" nicht zu finden sind – Riff-frei sozusagen. Dafür sind auf beiden Alben die Texte alles andere als bissfrei und im jeweiligen Booklet in vernünftiger Größe nachlesbar, was bei der vermeintlichen Zielgruppe die Lesebrillen dankbar annehmen werden.
Beide Reissues kommen im stabilen Kartonagen-Digipack und sind von Marlon Klein hervorragend gemastert.
Fazit:
Wer abseits von "Gib Gas, ich will Spaß", sprießenden Sommersprossen und Tretbooten in Seenot noch eine latent anarchische New Wave-Rock-Pop-Punk-Alternative in NDW-Zeiten mit pfeilspitzen deutschen Texten, formidabler Spielkunst und dem nötigen Schmiss sucht, wird bei diesem willkommenen Reissue-Doppelpack bestens fündig.
Line-up Fee:
Tom Ruhstorfer (Gesang)
Andreas Becker (Gitarren)
Lothar Brandes (Tasteninstrumente, Synthesizerprogrammierung)
Reinhard Lewitzki (Schlagzeug)
Gerd Reulecke (Bass)
Martina Knorr (Gesang)
Tracklist "Rezeptfrei"
- Schweine Im Weltraum (3:52)
- Mach Kohle, Alter (3:40)
- Ab Die Post, Nahost (4:11)
- Spielzeug (4:15)
- Wenn Du Keinen Krach Machst (3:56)
- Kein Reiz (3:04)
- Kälte In Der Nacht (4:31)
- Kater – Katze (2:55)
- Wunderschön (3:51)
- Frankfurt – Frankfurt (2:18)
- Plastik (3:33)
Gesamtspielzeit = 40:04, Erscheinungsjahr: (1982) 2020
Tracklist "SchizoFEEnie"
- Doswidanja (3:22)
- Ein Mann, Der Nicht Warten Kann (I’m A Man) (3:00)
- Die Gelbe Gefahr (2:54)
- Highnoon Im Justizpalast (3:27)
- Du Kannst Mir Nicht Imponier’n (2:42)
- Karneval (2:59)
- 118 (3:24)
- Erzähl Mir Nichts Von Liebe (3:50)
- Ein Feuerwerk Für Marianne (3:51)
- Die Neue Deutsche Küche (Schweinebauch Und Kohl) (2:37)
- Hypochonder (4:22)
Gesamtspielzeit: 36:45, Erscheinungsjahr: (1983) 2020
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