Als ich am Morgen des 11. August 2017 aufgestanden war und aus dem Fenster sah, hat es geregnet. Okay, hab ich mir gedacht, alles wie immer, dem Finki 2017 steht nun nichts mehr im Wege. Aber Spaß bei Seite, denn obwohl das im schönen Odenwald gelegene Dorf Finkenbach zugegebenermaßen ziemlich anfällig für Regengüsse aller Art ist, hatten wir in den letzten zwei Jahren richtiges Glück mit dem Wetter gehabt. Dort angekommen, hatte sich bereits der ganze Ort in eine Art Hippie-Kommune verwandelt. Gezeltet wurde erneut auf allen möglichen und unmöglichen Wiesenflächen, überall lief Musik, die 'eigentlichen' Dorfbewohner nahmen all dies erneut mit einer sehr sympathischen Gelassenheit hin, während der kleine Ort zum mittlerweile 35. Mal (!!) für drei bis vier Tage im Jahr zu einem Anlaufpunkt für Freaks und Musik-Fans aus ganz Deutschland geworden war. Wie immer sah man viele bekannte Gesichter, wie immer aber auch viele neue und man konnte das Gefühl der Freude gar nicht unterdrücken, wieder vor Ort zu sein. Dann also mal frisch rein ins Geschehen!
Die Ehre, das Finkenbach Festival 2017 eröffnen zu dürfen, fiel dieses Mal der französischen Band Jack Dupon zu. Und was sich bereits früh im Set ankündigte, bestätigte sich dann auch über die gesamte Spielzeit: Dieser Vierer (mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug) war ein echt abgefahrener Haufen. Sehr durchgeknallt, vertrackt und progressiv wurden die Songs arrangiert und gespielt, wobei dies allerdings auch sehr interessant war. Speziell Philippe Prebet sowie Arnaud M’Doihoma setzten ihre Stimmen immer wieder als Instrumente ein, während der Drummer Thomas Larsen der eigentliche Lead-Sänger war. Gregory Pozzoli glänzte an der zweiten Gitarre und speziell die Songs mit Überlänge wie beispielsweise "Raymond" machten richtig Laune und zogen das Publikum umgehend mit. Ein super Beginn.
Anschließend kam es zu einer Art Klassentreffen, denn unter dem Namen Neumeier, Großkopf, Kranemann handelt es sich um nichts anderes als das von Harald Großkopf (Ex-Ash Ra Tempel) sowie Eberhard Kranemann (Ex-Kraftwerk) betriebene Projekt Krautwerk, zu dem sich hier noch der Guru Guru-Drummer Mani Neumeier gesellt hatte. Nachdem auch Großkopf Schlagzeuger ist/war (selbst wenn er an diesem Abend mit LapTops und einigen wenigen anderen Trommeln antrat), fiel der Auftritt nicht wirklich überraschend sehr perkussionslastig aus. Dennoch schaffte es das Trio (mit Kranemann an der Speerspitze) aber immer, schöne Sound-Landschaften zu kreieren, auf denen sich Neumeier und Großkopf dann austoben konnten. Nicht nur die Musiker auf der Bühne, sondern ganz offensichtlich auch die Fans davor hatten ihren Spaß.
Nach Prog und Kraut kam danach eine deftige Dosis Rock’n’Roll in Person der Pretty Things wie gerufen. Phil May (73) sowie Dick Taylor (74) sind nach wie vor erstaunlich fit, wenn sie auf der Bühne vielleicht auch nicht mehr ganz so agil wie in früheren Jahren sind. Gesanglich und an den Instrumenten stimmt aber nach wie vor alles und so legten die beiden zusammen mit den anderen (doch um einiges jüngeren) Bandmitgliedern eine bockstarkes Set hin. Sowohl neue als auch Songs aus den Sechzigern kamen zum Einsatz. Sogar eine Nummer aus der Electric Banana-Phase wurde gebracht, ein kleiner Block aus S.F. Sorrow gespielt und außerdem kam eine Blues-Einlage des Duos May/Taylor (mit u. a. Bo Diddleys "Mona") zum Einsatz. Ein sehr geiler Gig einer Band, die noch lange nicht am Ende ihrer Reise angekommen zu sein scheint. Long live The Pretty Things!
Das Samsara Blues Experiment ließ den ersten Tag dann mit seiner teilweise bluesigen, teilweise aber auch heftigeren Psychedelic auf sehr hohem Niveau ausklingen. Der Rezensent war immer noch etwas von den Pretty Things geschlaucht, sodass der Sound der Berliner gerade zur rechten Zeit kam.
Finkenbach, Samstag, 15:00 Uhr – die Frisur sitzt. Naja, wenigstens so halbwegs und eine große Rolle spielt das an diesem Wochenende sowieso nicht. Vielmehr machte uns da schon das Wetter Sorgen, denn nachdem es den kompletten Freitag 'durchgenieselt' hatte, sah es leider ganz so aus, als wenn es in der gleichen Schiene weitergehen würde. Ganz sicher auch dem Wetter geschuldet, hatten sich erst ein paar Hundert Leute auf dem Gelände eingefunden, als Jobarteh Kunda die Bühne enterten. Eine afrikanische Band mit einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen sowie sehr gut unsere Sprache beherrschenden Bandleader versuchte umgehend, das Stimmungsbarometer nach oben zu treiben, was trotz dem grau verhangenen Himmel sogar richtig gut funktionierte. Sowohl afrikanische Songs als auch Reggae aus der Karibik sorgten für tanzende Fans und – nicht ganz unerheblich – deutlich mehr grinsende Gesichter als noch vor dem Auftritt. (Markus)
Ease Up Ltd aus Darmstadt waren der nächste Programmpunkt. Reggae mit etwas Dancehall und einer Prise Ska versprach die Formation, die mit drei Bläsern, Keyboard, Bass, Schlagzeug und Percussion sowie (französischem) Sänger Baptiste Languille die Finki-Bühne bevölkerte. Reggae/Dancehall und französische Texte legten zunächst die Assoziation zu Irie Revoltés nahe. Soweit das eingerostete Französisch beim Zuhören mithalten konnte, gehen die Texte von Ease Up Ltd. jedoch mehr in die Tiefe, sind ernsthafter und näher an der ursprünglichen Reggae-Botschaft im Sinne eines Bob Marley. Doch trotzdem blieb auch bei dieser Formation der Spaß nicht auf der Strecke. Neben unheimlich warmen Vibrations brachten sie auch Spaß und Stimmung unters Finki-Volk, so beispielsweise mit einem herzerfrischenden "Sledgehammer"-Cover, das mit Sicherheit Mr. Gabriel sofort zum Rückenkratzen animieren würde. Neben Songs des Longplayers "Long Way" hatten die Darmstädter auch das ziemlich neue und leider so sehr notwendige "Démocratie" im Repertoire; ein Lied, in dem es darum geht, was in unserer Welt so alles schief läuft, wenn Profit wichtiger ist als Ethik. Doch trotz teilweiser ernsthafter Themen machte der Auftritt von Ease Up Ltd. einen Riesenspaß und ließ das fortwährende Geniesel vergessen. Vor der Bühne herrschten gefühlte 25° und Sonnenschein. (Sabine)
Sehr gespannt war ich anschließend auf das holländische Brüder-Trio von DeWolff, das ich bisher noch nie live auf der Bühne erlebt hatte. Wer die Niederländer bereits erlebt hat, kann sich in etwa vorstellen, was in der Folgezeit auf die Stage gezaubert wurde. Kraftvolle Rockmusik ohne Bass, dafür mit einer geilen Orgel und einem Sound wie aus den Siebzigern. Diese drei Jungs haben sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt und sind zu einer echten Einheit verschmolzen. Das war Volldampf-Rock mit mitreißenden Soli und starken Songs. Einen davon hat die Band sogar für den aktuellen Präsidenten der USA geschrieben. Dieser (Politiker bzw. Businessman) kommt dabei allerdings nicht besonders gut weg und bereits bei der Ankündigung hieß es »…it’s not exactly a love letter!«
Bei Guru Guru fiel sehr schnell auf, dass Jan Lindqvist, der den im letzten Jahr verstorbenen Hans Reffert ersetzte, sich mittlerweile prächtig in die Band integriert hat und gänzlich angekommen zu sein scheint. Gebracht wurden natürlich die Gassenhauer wie u. a. "Rolling Through The City", "Living In The Woods" sowie "Der Elektrolurch", komplett mit der von Mani Neumeier getragenen überdimensionalen, blinkenden Maske. Diese Tracks sind immer wieder klasse, einfach nicht tot zu kriegen. Und das ist auch gut so, denn das Publikum fährt nach wie vor extrem darauf ab und hat seinen Spaß damit. Der Zeitplan war dicht gesteckt und so kam Guru Guru – wie jede andere Band auch – für lediglich eine einzige Zugabe auf die Bühne zurück. Dennoch kamen alle Zuschauer voll auf ihre Kosten und der mittlerweile 76-jährige Schlagzeuger Neumeier ist nach wie vor so agil wie je zuvor. Hut ab!
Arthur Brown betrat die Bühne dieses Mal als Zombie geschminkt, hatte das Publikum umgehend im Griff und sorgte bereits beim ersten Track durch seine stimmlichen Fähigkeiten für offene Münder und herunter geklappte Kinnladen. Mister Brown hat wieder einmal gerockt und (wie es bei ihm eben dazugehört) mit seiner aufwändig gebrachten Show überzeugt. Zumindest so lange wie wir noch da waren, denn aus logistischen Gründen konnten wir leider nicht mehr den gesamten Auftritt erleben. Ebenso wie den der schwedischen Band Kungens Män, wobei mir allerdings ein Bandmitglied bereits am frühen Abend verriet, dass es sich bei der Mucke der Skandinavier um psychedelischen Blues Rock, verwoben mit ein bisschen Trance handeln soll. Schade, dass wir es nicht mehr geschafft haben, aber vielleicht kommt die sympathische Band ja in den nächsten Jahren mal wieder vorbei.
Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass das diesjährige Festival nicht ganz so gut besucht war, wie in den Jahren zuvor. Woran das gelegen haben mag, kann man natürlich nie so genau sagen. Das Wetter vielleicht, die Band-Auswahl…? Dennoch war das Finki 2017 von der Organisation und der Musik wieder mal ein voller Erfolg. Wir von RockTimes freuen uns auf jeden Fall schon jetzt auf die 36. Ausgabe im Jahr 2018! (Markus)
Line-up Freitag:
Jack Dupon
Neumeier, Grosskopf, Kranemann
The Pretty Things
Samsara Blues Experience
Line-up Samstag:
Jobarteh Kunda
Ease Up Ltd.
DeWolff
Guru Guru
Arthur Brown
Kungens Män
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