
Ich kann nicht glauben, welches Schatzkästchen ich gerade geöffnet habe. Eine Band wird angekündigt mit Wurzeln in den wilden Neunzigern, versehen mit Blues Rock und Stoner. Eine Band, die seit 13 Jahren zusammen spielt und nun ihr Debüt herausgegeben hat – als Debüt eines neuen Labels. Das allein klingt gut, hat aber mit den freudigen Schauern, die mich beim Zuhören von Beginn an umfangen, nur recht wenig zu tun.
Fleeting Arms mögen ihre Parallelen im Grunge haben, woran vor allem der unglaublich intensive, geile Gesang von Coal Riepma eine Hauptrolle tragen mag. Aber diese tief erdigen Töne der Musik begründen sich lockere 25 Jahre früher, als der bluesige Hard Rock in unzähligen Variationen seine betörenden Pilze und Blüten in den Himmel sprießen ließ. Nein, diese Platte klingt nicht Retro, sie wirkt auf mich wie ein Zeitexperiment, welches zu lange in irgendwelchen Kellern vergraben war.
Fleeting Arms kommen aus Edmonton, Kanada, dort wo mit den Oilers schon immer mein Lieblingsclub in der NHL zuhause ist. Wayne Gretzky wird es gerne hören. Stilgerecht taufen sie ihren Erstling im Namen der Band und heißen uns willkommen mit hinreißenden Anleihen verschiedener Epochen, entwickeln ihre Sounds aber immer aus einer leicht doomigen Atmosphäre, bleiben dem klassisch bluesigen Hard Rock weitgehend treu und jammen hier und da auch mal gewaltig aus der Stimmung heraus. Überragend getragen in "Rust". Und wenn die Post abgeht, dann entsprießt den Grunge-Zitaten auch das eine oder andere Metal-Riff. Wo um alles in der Welt hat sich diese Truppe bislang vor der weiten Öffentlichkeit versteckt?
"On The Way Down" beginnt ein wenig wie Blind Faith, nur um kurze Zeit später von wildem Sperrfeuer belegt zu werden, das man aus der Richtung Seattle verorten könnte. Uih, hier haben die Jungs eine klare Vorstellung von dem, was sie tun wollen. Wilde Gitarren-Freak-Outs über einem Mörderbass, und dann diese irre Stimme! Das groovt und fetzt, verliert sich aber nicht in sich selbst und kommt schnell zum Punkt, herrlich kontrastiert in dem gedehnten "Soulless", das so schön mäandert und kreist, bis sich bösartige Riffeinschläge dazu aufmachen, dem Ganzen einen metallischen Schimmer zu verpassen. Das Solo ist geilster Fuzz.
Das kurze "Day Trippin'" könnte nun wirklich made in 1972 sein, bluesig und erdverbunden. Die Energie fließt ungebrochen und gipfelt in coolen Riffs. So könnte die Musik geklungen haben, die einst Kyuss auf ihren eigenen Pfad gebracht haben. Und rein zufällig wird genau diese Band natürlich in den Referenzen als Inspiration genannt. Beispiel gefällig? Das bereits zitierte "Rust" entwickelt einen psychedelischen Sog und breitet sich fächerartig über eine undefinierte Ebene aus. Aufbegehrende Breaks provozieren kurz, doch Coal hält die Zügel in seinem charismatischen Gesang erst einmal kurz. Doch dann ereilt uns der Gott vom gesegneten Geschrammel und erteilt uns die eine oder andere Ohrfeige. Ein doomiges Gitarrenerlebnis erster Güte kappt dann den Kontakt zu Mutter Erde, jetzt treiben wir davon. Ich hab damals Paul Rodgers auf der Loreley gesehen – leider nur in der Glotze – der hatte solche Sounds auch drauf. "Be My Friend" zum Beispiel. Aber hier bei Fleeting Arms schlagen immer wieder Metal-Blitze ein, die gab es bei Paul damals nicht.
"Bridges Burning" ist der Drums-Song. T kreiert hier hypnotischen Antrieb, der von seinen aggressiven Freunden gelegentlich mit heftigen Einschüben zertrümmert wird. Kann man schon mal so machen. Doch dann "Dig My Grave", erdiger als der Titel geht wohl nicht. Und nomen est omen, die Musik folgt der Vorgabe mit einer Art Nirvana-gepimpten ZZ Top – oder wie auch immer. In der Folge werden mir die Kyuss-Bezüge immer klarer, die Wüste lebt, scheinbar auch im nördlichen Edmonton. Geiler Blues Rock entwickelt sich organisch aus den Strukturen heraus und nimmt uns durch seine unterschiedliche Intensität an die Kette. Das ist jetzt aber wirklich genau mein Ding.
"Into The Sun" erschlägt uns mit riffigen Hooklines, die wie von der Leine losgelassen wirbeln, die psychedelische Fuzz-Gitarre treibt es im Solo gar auf die Spitze. Hey Leute, die ihr den alten Zeiten nachtrauert, hier werdet ihr eine Combo finden, die den Geist vergangener Tage aufnimmt und mit ungeheurer Energie aus einem explosiven Gemisch verschiedener Zutaten ergänzt. Das wirkt nicht nachgemacht, nicht abgedroschen, sondern quicklebendig und voller Überraschungen.
Wen wundert es da, dass mit dem Finale "Demons Within" eine besonders jammige Nummer noch einmal alle Vorzüge dieses Albums heraufbeschwört. Die Instrumentalfraktion erhält genügend Freiraum, eigene Sequenzen bestreiten zu dürfen, souverän geleitet von einer Sangesstimme, die mir gar nicht mehr aus dem Kopf geht. Und der Spannungsbogen des Songs hält ein geiles Crescendo bereit, straffe Nackenhaare garantiert. Zum Ende hin werden wir regelrecht hinaus geprügelt, bis eine reflektierende Entschärfung in friedfertigen Kreiseln uns zum Ausklang bei den Händen nimmt, als wolle man sagen: Ruhig Leute, war doch alles gar nicht so schlimm.
Am Ende war es die Aufgabe von The Voodoo Architect, einem neuen Label, ein Relikt geradezu archaischer Rockmusik auszugraben und der Welt zu vermitteln. Man kann ihnen nur dankbar sein. Fleeting Arms finden einen Weg zwischen den Welten, der glaubwürdiger wirkt als vieles, was ich in diesem Genre je gehört habe. Erdig bis in den Dreck, rau bis auf die Knochen, »bad to the bone«, diese Musik ist ehrlich und extrem bodenständig. Das Songwriting ist bärenstark, völlig fernab aller Konventionen, einfach nur dem Spirit und dem Flow verpflichtet, wie eine einzige fließende Improvisation. Die Bandmitglieder interagieren wie ein perfekter Organismus, unfassbar für ein Debüt, wüsste man nicht um die langjährige gemeinsame Zeit der Musiker. Wieder mal so ein Album, wo man völlig überrascht wird.
Ich sage danke, so kann man eine Menge Spaß haben. Ein geiles Album.
Line-Up Fleeting Arms:
Coal Riepma (vovals)
Gerald Kisoun ( (guitar, backing vocals)
CJ King (bass, backing vocals)
T (drums)
Tracklist "Fleeting Arms":
- On The Way Down
- Soulless
- Day Trippin'
- Rust
- Bridges Burning
- Dig My Grave
- Into The Sun
- Demons Within
Gesamtspielzeit: 50:06, Erscheinungsjahr: 2020
Neueste Kommentare