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Frank Wyatt & Friends / Zeitgeist – CD-Review

Frank Wyatt & Friends / Zeitgeist

Frank Wyatt hat einst 1973 die amerikanische Band Happy The Man mit gegründet, wobei der erste Kontakt zwischen Stan und Rick, die auch auf diesem Album mitwirken, ein Jahr vorher auf einer amerikanischen Militärbasis erfolgte, wo sie – wer weiß – vielleicht auch einem alten RockTimer begegnet sein könnten. Es dauerte aber weitere vier Jahre, bevor die erste Platte das Licht der Welt erblickte. Nach ausbleibendem Erfolg und Differenzen untereinander löste sich die Band 1979 auf, versuchte es mit einem Comeback im Jahr 2000, dem jedoch auch nur ein Album entsprang.
Dennoch gab Frank Wyatt die Idee einer Re-Union nie auf und hatte über eine Art Crowdfunding letztlich das hier beschriebene Projekt am Start, als er sehr schwer erkrankte und vier Jahre vergingen, bis die Musik endlich der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte.

"Zeitgeist" lebt den Geist von Happy The Man fort, nicht sehr verwunderlich, da die gesamte Mannschaft auf diesem Album aus den unterschiedlichen Epochen der Mutterband hervorgegangen ist. Uns erwartet ein komplexer, symphonischer Progressive Rock voller spannender Wendungen,  fast schon archaischen Wänden dichter Keyboards, die aber auch immer wieder Raum lassen für ein subtiles Piano oder eine flirrende Sitar. Nur zwei von zehn Tracks warten mit Gesang auf, dafür bekommen wir im letzten Drittel eine vierteilige Suite geboten, die wie ein symphonisches Werk wirkt. Doch im Gegensatz zu Mike Oldfield, der in solchen Situationen tatsächlich auf klassische Instrumentierung zurückgriff, werden hier die Harmonien aus den Tasten und gesampelten Instrumenten gezaubert. Die Wucht und Wirkung der Komposition, die auf einem Science Fcition-Roman basiert, wird dadurch keinesfalls beeinträchtigt und alte Progger mit tiefer Lust an den Klassikern stellt erfreut fest, dass auch heute noch ab und zu solche Werke entstehen.

Wenn der Titelsong nach einen kurzem Intro in die erste Strophe führt, packt mich eine Gänsehaut im Nacken, denn die Stimme weckt Erinnerungen an einen meiner größten Helden und seiner Zeit bei Genesis, natürlich Peter Gabriel. Stans Stimme kommt ihm ziemlich nahe und die virtuose Struktur des Songs weckt tatsächlich einige Geister der Vergangenheit. Dabei geht es eigentlich um ein sehr aktuelles Thema, auch wenn Frank diesen Song bereits in 2003 geschrieben hat. Thematisiert wird der hemmungslose Umgang mit einer sich permanent rasanter entwickelnden Technik, der sich der handyabhängige Mensch scheinbar immer mehr anbiedert, während gleichzeitig ein unverantwortlicher Umgang der Politik mit unseren Ressourcen zwangsläufig in eine Katastrophe führen muss. Sagt Frank, so oder so ähnlich im Inlet des Albums – und ich kann die Intention des Musikers 1:1 nachvollziehen und teilen.

Tastengeprägte kurze Nummern umgeben sich mit dem Schein klassischer Instrumentierung, die aber auch hier aus den Keyboards erwächst. Zurückgenommen reflektiert "Leaving" zunächst, bevor "Twelve Jumps" in schlagzeugbefeuerten Salven ein wenig weiter ausholt und ein wenig Emerson, Lake & Palmer-Gefühl verbreitet, eine jazzige elektrische Gitarre findet nun auch ihre Bühne.

"Eleventh Hour" mit den wunderschönen Gesangslinien in Harmonien aus den frühen Sechzigern beschreiben eine autobiografische Geschichte in Franks Leben, nämlich die letzten elf Stunden vor dem Tod der Katze Mewer, die seine Frau einst irgendwo gefunden und gerettet hatte. Die träumerisch schwelgenden Soundteppiche, die beschwingt um uns kreiseln, nehmen dem an sich traurigen Hintergrund jeden Schrecken, auch wenn Frank betont, dass der dazu gehörige Text letztendlich eine Adaption aus Mewers Tod auf unsere eigene Sterblichkeit darstellt. Angesichts der schweren, langjährigen Erkrankung damit vielleicht ein wichtigerer Song im Kontext, als es eine unter vier Minuten lange Nummer grundsätzlich vermuten ließe.

"The Approach" orientalisiert uns mit einer schönen Sitar. Die verschiedenen Ebenen entspannt groovender Keyboard-Töne gestalten abwechslungsreiche Sounds, die ein wenig an die Klänge von Renaissance in der "Azure D’or"-Zeit erinnern, eine Band, mit der dem Vernehmen nach einst Happy The Man tourte. Die Melodien treiben beschwingt, bleiben aber ein wenig zu sehr in sich selbst behaftet. In einer achtminütigen Nummer dürfte da ein klein wenig mehr Bewegung stattfinden. "Fred’s Song" schließt sich diesem Duktus an.

Dann ist die Zeit gekommen, den "Zeitgeist" in einem monumentalen progressiv symphonischem Werk zu kanalisieren, wobei Frank Wyatt sich selbst die Frage stellte, ob dieses Werk überhaupt in den Kontext des Albums passen würde. Diese Frage werde ich ganz sicher nicht beantworten.
Die größten Bands haben sich symphonischer Unterstützung bedient, ob Pink Floyd, Yes oder eben auch Deep Purple. Nur hier erzeugt man die Symphonie schlichtweg selbst aus technischem Gerät – und das allein bedurfte vieler Monate der Arbeit, der Hingabe und entsprechender Beratung.

"Perelanda Symphonie In D-flat Major" ist eine Adaption einer Trilogie kosmischer Romane von C.S. Lewis, wie das Netz zu berichten weiß. Dieser Autor soll im Kontext seines ersten Romans "Out Of The Silent Planet" in engen Diskussionen mit seinem Freund J.R.R Tolkien gestanden haben, jenem Tolkien, der den "Herr der Ringe" einst ersann. Vermag es da zu verwundern, dass diese Musik wie der Soundtrack eines nie gesehenen Filmes wirkt?
Das kontrastierende Piano im zweiten Teil "The Green Lady" führt die vermeintliche Klassik in besonders ergreifende Sphären, auch hier empfinde ich hin und wieder selige Erinnerungen an alte Mike Oldfield-Kompositionen. Ein Stilmittel bis hin zum Ende des Werks.

"Zeitgeist" löst die Beziehungen von Zeit und Raum auf. Es wäre unmöglich, die Kompositionen einer Ära zuzuordnen, wenn man nicht um die Produktion wüsste. Und das ist ein großes Verdienst von Frank Wyatt. Nicht immer muss man die Welt neu erfinden, manchmal reicht es, wenn man nach langer Reise seinen eigenen Platz in der Geschichte zu bestimmen sucht. Es gibt Dinge, die spürt man, dass man sie tun möchte. Auch wenn einem das Schicksal mächtig gegen die Karten spielt. Am Ende zählt immer nur, dass man es getan hat. Frank Wyatt hatte eine Vision – und die hat er umgesetzt. Den Mächten der Musik sein Dank!


Line-up Frank Wyatt & Friends:

Frank Wyatt (keyboards)
Bill Brasso (drums)
Stan Whitaker (guitar, vocals)
David Hughes (bass)
Cliff Fortney (vocals)
David Rosenthal (keyboards)
Rick Kennell (bass)
Chris Mack (drums)
Peter Princiotto (sitar)
Mike Beck (percussion)
Ron Riddle (drums)
Kit Watkins (keyboards)
Joe Bergamini (drums)
Andrew Colyer (keyboards)

Tracklist "Zeitgeist":

  1. Zeitgeist
  2. Leaving
  3. Twelve Jumps
  4. Eleventh Hour
  5. The Approach
  6. Fred’s Song
  7. To Venus (Perelandra Mvt. I)
  8. The Green Lady (Perelandra Mvt. II)
  9. The Golden Feast (Perelandra Mvt. III)
  10. Blessed Be He (Perelandra Mvt. IV)

Gesamtspielzeit: 58:42, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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