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Gary Moore / How Blue Can You Get – CD-Review

Gary Moore / How Blue Can You Get

Unter diesem Titel veröffentlichte Provogue Records am 30.04.2021 ein neues Album des vor zehn Jahren überraschend verstorbenen Gary Moore. Es handelt sich hierbei – wie könnte es auch anders sein – um eine aus dem Nachlass des großartigen irischen Gitarristen und Sänger zusammengestellte CD bisher nie veröffentlichter Studioaufnahmen.
Es sind hier Songs zusammengestellt, die es auf die früheren Platten offensichtlich nicht geschafft hatten.

Grundsätzlich finde ich es gut, dass echte Fans – aficionados – eines verstorbenen Künstlers auch Zugang zu Kompositionen bekommen, die bislang nie an das Licht der Öffentlichkeit gelangten. Den Bewunderern eines Künstlers stört es im Allgemeinen wenig, wenn er/sie mit Stücken bekannt wird, die es zu dessen Lebzeiten nicht geschafft hatten, auf einem Album Platz zu finden – eben, weil sie aussortiert wurden. Als kritischer Bewunderer wird einem immer klar sein, dass es sich bei den dann posthum veröffentlichten Aufnahmen um eine Art – böse gesprochen – zweitklassige Werke handelt.

Als Fan von Jimi Hendrix, der zu dessen Lebzeiten seine revolutionären Einspielungen Ende der 60er kennenlernte, habe ich viele, posthum aus kommerziellen Gründen veröffentlichte Werke des berüchtigten Hendrix-Clan kennengelernt, die wirklich nur zweitklassig sind. Aber gut, die Nachwelt will halt alles haben. Was hier als neuestes Album von Gary Moore vorliegt, hat einen ähnlichen Charakter: Wer Gary Moore kennenlernen möchte, sollte vielleicht besser erst einmal zu Werken greifen, die zu dessen Lebzeiten herausgebracht wurden. Damit soll aber nicht gesagt werden, diese jetzt aus dem Nachlass herausgebrachte Sammlung sei besser unveröffentlicht geblieben. Nein, im Gegenteil. In jedem der Stücke der CD kann man den Gary Moore hören, den wir lieb(t)en.

Es handelt sich um insgesamt acht Aufnahmen, von denen die Entstehungsjahre derselben leider nicht genannt werden. Vier der Stücke sind Cover-Versionen von alten Bluesklassikern, die anderen vier sind von Gary Moore selber.
Die CD startet mit einer für Gary Moore typischen heftigen, sechs-minütigen Blues Rock-Verarbeitung des Bluesklassikers "I’m Tore Down" von Freddie King: Ordentliches Shuffle-Tempo, wobei Moores kernige, etwas düstere Stimme über die Strophen gleitet und die heftigen Gitarrenphrasen und Soli dasselbe tun. Das ist genau der Blues-Rocker, den wir kennen und schätzen!

Weiter geht es mit dem von Eric Clapton berühmt gemachten Instrumentalklassiker "Steppin' Out" (eine Nummer, die von dem Pianisten Memphis Slim stammt). Moore folgt hier Claptons Vorlage und geht dann aber doch noch in seine eigene Richtung. Auch hier kann man sagen: Eine grundsolide und typische Moore’sche Arbeit auf der Blues Rock-Gitarre. Bekanntlich übernahm Gary ja einmal Claptons Rollle in dem kurzlebigen Trio BBM mit Jack Bruce und Ginger Baker.
Mit "In My Dreams" folgt dann eine typische langsame und gefühlvolle Ballade im Stile von "Parisienne Walkways" – das ist die andere, die sanfte und stark melancholische Seite von Gary Moore, die verlorene Lieben beweint. Die verwendeten Harmonien kommen einem auch sofort bekannt vor. Auch die beiden kraftvollen Soli in der Mitte und am Ende des Stückes erinnern stark an bekannte Moore-Songs – fast gar wie ein Abklatsch.

Mit B.B. Kings "How Blue Can You Get" hört der Kenner auch sofort, auf welchen Schultern Gary Moore als Blueser zuvörderst stand. Klar, da ist auch B.B. King intoniert, aber in erster Linie ist sowohl die Gitarre als auch die Stimme wohl deutlich der Bewunderung von Peter Green in dessen Fleetwood Mac-Zeiten gewidmet, wenngleich halt in der deutlich heftigeren Art von Gary. Der begleitende Bass weist ebenfalls klare Linien auf, die man von den Green-Songs zu Blueszeiten von Fleetwood Mac kennt.

Das folgende Stück, "Looking At Your Picture", obwohl klar auf einem 'Rollin' and Tumblin'-Blues-Riff aufbauend, hat etwas von Versuchen Gary Moores, powerartige Balladen jenseits von simplen Blues-Nummern zu bauen. Es erinnert mich an Songs aus dem 1997er Album "Dark Days In Paradise", mit dem er damals versuchte, aus dem bekannten Blues Rocker-Schema von "Still Got The Blues" auszubrechen.

Mit "Love Can Make A Fool Of You" kommt erst einmal eine Überraschung: Gary Moore scheint sich hier selbst zu covern oder gar zu plagiieren. Der Song beginnt klar als Clone des Themas der wunderschönen Interpretation der Ballade von Al Kooper, "I Love You More Than You’ll Ever Know", die auf der letzten Studio-CD von Gary, Bad For You Baby (2008), erschienen ist. Freilich, der Text des Stückes ist ein ganz anderer und auch die Gesangsmelodie hat mit der genannten Ballade nur wenig zu tun. Wie ich jetzt erst gelernt habe, handelt es sich bei der Nummer um eine neue Einspielung einer Aufnahme, die nachträglich auf dem 2002 neu herausgegebenen Album "Corridors auf Power" von 1982 erschienen war. Was damals als Synthie Pop-Stück konstruiert wurde, ist jetzt aber klar im bekannten Bluesballaden-Stil interpretiert. Man kann wohl davon ausgehen, dass Gary damals (wann?) sich schon mit dem Gedanken trug, "I Love You More Than You’ll Ever Know" einzuspielen. Jedenfalls enthält diese Version einiges der 2007er Aufnahme, sowohl in den Gitarren-Linien, im ausgedehnten Solo als auch im Gesang.

"Done Somebody Wrong" ist eine Coverversion eines Klassikers von Elmore James, auf der Gary die Slide-Gitarre einsetzt. Auch hier wird wieder klar: Gary Moore spielt und singt Blues-Songs auf seine heftige, sehr rockige Art.
"Living With The Blues", das abschließende Stück, ist wieder eins im typischen Gary Moore-Stil: Eine bluesartige, einfühlsame Ballade, mit kräftiger Stimme und Gitarre und netten, etwas ungewöhnlichen, harmonischen Akkorden. Den Soundteppich unterlegt wie so oft eine Hammondorgel.
Thematisch kommt das hervor, was man oft bei Gary hört: verlorene Liebe und Verlassensein.

Fazit: Was mit diesem posthum veröffentlichten Werk vorgelegt wird, ist ein Querschnitt dessen, wofür Gary Moore wohl für die meisten seiner Fans steht: Deftiger Blues Rock und gefühlsbetonte, bluesbasierte Balladen. Neuartige und unbekannte Seiten von Gary wird man hier nicht entdecken können. Zudem werden die Moore-Fans seiner 80er-Jahre-Heavy Rock-Periode nicht bedient – aber wer weiß, was im Nachlass noch alles zu finden (und verwertbar) ist.


Line-up Gary Moore:

Gary Moore (guitars, vocals)

Pete Rees (bass)

Vic Martin (keyboards)

Darrin Mooney (drums)

Graham Walker (drums)

Tracklist "How Blue Can You Get":

  1. I’m Tore Down (6:08)
  2. Steppin' Out (3:18)
  3. In My Dreams (5.42)
  4. How Blue Can You Get (7:16)
  5. Looking At Your Picture (4:29)
  6. Love Can Make A Fool Of You (6:23)
  7. Done Somebody Wrong (3:44)
  8. Living With The Blues (7:17)

Gesamtspielzeit: 44:17, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Carlo Luib-Finetti

7 Kommentare

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  1. Thomas Völge

    Muss leise protestieren. Für mich ein starkes Album. Alleine die Dynamik des Freddie King Klassikers lässt mich frohlocken. Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass man vieles schon mal gehört hat. Aber wenn es von solcher Qualität ist, kann ich darüber hinwegsehen. Ein neues Album meines alten Helden, ich bin begeistert.
    Wild Frontier ist übrigens von 1987, After The war von 1989.

    1. Wilhelm Eric Berwanger

      Hallo Thomas,
      danke für die noch fehlenden Infos zu Wild Frontier und After the War. Schon seltsam, aufgrund des neuen Albums haben ich mal in meinen alten Videos gekramt und eins von der Wild Frontier – Tour aus Stockholm gefunden. An den Drums war damals Eric Singer, der ja seit einigen Jahren bei Kiss die Felle bearbeitet. Das alte Video von 1987 muss ich mir unbedingt nochmal anschauen. Schönes Wochenende

  2. Claus

    Gary Moore Guitar, Vocals
    Pete Rees Bass
    Vic Martin Keyboards
    Darrin Mooney Drums
    Graham Walker Drums

    So steht es auf der CD.

    Und übrigens: die CD ist phantastisch!

  3. Wilhelm Eric Berwanger

    Hallo Carlo,
    tolles Review. Ohne die CD zu hören klingen die Songs schon in meinen Ohren. Mit 8 Songs ist das Album aber echt dürftig bestückt und geht stark in die Ecke das Blues. Für beinharte Gary Moore Fans sicher ein Grund die Sammlung zu erweitern. Meine schönste Zeit mit Gary Moore waren die 90er mit den Alben Wild Frontier und After the War wo er beinharten Hard Rock, ja sogar Metal gespielt hat.
    RIP Gary Moore.
    Wilhelm

    1. Ulli Heiser

      Ich habe ihn leider zu 'harten Zeiten' nicht gesehen, sondern erst auf der Still Got The Bluse-Tour. War aber heil. Wenn ich mich recht erinnere, war da Alber Collins als special guest dabei. War eine tolle Show

      1. Wilhelm Eric Berwanger

        Hallo Ulli,
        ich habe jetzt nochmal bei meinen Konzerten nachgeschaut. Es war beim Monsters of Rock 1984 in Karlsruhe und 1987 auf der Loreley, wo ich Gary live gesehen habe. Zum Album After the War gab es danach dann auch noch eine große Tour. Die Hard Rock Ära von Gary war also mehr in den 80ern. Unvergessen der Song Out in the Fields mit Phil Lynott, oder Led Clones mit Ozzy Osbourne. Beim After the War-Album war außerdem Cozy Powell mit an Bord. Danach ist er ja dann mit Still got the Blues mehr in die Richtung von How Blue Can You Get gegangen. Ob Hard Rock oder Blues, er war eine Legende.
        Gary Moore Forever!

        1. Andrea Groh

          Ich war 1985 in Offenbach auf der "Run For Cover"-Tour. Da gab es Songs wie das erwähnte "Out In The Fields" (ursprünglich hieß es sogar, dass auf der Tour Phil Lynott dazu kommen sollte als Gast, aber er war bereits zu krank). Zu meiner Freude kamen auch "Victims Of The Future" und "Murder In The Skies", die zu meinen Favoriten von Gary gehören… ja, die harten Sachen 🙂

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