Tja, manchmal dauert es länger und zweitens, als man denkt … oder so ähnlich. So erging es der aus Nordrhein-Westfalen stammenden Band Gate jedenfalls des öfteren. Gegründet im Jahr 1974, kann man die fünf Musiker-starke Combo grob im Bereich Krautrock ansiedeln, kann ihre Songs jedoch zweifelsfrei auch im Bereich Progressive verorten. Jedenfalls ging es 1975 ins Studio zu Oberguru Conny Plank, der seine Arbeit zwar wie immer akribisch erledigte, sich – nach seiner Meinung gefragt – jedoch nicht wirklich überzeugt von den Einspielungen zeigte. Von »…zwei Welten …« sprach er dagegen, nachdem er Gate nicht viel später live auf der Bühne erlebt hatte. Also wurde die nächste Entscheidung sehr schnell getroffen: Ein Live-Album musste her. 1976 wurden in Wuppertal vor jeweils ausverkauftem Haus zwei Konzerte mitgeschnitten und der gute Conny war erneut am Start, um sich um die Produktion zu kümmern. "Live" erschien nach langwieriger Label-Suche schließlich im Februar 1977.
Die Songs von Gate bersten fast vor komplexer Rhythmik sowie außergewöhnlichen Arrangements und klar wird ebenfalls sehr schnell, dass hier qualitativ absolut hochwertige Musiker am Start waren. Die mit nur wenig oder auch gar keinen Vocals ausgestatteten Tracks erinnern stellenweise gar etwas an die Musik von Frank Zappa in den siebziger Jahren. Wie Manfred Schröpfer, einer der beiden damaligen Gitarristen im Booklet schreibt, hatte das Quintett seine Songs allerdings straff durcharrangiert und komponiert, sodass kein oder zumindest fast kein Raum zum Jammen blieb. Der interessierte Musik-Fan sollte bei "Live" also nicht eingängige Songs im Rock-Format wie bei etwa Epitaph oder Jane warten, vielmehr wird hier eine heiße Mischung aus Rock und Progressive Rock mit gelegentlichen jazzigen Einschüben geboten. Sprich, die Scheibe entfaltet ihre Größe viel offensichtlicher, wenn man sich Zeit für sie nimmt und konzentriert hört, statt sie ’nebenher' laufen zu lassen. Als Bonus wurden der Originalplatte auf dieser Ausgabe zwei weitere Live-Tracks spendiert, die auf dem Brain Festival in der Grugahalle Essen im Februar 1978 aufgenommen wurde. Starkes Teil, das dem Hörer jedoch auch seine volle Aufmerksamkeit abverlangt.
Das Label Brain wollte direkt eine zweite Scheibe und schließlich ging Gate dann doch ins Studio, um "Red Light Sister" aufzunehmen, eine Platte, die im November 1977 erschien. "Jerry’s Mary" startet das zweite Werk fast etwas funky, gefolgt von dem in zwei Parts aufgeteilten "Time Is Gone", das mit einem verträumten Keyboard-Teppich und schöner Akustik-Gitarre beginnt und in ruhigen, sehr Atmosphäre-dichten Wassern verweilt. Insgesamt kann man also durchaus sagen, dass die Songs auf dieser Studio-Produktion etwas komprimierter und eingängiger komponiert und arrangiert sind. Wobei die Musiker natürlich – und zum Glück – natürlich nicht gänzlich aus ihrer Haut konnten, sodass auch auf diesem zweiten Album jede Menge Ecken und Kanten zu finden sind, die viel vom Reiz dieser Band ausmachen. Dazu gepackt wurde ein schönes Booklet mit einem Abriss der Bandhistorie von dem bereits erwähnten Manfred Schröpfer sowie viele Fotos aus einem mittlerweile längst vergangenen Jahrzehnt.
Für Gate ging es noch ein ganze Zeit sehr erfolgreich weiter. Es folgten Gigs mit Formationen wie Jane, Kraan, Guru Guru und Auftritte als Vorgruppe von unter anderem Udo Lindenberg. Ein Höhepunkt der Band-Geschichte war – als eine der ersten deutschen Bands überhaupt – ein gefilmter Auftritt im alterwürdigen WDR-Rockpalast, gespielt im Februar 1978. Irgendwann waren sich die Musiker jedoch über die weitere Karriereplanung nicht mehr eins. Einige Mitglieder beabsichtigten ihr begonnenes Studium weiterzuführen bzw. abzuschließen, während andere als Vollzeit-Profis alles in die Waagschale werfen wollten. Nach einem letzten Konzert im Dezember 1981 wurde die Band schließlich aufgelöst. Geblieben sind die beiden Alben "Live" und "Red Light Sister", die nun von MIG Music – und da schließt sich der Kreis, da es schon wieder so lange gedauert hat – erstmalig auf CD veröffentlicht wurden.
"Live & Red Light Sister – The Brain Years" von Gate ist ein Stück deutscher Musik-Geschichte, das es definitiv wert ist, (wieder-) entdeckt zu werden. Speziell, wenn man auf die krautigen Sachen aus den Siebzigern steht.
Line-up Gate:
Manos Tsangaris (drums & percussion, acoustic guitar – CD 2 – #6)
Martin Köhmstedt (guitars)
Angelos Tsangaris (bass, keyboards)
Manfred Schröpfer (guitars, bass, vocals)
Horst Kamp (lead vocals, percussion)
With:
Lothar Krell (keyboard – CD 2 – #6,7)
Stefan Lang (congas – CD 2 – #7)
Oliver Petry (synthesizer solo – CD 2 – #7)
Tracklist "The Brain Years …":
- Nicht Peter
- Late Night Movie
- Lieber Wilhelm
- Step In Love
- Friedrichstraße 18
- Hans Kürmel Boogie Woogie
- Die Platzanweiserin
- Rock On
- Heart (live at Brain Festival 1978)
- Herrenwies (live at Brain Festival 1978)
- Jerry’s Mary
- Time Is Gone (part I)
- Time Is Gone (part II)
- Happy Buddha
- Red Light Sister
- Shared Love
- Frankfurt
Gesamtspielzeit: 52:16 (CD 1), 43:56 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2023 (1977)
7 Kommentare
Zum Kommentar-Formular springen ↓
Frank Erkelenz
15. November 2024 um 20:52 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Bin sehr erstaunt über die teilweise unrichtigen Berichte. Es gab eine weitere LP "Well done", die nicht nur wegen einer gelungenen Reggae-Version von "Hang on Sloopy" hörenswert war und ist.
Markus Kerren
15. November 2024 um 22:46 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Frank,
vielen Dank für deine Ergänzung.
Lass dir versichert sein, dass wir bei RockTimes für jedes Review einen ganzen Batzen Zeit für die Recherche investieren, bevor wir das erste Wort zu einem Album oder einer Band geschrieben haben. Aber lass uns auch ehrlich sein: Selbst wenn man bereits in Richtung Rente geht, ist es unmöglich für jeden Rezensenten, JEDE (auch nicht jede deutsche) Band zu kennen. Wenn dann auch keine Website mehr existiert und vom Label oder dem Promoter keine weiteren Informationen kommen, dann kann es schon schwierig werden … Falls in einem RockTimes-Review mal ein Album einer Band nicht auftaucht oder "verschwiegen" wird, dann hat das in keinem Fall etwas mit (böser) Absicht zu tun. Erst recht nicht, wenn der Redaktion die Band – wie eben auch m Fall von Gate – sehr gut gefällt.
Umso schöner ist es dann, wenn genau solche Ergänzungen – wie die von dir getätigte – bei uns ankommen.
In diesem Sinne beste Grüße,
Markus
Claus
28. November 2023 um 7:58 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Mittlerweile gibt es die CDs in der richtigen Geschwindigkeit. Empfehlenswert.
Claus
13. September 2023 um 21:05 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Auf YT findest du ältere Aufnahmen in Original Geschwindigkeit. Meine Frage nach dem anhörenderCD warnichtbös gemeint, kam wohl falsch rüber. Aber schon witzig, dass sich beim Verlag keiner die CD scheinbar vor der Veröffentlichung abgehört hat ich hoffe, da kommt noch was, denn GATE waren schon klasse.
Markus Kerren
15. September 2023 um 17:56 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Alles gut, Claus, no worries. Und danke für den Tipp bezüglich YT, das werde ich tatsächlich mal testen.
Ob das dritte von dir erwähnte Album ebenfalls noch kommt, hängt wahrscheinlich von den Verkaufszahlen der reviewten Doppel-CD. Lassen wir uns überraschen, freuen würde ich mich jedenfalls auch darüber.
Claus Ludwikowski
13. September 2023 um 9:37 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Moin
Habt ihr euch die CD tatsächlich angehört? Meines Wissens ist die Geschwindigkeit zumindest auf der Red Light Sister deutlich zu langsam. Beim schwedischen Streamingdienst und bei YT war es auch so. Auf beiden Plattformen sind die Aufnahmen wieder verschwunden, nachdem ich das Label informiert hatte. Sehr schade. Ich habe Gate sehr gemocht und besitze alle drei Original LPs.
LG
Claus
Markus Kerren
13. September 2023 um 17:36 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Claus,
selbstverständlich hören wir uns die Alben NICHT an, bevor wir darüber ein Review schreiben. Das wäre ja noch schöner… 🙂
Aber Spaß beiseite: Ist ein interessanter Punkt, den du da aufführst. Leider hatten wir bzw. ich keine Chance darauf einzugehen, weil mir leider die Original-Vinyl-Versionen in der Sammlung fehlen. Aber bzw. deshalb erst recht: Danke für deinen Beitrag!
Beste Grüße,
Markus