Chicago war so eine Band. Eine, die den Stil wechselte und damit aus packendem Jazz Rock seichter und balladesker Mainstream wurde. So das Empfinden des Rezensenten. Fairerweise muss er aber auch gestehen, dass es klappen kann den Stil zu wechseln. Fleetwood Mac mag da als perfektes Beispiel dienen. Nach dem Ausstieg Peter Greens stieg auch der Blues aus und ebenfalls ging es dann in Richtung Mainstream. Allerdings weniger ins schnulzige Lager, sondern ins rockig-poppige. Kaum jemand, der einen Meilenstein der Musikhistorie, Rumours, wohl nicht im Regal stehen hat.
Was das alles mit George 'Funky' Brown zu tun hat? Nun, der war Gründungsmitglied bei Kool & The Gang und auch diese Band hat im Verlauf ihres Bestehens den Stil gewechselt. Aus der anfänglichen Jazztruppe wurde eine Soul- und Funkband, die dann dem Rezensenten irgendwann ebenfalls zu seicht wurde. Ging ihm "Ladies' Night" gegen Ende der Disco-Zeit noch halbwegs bei, so war mit "Cherish" ein Punkt erreicht, an dem ich den gekonnten (Disco)-Funk mit den starken Bläserparts nicht mehr hörte.
Nun ist der Schreiber dieses Artikels weit davon entfernt, Musikern, die ein "Cherish" in die Charts pumpten, Qualität abzusprechen. Wie auch, bei einer Band, die über 30 Gold- und Platinauszeichnungen einholte? Es war halt nicht mehr sein Geschmack. Was George Brown betrifft, so muss allerdings gesagt werden, dass hier auf der Platte schon gewaltig geklotzt und nicht gekleckert wird. "Where I’m Coming From" ist nicht einfach ein Album, dass posthum nach dem Ableben des Schlagzeugers, Keyboarders, Sängers und Komponisten Brown am 17. November 2023 mal eben auf den Markt gebracht wurde. Eher ist es so, dass die Scheibe aufzeigen möchte, dass George Brown in seinen 74 Jahren nicht nur ein 'Teil' von Kool & The Gang war, sondern sicherlich auch alleine seinen Platz in der Musikhistorie des Genres R&B, Soul und Funk gefunden und erfolgreich verteidigt hätte.
Zur Freude des Rezensenten sind nicht nur die in diesem Genre so typischen Schmuse-Nummern wie zum Beispiel "Your Body", "Hands Up" oder "Dreamancing" vertreten. Viele dieser Genre-Verkörperungen haben eine sehr angenehme Relaxtheit, wie etwa "She Just Wants To Be Loved", in deren soulige Atmosphäre ein entspanntes Saxofonssolo seine Runde dreht, wie auch in "Honey".
Die Bandbreite ist schon derart, dass es (natürlich) auch in die Ecke Kool & The Gang geht: Leave It On The Fire" mit diesem funky Touch und Gebläse. Da stört dann auch der nicht wehtuende Hip Hop nicht. Auch "My Woman" hat diesen "Kool & The Gang"-Anstrich durch die funkige Rhythmusgitarre.
Von Bandbreite sprechen muss man auch, wenn es um Browns stimmliche Fähigkeiten geht: "Tryna To Feel Your Need" zeigt besonders schön, mit welchen Färbungen seine Stimmbänder ausgestattet sind. Thematisch geht es auf "Where I’m Coming From" um nicht mehr und weniger als um die Lebensgeschichte des Künstlers, das posthume Solowerk ist quasi als sein Vermächtnis zu sehen. Es geht um persönliche Erzählungen und gesellschaftliche Beobachtungen – so jedenfalls ist das vom Label kommuniziert. Und ja, in "What If" etwa behandelt George einen sozialen Aspekt. Auch kompositorisch ist das im Tempo gemäßigte Stück ein Hinhörer.
Die beiden Nummern, die mich aber so richtig begeistern sind zum einen "Gemma", ein fantastisch relaxter Liebessong mit einem einnehmenden südamerikanischen Flair und klasse Saxofon-Part. Zum anderen "Nobody Loves Me Like You", denn – wenn ich das Wort Bandbreite noch einmal bemühen darf – hier scheinen R&B und Country-Feeling Grenzzäune einzureißen. Die Pedal Steel, von Gerg Leisz (u. a. Forest Rangers) gespielt, ist einfach nur klasse und so ein Instrument hätte ich hier mitnichten erwartet.
"Where I’m Coming From" ist in der Tat eine Platte, die nicht nur Soulärschen, sondern auch Rockärschen gefallen kann. Da die beiden genannten Körperteile ohne Erklärung so nicht stehen bleiben können, eine kurze Anekdote aus den 1970ern. Da war der Rezensent als DJ dabei, sein äußerst schmales Lehrlingssalär aufzubessern. Logisch, dass zu dieser Zeit auch Soul und Funk aus den vier 901er tönten. Aber in dieser Disco wurde auch Rock in allen Facetten gespielt. Ein Kollege von mir fuhr auf Soul und Funk ab, wie der Fiskus auf die Zahlen auf den Gehaltszetteln. Der Kollege B. S. wurde daher von mir Soularsch genannt. Mich nannte er Rockarsch. Wenn mir "Where I’m Coming From" zum Großteil also gefällt, wird es B. S. lieben …
Line-up George Brown:
George Brown, Nick (bass)
George Brown, Soniq Tolbert, Katy, Jonna Knudsen, Chiyumba Ossome, Ami Miller, Mario, Sha Sha Jones (vocals)
Rick Marcel, Ricky Rouse, George Brown Keys: George Brown, Aaron Brown (guitar)
George Brown, Aaron Brown (keyboards)
George Brown (drums)
Louis Van Taylor (flute & saxophone)
Ilsa (violin)
Gerg Leisz (pedal steel guitar)
Ann (flugelhorn)
Winston (trumpet)
Tracklist "Where I’m Coming From":
- Gemma
- She Just Wants To Be Loved
- What If
- Leave It On The Fire Featuring Ami Miller
- Honey Featuring Ami Miller
- Nobody Loves Me Like You
- Tryna To Feel Your Need
- Your Body Featuring Ami Miller
- Shawty’s Got
- Hands Up
- My Woman
- Dream Dancing
- It’s All About The Way You Love Me
- We Don’t Need A Reason
- Just To Make Her Happy
- Everything You Do
Gesamtspielzeit: 69:40, Erscheinungsjahr: 2024
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