Ganz sicher wird George Harrison seine Zeit bei The Beatles genossen haben, aber wo viel Licht ist, ist immer auch Schatten. Sehr frustrierend für das jüngste Mitglied der Fab Four war zumindest, dass er sich kaum gegen das Songwriter-Gespann Lennon/McCartney durchsetzen und fast schon froh sein konnte, wenn eines (oder manchmal auch zwei oder drei) seiner Stücke für ein Album der Band berücksichtigt wurde. Als die Musiker sich schließlich getrennt hatten, waren die Berge an eigenen, noch nicht veröffentlichten Tracks so sehr angewachsen, dass selbst der sich 1970 wohl auf dem Höhepunkt seine Erfolgs befindende Produzent Phil Spector aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. »Es ist nicht zu fassen, wieviele Songs er zur Verfügung hat und oben drauf kommt noch, dass beim Anhören jedes Stück qualitativ nochmal besser zu sein scheint, als das vorherige!« Im Mai 1970 gingen die beiden (plus weitere ausgewählte Musiker) dann für erste Aufnahmen in die Londoner Abbey Road Studios.
Alles lief eigentlich sehr gut an, aber es gab auch so einige Schwierigkeiten zu bewältigen. Zum einen musste Harrison immer wieder nach Liverpool zu seiner an Krebs erkrankten Mutter fahren und die Aufnahmen unterbrechen, zum anderen hatte sich Georges bester (ebenfalls an den Aufnahmen beteiligter) Freund Eric Clapton in seine Ehefrau Pattie verliebt (worüber er kurze Zeit später ein ganzes Doppel-Album namens Layla … erschaffen sollte), kam mit der Situation (und seinen Schuldgefühlen) überhaupt nicht zurecht und griff immer öfter zu Heroin. Obendrein stellte sich Phil Spector mit seinem uberechenbaren Verhalten nicht unbedingt als Hilfe heraus. »Der muss immer erst 18 Brandies trinken, bevor er überhaupt arbeiten kann!«, soll Harrison mal geschimpft haben. Nachdem sich Spector kurze Zeit später bei einem Sturz im Studio den Arm gebrochen hatte, zog er sich erstmal von dem Projekt zurück. Der Nachteil: Der gute George hatte nun auch den Produzenten-Job am Hals. Und dennoch schafften er und seine Mitmusiker (plus dem nach einer Auszeit wieder mitmischenden Phil Spector) einen absoluten Klassiker und ein Album für die Ewigkeit, das übrigens alleine deshalb schon in die Geschichtsbücher einging, weil es das erste Studioalbum mit drei Alben, also eine Triple LP, war.
Im Studio hatte George in Person der Gitarristen Eric Clapton und Dave Mason (Traffic), den Keyboardern Bobby Whitlock (Derek And The Dominos), Billy Preston und Gary Wright (Spooky Tooth), den Bassisten Carl Radle und Klaus Voormann, den Drummern Jim Gordon, Ringo Starr und Alan White, den Bläsern Bobby Keys und Jim Price (um nur mal die Hauptfiguren zu nennen) absolute Asse dabei, die dann auch entscheidend zur Entstehung dieses Meisterwerks beitrugen. Bezüglich der Songs weiß der Rezensent fast gar nicht, wo er anfangen und aufhören soll. Da sind wunderschöne akustische Nummern wie etwa "Beware Of Darkness", "Isn’t It A Pity", der Titeltrack oder "Apple Scruffs" vertreten, bei den unglaublich starken Rockern glänzen in erster Linie "Wah-Wah", "What Is Life" oder "Awaiting On You All". Auf "My Sweet Lord" (das auch heute immer noch im Radio gespielt wird) mit dem wundervollen Gitarren-Lick von Clapton braucht sicher nicht mehr näher eingegangen zu werden.
Aber es sind auch die eher unbekannteren Stücke wie etwa das sehr intensive "Hear Me Lord", das wunderschöne "I Dig Love", das flotte und von Bläsern untermalte "Art Of Dying", das verträumte "I’d Have You Anytime", Country-Töne bei dem starken "Behind That Locked Door", der weiteren vollen Phil Spector-Produktions-Breitseite bei "Let It Down" oder das die erste CD abschließende "Run Of The Mill", die keine Millimeter an Qualität nachlassen. "I’d Have You Anytime" hatte er zusammen mit Bob Dylan komponiert und für "All Things Must Pass" auch dessen Stück "If Not For You" eingespielt. Ab dem zehnten Song auf der zweiten CD ändert sich plötzlich das Geschehen und zwar so sehr, dass man zunächst denkt, es mit einem anderen Album zu tun zu haben. Und zwar handelt es sich dabei um den "Apple Jam", der insgesamt fünf Tracks umfasst und bis auf das Ständchen "It’s Johnny’s Birthday" (für Lennons Dreißigsten) instrumental und frei improvisiert wurde.
Auf der dritten und letzten CD des mir vorliegenden Formats finden wir dann nochmal 17 Outtakes bzw. Alternative Takes von Stücken, die auf dem Original-Album landeten, aber auch welche, die es nicht schafften. Die letztgenannten sind hier mit "Wedding Bells (Are Breaking Up That Old Gang Of Mine)", "Down To The River (Rocking Chair Jam)", "Almost 12 Bar Honky Tonk)" sowie "Woman Don’t You Cry For Me" vertreten und obendrein gibt es noch eine (nicht ganz ernst gemeinte) Version der Beatles-Nummer "Get Back". Eine schöne und zumeist von Phil Spectors 'Wall of Sound' befreite Ergänzung zu einem echten Album-Klassiker.
Für dieses Review lag mir die 3CD-Version des Albums vor, das aber noch in einigen weiteren Formaten erschienen ist. Das geht bis zu einer 'Uber Deluxe Version', die in einer speziellen Holzkiste mit acht LPs, fünf CDs, einem erweiterten Jubiläumsbuch, Laser Cut Specials aus Eichenholz, 1:6-Nachbildungen der Gartenzwerge des Albumcovers, Lithografien und weiteren Besonderheiten angeboten wird. Für seine Version darf und muss sich natürlich (je nach Gusto und momentarer Dicke seines Bankkontos) selbst entscheiden.
Line-up George Harrison:
Eric Clapton (electric & acoustic guitars, background vocals)
Gary Wright (piano, electric piano, organ)
Bobby Whitlock (organ, harmonium, piano, tubular bells, background vocals)
Klaus Voormann (bass, electric guitar)
Jim Gordon (drums)
Carl Radle (bass)
Ringo Starr (drums, percussion)
Billy Preston (organ, piano)
Jim Price (trumpet, trombone)
Bobby Keys (saxophones)
Alan White (drums, vibraphone)
Pete Drake (pedal steel)
Pete Ham (acoustic guitar)
Joey Molland (acoustic guitar)
Mike Gibbins (percussion)
Peter Frampton (acoustic guitar)
Dave Mason (electric & acoustic guitars)
Tony Ashton (piano)
Gary Brooker (piano)
John Barham Orchestra (orchestra & choral arrangements, harmonium, vibraphone
Mal Evans (percussion, vocal – CD 2 – #11)
Eddie Klein (vocal – CD 2 – #11)
Ginger Baker (drums – CD 2 – #13)
John Lennon (handclaps – CD 2 – #13)
Yoko Ono (handclaps – CD 2 – #13
Dhani Harrison (additional acoustic guitars, electric piano & background vocals)
Sam Brown (background vocals)
Ray Cooper (percussion, synthesizer)
Tracklist "All Things Must Pass":
- I’d Have You Anytime
- My Sweet Lord
- Wah-Wah
- Isn’t It A Pity (version 1)
- What Is Life
- If Not For You
- Behind That Locked Door
- Let It Down
- Run Of The Mill
CD 2:
- Beware Of Darkness
- Apple Scruffs
- Ballad Of Sir Frankie Crisp (Let It Roll)
- Awaiting On You All
- All Things Must Pass
- I Dig Love
- Art Of Dying
- Isn’t It A Pity (version 2)
- Hear Me Lord
- Out Of The Blue
- It’s Johnny’s Birthday
- Plug Me In
- I Remember Jeep
- Thanks For The Pepperoni
- Isn’t It A Pity (take 12 – june 2nd)
- Wah-Wah (take 1 – may 28th)
- I’d Have You Anytime (take 5 – may 28th)
- Art Of Dying (take 1 – may 29th)
- Isn’t It A Pity (take 27 – june 3rd)
- If Not For You (take 2 – june 4th)
- Wedding Bells [Are Breaking Up That Old Gang Of Mine] (take 1 – june 9th)
- What Is Life (take 1 – june 22nd)
- Beware Of Darkness (take 8 – june 23rd)
- Hear Me Lord (take 5 – june 24th)
- Let It Down (take 1 – june 24th)
- Run Of The Mill (take 36 – june 30th)
- Down To The River [Rocking Chair Jam] (take 1 – june 30th)
- Get Back (take 1 – july 1st)
- Almost 12 Bar Honky Tonk (take 1 – july 3rd)
- It’s Johnny’s Birthday (take 1 – october 7th)
- Woman Don’t You Cry For Me (take 5 – october 7th)
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