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George Harrison / Dark Horse – LP-Review

George Harrison-Dark Horse-LP-Review

Immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich man eine Platte empfinden oder bewerten kann. Nach der 1973er George Harrison-Scheibe Living In The Material World – die von allen Seiten in den Himmel gelobt wurde und bereits zwei Tage nach ihrem Erscheinen Goldstatus erreichte – kam im Folgejahr "Dark Horse" auf den Markt… und wurde sowohl von den Kritikern, als auch den Fans mit vernichtenden Urteilen verdammt. Auch heute noch findet man im weltweiten Netz eher laue Kritiken, die die Scheibe im Mittelmaß dümpeln lassen. Das hat natürlich Gründe und ein entscheidender mag sein, dass der Vorgänger mit "Give Me Love (Give Me Peace On Earth)" über einen Riesenhit verfügte, während sich diesbezüglich für "Dark Horse" bereits früh eine große Ebbe andeutete. Der Titelsong schaffte es in der Single-Version in den USA zwar bis auf Platz 15 der Billboard Charts und die folgende Auskopplung "Ding Dong, Ding Dong" auf Platz 10 in den Niederlanden, aber ansonsten konnten die beiden Songs weltweit ziemlich wenig reißen.

Aber dieses Album verfügt dennoch über eine ganz hohe Qualität, selbst wenn diese vom breiten Publikum (UND den Kritikern) nicht unbedingt bzw. eher selten erkannt wurde. Eine der Besonderheiten bzw. eher ungewöhnlichen Dinge war beispielsweise eine ganz eigene Version des The Everly Brothers-Klassikers "Bye Bye Love". Zum einen wegen dieser zugegebenermaßen sehr eigenwilligen Version und zum zweiten, weil überhaupt ein Coversong aufgenommen wurde (wobei dies ja schließlich nicht zum ersten Mal der Fall war). Und dann war da als erste Nummer ein Instrumental, nämlich das sehr starke "Hari’s On Tour (Express)". Aufgenommen mit der Jazz Rock-Band L.A. Express hörte sich der Track wahrscheinlich einfach nur zu ungwohnt für Beatles-Ohren an, als dass er bei diesen hätte punkten können. Nichtsdestotrotz ist das ein richtiger Klasse-Titel, der sich auch mal in andere Gefilde wagt, sich über den üblichen Tellerrand hinauslehnt. Ebenfalls ein Punkt, mit dem bequeme Gewohnheits-Erwartungen nicht erfüllt wurden. Für mich ist das dennoch ein herausragendes Stück, das mir nicht zuletzt auch Respekt abverlangt, da Harrison einfach keine Lust hatte, sich auf seine bisherige Arbeit reduzieren zu lassen.

Die restlichen Stücke (das sehr starke "Simply Shady", "So Sad" sowie "Maya Love") der ersten Seite sind vielleicht etwas introvertierter ausgefallen als auf anderen Werken, dafür aber umso intensiver, gespickt mit tollen Melodien und unwahrscheinlich gefühlvollem Gesang, der teilweise – falls die Platte nicht gerade als Berieselung nebenher läuft – sogar richtig unter die Haut geht. Seite 2 startet mit der ziemlich gefloppten zweiten Single-Auskopplung "Ding Dong, Ding Dong" inklusive den Gästen Ronnie Wood und Alvin Lee an den Gitarren. Offensichtlich der einzige Versuch auf "Dark Horse" einen Hit zu landen, steht der Titel – obwohl nicht schlecht – vorherigen geglückten Singles doch in einigem hinterher. Vielleicht zu gewollt, vielleicht einfach zu rund… Der Titelsong (mit einem sehr heiseren und irgendwie an Roger McGuinn erinnernden Harrison) ist dagegen eine supertolle Geschichte und ein Spitzensong.

Wenn es eine Schwachstelle auf "Dark Horse" gibt, dann ist das "It Is He". Nicht, dass der Track schlecht ist, aber mir geht die gefühlt einhundertsiebenunddreißigste Beweihräucherung von Harrisons Gott oder Guru irgendwann dann doch ziemlich auf die Nüsse. Aber glücklicherweise ist da mit "Far East Man" (um wen wird es da wohl gehen???) ja noch ein richtig starker Titel. Geschrieben hat er diesen zusammen mit Ronnie Wood, der aber auf dieser Version nicht zu hören ist. Aufgenommen hat er ihn trotzdem für sein Debüt-Soloalbum I’ve Got My Own Album To Do. Ein weiteres vergessenes Songjuwel.

Über "Living In The Material World" hatte ich geschrieben, dass es sich um eine der besseren George Harrison-Soloalben handelt, die Platte in meinen persönlichen Top 3 allerdings nicht auftaucht. "Dark Horse" hat in diesem Ranking nach "All Things Must Pass" allerdings seinen ganz festen Platz. Die Scheibe ist intensiv, tiefgründig, sehr atmosphärisch und mit ganz viel Herz und Seele eingespielt sowie -gesungen. Eine vergessene bzw. verkannte Perle aus dem Schaffen des Engländers, der sich jeder Rockfan unbedingt wieder zuwenden sollte. War "Living In The Material World" eine »…ganz feine Sache!«, dann ist "Dark Horse" ein absoluter Geheimtipp mit Langzeitwirkung, der in jede ernstzunehmende Sammlung gehört. Punkt!

Auch "Dark Horse" ist Teil der 18 Alben umfassenden Box "The Vinyl Collection", kommt auf supergeil klingendem 180g-Vinyl im aufklappbaren Cover und hat neben der Innenhülle eine zweite sowie eine weiteres aufklappbares Beiblatt im LP-Format mit allen Texten zu bieten. Die absolute Vollbedienung für den Vinyl-Fan.


Line-up George Harrsion:

George Harrison (acoustic & electric guitars,Moog synthesizer – #A-4, B-4), clavinet – #A-3,4, B-1, organ – #B-1, bass – #A-4, percussion – #A-4, 5, B-1,4, gubgubbi – #B-4, drums – #A-4, lead & background vocals)
Ron Wood (electric guitar – #B-1)
Alvin Lee (electric guitar – #B-1)
Robben Ford (electric guitars – #A-1,2, B-2)
Mick Jones (acoustic guitar – #B-2)
Nicky Hopkins (piano – #A-3)
Billy Preston (electric piano – #A-5, B-2,3, piano – #B-4, organ – #B-4)
Gary Wright (piano – #B-1)
Roger Kellaway (piano – #A-1,2, organ – #A-2)
Willie Weeks (bass – #A-3,5, B-2,4)
Klaus Voormann (bass – #B-1)
Max Bennett (bass – #A-1,2)
Andy Newmark (drums – #A-5, B-2-4, percussion – #B-3)
Ringo Starr (drums – #A-3, B-1)
Jim Keltner (drums – #A-3, B-1,2)
Guerin (drums – #A-1,2)
Emil Richards (percussion – #B-2,4)
Tom Scott (organ – #A-1, saxophones – #A-1,2,5, B-1,3, flute – #B-2,4)
Chuck Findley (flute – #B-2,4)
Jim Horn (flute – #B-2,4)
Lon & Derrek Van Eaton (background vocals – #B-2)

Tracklist "Dark Horse":

Side 1:

  1. Hari’s On Tour (Express)
  2. Simply Shady
  3. So Sad
  4. Bye Bye Love
  5. Maya Love

Side 2:

  1. Ding Dong, Ding Dong
  2. Dark Horse
  3. Far East Man
  4. It Is He

Gesamtspielzeit: 23:01 (Side 1), 18:22 (Side 2), Erscheinungsjahr: 2017 (1974)

 

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
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Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

5 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

  1. Peter

    Alles was nach "All things must pass" erschien musste fast schon automatisch in dessen übergroßem Schatten sein Dasein fristen. Teilweise hat sich George Harrison in seinem anzuerkennenden Bemühen nicht nur auf diese Veröffentlichung reduziert zu werden, mehr als einmal selber ein Bein gestellt. Ist so, aber immerhin gab es kein weiteres "Wonderwall music" oder "Electric sound".

  2. Ulli Heiser

    Apple Scruffs ist meine All Things Must Pass.Nummer. Kann nicht sagen, wieso, ist aber so 🙂

    1. Markus

      Yes Sir, ein sehr geiles Stück! Aber da sind sooooo viele Hammer-Songs drauf, ein echtes Meisterwerk!

  3. Rainer Hellstern

    Markus,
    du machst mich fertig….
    Und ich dachte das ist
    eine der langweiligsten
    Ex-Beatle Platten überhaupt.
    So habe ich sie in Erinerung.

    Ich höre mir das Ding
    auf alle Fälle nochmal an.

    Grüße,
    Rainy

    1. Markus

      Hi Rainer,
      dann unbedingt nochmal mit frischen Ohren reinziehen. An "All Things Must Pass" kommt natürlich auch diese Scheibe nicht ran, trotzdem ist das ein ganz feines Teil. Kann ich nur empfehlen, wenn man auch die sensibleren Titel mag 🙂

      Beste Grüße zurück,
      Markus

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