Ein Kamel in Oslo, noch dazu in der für den englischen Namen untypischen Schreibweise mit einem 'K'? Klingt auf den ersten Blick ein wenig seltsam – und genau das war auch die Intention der Band, als man sich damals im Jahre 2006 sozusagen mit Fjordwasser taufte. »Wir fühlten uns damals wie ein einsamer Rufer in der Wüste, weil unsere Musik scheinbar so gar nicht in unsere Heimat zu passen schien. So sind wir auf das einsame Kamel gekommen und haben es zur weiteren Verfremdung auch noch falsch (zumindest fürs Englische) geschrieben«. So oder so ähnlich haben uns die Jungs damals ihre ethnischen Wurzeln erklärt.
Für die musikalischen Verankerungen hingegen muss man schon eine etwas weiterreichende Forschung auf dem Feld des all umfassenden Rock ’n' Roll betreiben, denn da gibt es verschiedene Impulse. Klassischer Hardrock dürfte wohl der ursprünglichste Taktgeber gewesen sein, als sich das Kamel formierte. So verwundert es nicht, dass die Jungs einst auf Deep Purple oder Pentagram verwiesen, wenn sie nach ihren Lieblingsbands befragt wurden. Basierend auf einer solchen Ausrichtung unternehmen die Jungs jedoch gerne auch Ausflüge in die benachbarten Stilrichtungen des Bluesrock und des Stoner, mal ein bisschen psychedelisch, mal ein wenig doomig. Nimm alles zusammen, dann heißt es Lonely Kamel.
Dass die Kontakte mit Lonely Kamel von Anfang an sehr freundschaftlich verlaufen würden, hat sicher zwei Ursachen. Zum einen sind Thomas, Stian, Espen und Lukas wirklich coole und freundlich offene Typen, zum anderen hatte seinerzeit der Kopf der Siegener Freak Valley Leute, Jens Heide, den Jungs bei ihrem Start ein wenig unter die Arme gegriffen, wohl auch, was die Vermittlung von Plattenverträgen angeht. Und weil ich diesem Personenkreis selbst eine Weile lang angehörte, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass wir uns über den Weg laufen würden. In meinem Fall hat das jedoch recht lang gedauert, im Februar 2011 in Erfurt sollten sich einige spannende Geschichten ereignen. Zu diesem Zeitpunkt war ich allerdings schon vinylbewaffnet mit den ersten beiden Scheiben "Lonely Kamel" und "Blues For The Dead". So war die Vorfreude groß, die Band endlich mal live zu sehen. Es gab ein pralles Abendprogramm mit fünf Bands. Als Headliner spielten Colour Haze ein zweistündiges Set bis weit nach Mitternacht. Unsere Kamels waren zu diesem Zeitpunkt jedoch schon in höheren Bewusstseinssphären angelangt. Ihr Konzert hatte voll überzeugt und für jede Menge guter Stimmung im Saal gesorgt. Von den Begleitumständen sollten wir jedoch erst später erfahren. Immerhin erfuhren wir von Thomas, dass nur zwei Tage nach Erfurt ein Clubkonzert in Solingen anstehen würde, ergo direkt in heimischem Umfeld. Wir beschlossen, die Band auf diesem Trip zu begleiten.
So begab es sich, dass wir zwei Tage nach dem großen Event in Erfurt wieder den Weg des norwegischen Wüstentiers kreuzten, diesmal aber in der Solinger Cobra – und zwar nicht im großen Saal, sondern ganz gemütlich und familiär in der kleinen Kneipe. Wir waren früh vor Ort und trafen die Freunde, als sie sich gerade über allerlei Essbares hermachten. So konnten wir in aller Ruhe, noch bevor die ersten Gäste eintrafen, gemeinsam ein paar Bier vernichten. Dabei erfuhren wir von einer ziemlich schrägen Begebenheit, die wir selbst in Erfurt gar nicht mitbekommen hatten. Später hat Stian in einem Interview das Ganze auch noch einmal schriftlich ausgeführt. Es soll hier nicht fehlen:
»Es gab auf unseren Touren eine Menge witziger Situationen, aber die schrägste Geschichte ist eigentlich beim Up in Smoke Volume I abgelaufen. Damals waren wir Special-Guests bei drei Konzerten in Deutschland und Holland. Wir waren mächtig aufgeheizt und hatten einen tollen Gig in Berlin. Am nächsten Abend spielten wir in Erfurt und hörten, dass einige bedeutende Veranstalter im Publikum sein würden. Das Konzert ging total gut ab, das Publikum war riesig drauf und wir hatten eine großartige Zeit. In dieser Nacht wurden wir für Stoned From The Underground, Duna Jam und Roadburn gebucht, wenn ich mich recht entsinne.
Wie dem auch sei, das wollten wir feiern – und das taten wir auch, aber so richtig. Wir zogen uns einige Pullen von diesem komischen grünen Pfefferminz-Zeug rein, das aus unergründlichen Beweggründen in Deutschland sehr beliebt zu sein scheint. Ich kann mich vage an eine große Kotzerei vor der Halle erinnern und Thomas verendete irgendwo unter einem Baum, während ich auf einem kleinen Scheißhaus im Hotel eingepennt bin und unsere ganzen Einnahmen aus dem Verkauf von Fanartikeln und unserem Auftritt im Nirwana verschwanden. Am nächsten Morgen fanden wir unseren Sprinter mit geöffneten Türen – und unsere komplette Ausrüstung war verschwunden. Zum Glück fanden wir nach dem ersten Schock und einer Menge Stress alles wieder, die Instrumente brav zurück gelassen auf der Bühne. Wir hatten völlig vergessen, dass wir in der Nacht zu knülle waren, um unsere Sachen in den Wagen zu verfrachten. Aber genau das hat uns vielleicht gerettet, weil wir eh vergessen hatten, das Auto abzuschließen. So wäre der ganze Krempel am Ende womöglich geklaut worden.
Der nächste Gig am Abend darauf in Tilburg war dann nicht so geil, wie man sich vielleicht vorstellen kann, hahaha«.
Später im Jahr, bei dem zitierten Stoned From The Underground-Gig sind wir uns wieder begegnet. Diesmal blieb alles ganz brav und auf niedrigem Alkoholpegel. Die Jungs hatten ihre Freundinnen mitgebracht, das reguliert den exzessiven Partymodus auf ganz natürliche Weise.
Wenig später verkündete die Band ihren Wechsel zum Österreichischen Label Napalm, was sicher mit einem verbesserten Salär verbunden gewesen sein dürfte. Damit konnte Napalm neben My Sleeping Karma und Monkey 3 ein weiteres Schwergewicht des europäischen Undergrounds gewinnen, fast so etwas wie eine kleine Stoneroffensive.
Wenig verwunderlich, dass schon bald mit "Dust Devil" der dritte Longplayer den Weg in die Plattenregale fand und labeltypisch ziemlich komprimiert und tempogeladen daher kam. Der Release erfolgte im Oktober 2011, passend zur startenden Tournee "Up In Smoke III", zusammen mit The Machine, My Sleeping Karma und Samsara Blues Experiment. Am 28.10. wechselte im Siegener Vortex sehr viel norwegisches Vinyl den Besitzer und ganz nebenbei überzeugten uns die Jungs wieder einmal mit ihrer schweißtreibenden Melange aus hartem Bluesrock früherer Tage und heftigen Stoner-Attacken. Dabei mussten wir vorübergehend darum fürchten, ob wir die Band überhaupt zu hören bekommen würden. Beim ersten Konzert des Abends fiel der Strom aus und weder die Jungs von Samsara, noch die hauseigenen Techniker fanden auf Anhieb den Auslöser. Der stellte sich später dann als szenegerecht heraus. Eine Flasche Pils hatte einen Kurzschluss verursacht, Strom verträgt nun mal kein Bier.
Bei der Erstausgabe von Mattes Desertfest im April 2012 waren Lonely Kamel angekündigt, doch am Ende trafen wir nur Stian und Espen, Thomas und Lukas waren heftig erkrankt und konnten beim besten Willen nicht spielen. Außer ein paar lustigen Rückblicken und Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse blieb somit nur die Zuflucht zum Bier, der "Space Rider", mein Lieblingssong vom zweiten Album konnte leider nicht starten. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass meine Wege sich vorerst nicht mehr mit den Lonely Kamels kreuzen sollten.
2014 produzierte die Band ihr viertes Album "Shit City" mit einem wirklich sehr punkigen Titelsong. Da ich mich zu jener Zeit gerade ein wenig aus der Szene zurückgezogen hatte, entging mir diese Neuerscheinung und erst jetzt, in der Nachbetrachtung fällt mir auf, dass ich da dringend erwerbstechnisch aktiv werden muss.
Doch eines wird sich wohl niemals ändern: Ganz gleich, wo das Kamel auftaucht, gute Stimmung dürfte sicher sein. Das liegt an der Musik, aber eben auch an den Jungs. Ein Besuch ist somit heftig zu empfehlen.
Line-up Lonely Kamel:
Thomas Brenna (vocals, guitar)
Stian Helle (bass)
Lukas Paulsen (guitar)
Espen Nesset (drums)
Discographie Lonely Kamel:
Lonely Kamel
Blues For The Dead
Dust Devil
Shit City
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