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Giöbia / Magnifier – CD-Review

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Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass es sich hierbei um eine Wiederveröffentlichung handelt. Giöbias Magnifier durchbrach die Grenzen von Zeit und Raum bereits vor zwei Jahren und kommt jetzt in neuem Outfit und mit einer zusätzlichen Covernummer zurück in unseren Orbit. Oder wohin auch immer, denn die Musik, die landet nirgendwo anderes als tief in den Hirnen ihrer dankbaren Fans.

Liebe Leser, wer so etwas wie Hawkwinds abgefahrenen kleinen Bruder kennenlernen möchte, der zugegebenermaßen aus einer gänzlich anderen Zeit und ethnischen Herkunft stammt (Heimatplanet Mailand), müsste jetzt neugierig werden. Psychedelische Attacken und musikalische Affinität in der Underground-Musik der Sechziger Jahre kreieren einen sehr speziellen Sound für eine abgedrehte Reise durch die Tiefen des Unterbewusstseins, eine Musik gewordene Droge, die wirklich high macht. Doch Vorsicht, die Band rückt an mit Bulldozer, Presslufthammer und Monster-Bohrköpfen, um in deine Psyche einzudringen. Nicht sanft und subtil, sondern brachial und brutal. Bilder aus Paul Verhoevens und  Arnold Schwarzeneggers "Total Recall" werden dabei wach. Endlose Riffs, blubbernde Bässe, eine fuzzgetränkte Gitarre und die allseits geliebte Schweineorgel sind ihr Arsenal. Sie wollen deine Sinne nicht betören, sie wollen sie zerlegen. Also, leg dich hin, entspann dich und genieße es. Ein wenig masochistische Leidensfähigkeit mag hilfreich sein. Oder einfach Freude an wirklich wilder Musik.

»We now know, that this world was being watched closely by intelligence«, verkündet das interkontinentale Radio im Hintergrund. Immerhin, Intelligenz hat uns betrachtet! Wenn sie auf diesem Planeten mitunter selbst nicht so weit verbreitet scheint, mag der kritische Zeitgeist denken, ist es doch tröstlich, dass sie überhaupt irgendwo existiert. Die Musik aber geht hier erst einmal mit verführerischen Mitteln in den Ring. Schönes klassisches Georgel im Hintergrund und wohlklingende Hooks, Breaks, die noch nicht an die Grenzen gehen. Giöbia schenken uns zu Beginn ein Friedensangebot, um uns auf ihre Spur zu locken. Der Geist der Sechziger Jahre schwebt um uns herum und lässt Zweifel am Entstehungsdatum dieser Musik aufkommen.

Doch spätestens in der zweiten Nummer "The Pond" rücken die Bagger aus, jetzt schwingt die tonale Amplitude weitgehend nur noch im Niedrigbereich. Eine fuzzig verzerrte, tiefe Gitarre wetteifert mit dem Bass und einem düsteren Sprechgesang, wer die tiefste Bedrohlichkeit auszustoßen vermag und dann dringen sie ein in ihre willige Hörerschaft, die Invasion der gnadenlos Verlorenen hat begonnen. Irgendwo oben in deinem sich verabschiedenden Selbst breitet sich ein martialisch mitreißender Rhythmus aus repetitiven Brock’schen Riffs aus und nimmt Besitz von dir. Diese Kreise grooven und zirkulieren und mittendrin ist plötzlich Schluss.

"The Stain" ist eine gnadenlos retrobesetzte Undergroundnummer, die aus den frühen Tagen der Pink Floyd zu stammen und in einer Zeitblase stecken geblieben zu sein scheint. Ein schönes psychedelisches Orgelinterlude wird sogleich wieder mit Hawkwind’schem Feuer belegt, das ist ein Grundprinzip von Giöbia und findet sich in fast allen Nummern wieder.

"Lentamente La Luce Svanira" wirkt auf geheimnisvolle Art wie ein Botschafter zwischen den Zeiten, hier kommt durch den fast ein wenig aktuell wirkenden, tranceartigen Rhythmus ein wenig Moderne auf. Diese Nummer könnten sie glatt in guten Clubs spielen. Schön, wie der ansonsten so martialisch riffige Gitarrenton hier und da durch die arabische Laute oder die Bouzouki eingebremst wird. Diese Instrumente sind schon seit frühesten Tagen bei den Psychedelikern sehr beliebt, man möge nachhören bei David Lindleys Kaleidoscope.

Das The Open Mind-Cover "Magic Potion" wirkt wie eine Fortsetzung des Hawkwind-Klassikers "Brainstorm". Genial braust hier der Fuzz über den donnernden Bässen, bremst ein schönes Break, bis die Erinnerungen an Dave Brocks Riffs erneut den Turbo zünden. In diesen Phasen gehen sie durch mich durch wie das berühmte Messer durch die Butter, es gibt keinerlei Gegenwehr, warum auch, wenn’s gerade so schön knallt.

Doch wenn die Orgel, hier farbig schillernd wie ein Opal, das Fass aufmacht für "Sun Spectre", dann befinden wir uns längst in einer Umlaufbahn, irgendwo weit draußen im Outer Space – oder eben nur tief drin in den hinteren Winkeln des eigenen Bewusstseins. Die Grenzen dazwischen scheinen sich so oder so allmählich zu öffnen. In mittlerem Tempo steigen wir empor, driften und drehen uns allmählich in eine neue Bewusstseinssphäre. Der Sog ist ungeheuer und wird über Minuten fast auf einem Level minimal variierend auf die Spitze getrieben. Doch plötzlich öffnet sich vor dir der Raum und du schwebst ein in brechendes spektrales Licht. Bewegungslos hängst du mystisch entschleunigt in diesem sanft wabernde Lichtfeld und löst dich ganz langsam darin auf. Was für eine hinreißende Orgel, direkt aus dem Kosmos.

Doch vor der völligen Entmaterialisierung nehmen zurückgenommene Drum-Beats und sanfte Blechschläge uns plötzlich bei der Hand und nun erfährt man ein Stück von dieser verstörend erlösenden Passage aus Pink Floyds Epos Echoes, wenn das tröstliche Keyboard zum Finale aus der Dunkelheit führt. Die Fahrt geht wieder vorwärts, Dynamik und Intensität wachsen an und treiben auf einen dramatischen Höhepunkt zu. Und ganz unspektakulär geht es plötzlich zuende.
Um das schon mal vorweg zu nehmen, dieser Song aus eindringlicher Eintönigkeit ist ein psychedelisches Meisterwerk, ein Erlebnis, eine Offenbarung. Fünfzehn Minuten Selbsterfahrung pur, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.

Mit dem Titelstück entführt uns Giöbia ein letztes Mal in die Gründertage der Rockmusik, damals, als alles begann. Der ausufernde Psycho-Trip hingegen hat ein Ende, wir werden befreit und in die wirkliche Welt zurückgesandt. Schade eigentlich, diese teuflische, tiefenpsychologische Reise durch die verborgenen Hirnwindungen hat eine Menge Spaß gemacht!

Wilde psychedelische Ausflüge, harter Space Rock und eine tiefe Liebe für die Sechziger prägen dieses wunderschöne Album voller Magie und eigentümlicher Virtuosität. Giöbia verknüpfen perfekt die Wurzeln legendärer Vorväter untereinander und führen sie zu einer faszinierenden Mischung zusammen. Eine Mixtur, die uns höchst zeitgemäßen Sound bietet und mit ihrer archaisch retrospektiven Verspieltheit verzaubert. Moderne Rockmusik, die so wenig modern klingt. "Magnifier" hat das Zeug zum Klassiker, fragen wir mal nach, demnächst, im Jahre des Herren 2050.


Line-up Giöbia:

Stefano Bazu Basurto (vocals, guitar, oud, bouzouki, santur, synth)
Saffo Fontana (organ, moog, vocals)
Stefano Planetgong Betta (drums, percussion)
Paolo Detrji Basurto (bass)

Tracklist "Magnifier":

  1. This World Was Beeing Watched Closely
  2. The Pond
  3. The Stain
  4. Lentamente La Luce Svanira
  5. Devil’s Howl
  6. Magic Potion
  7. Sun Spectre
  8. The Magnifier

Gesamtspielzeit: 49:54, Erscheinungsjahr: 2017 (Wiederveröffentlichung, Original aus 2015)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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