«

»

Glass Hammer / Valkyrie – CD-Review

Das neue Glass Hammer-Album "Valkyrie" kommt wie zur besten Zeit der Band mit einem Konzept daher und die Handlung hat es wahrlich in sich. Erzählt wird die Geschichte eines Soldaten, seine traumatischen Erlebnisse und Versuche, das Erlebte zu verarbeiten, während seine Gedanken bei seiner Freundin daheim sind und der er später sein Los erklärt in der Hoffnung, sie möge ihn stützen und ihm helfen, ins Leben zurückzufinden. Die Geschichte findet in "Rapturo", dem abschließenden Song letztlich ein Happy End.

Nähert man sich erst einmal der musikalischen Bearbeitung, dann finden wir ein Album, welches Bass- und Keyboard-orientiert auf hohem Niveau viele fesselnde Momente progressiver Rockmusik kreiert. Durch den intensiven Gebrauch von klassischen Orgeln, die in oft wild zirkulierenden Soli sehr schön gegen die modernen, epischen Keyboard-Wände gestellt werden, erhält die Musik einen unverkennbaren Sound, der stark an die Siebziger Jahre erinnert und der den Eindruck spontaner Improvisation untermalt. Verwundern kann dies nicht, denn Bass-Mann Steve Babb erläuterte im Vorfeld zu den Aufnahmen, dass die Band erstmals schon vorab das neue Material intensiv eingeprobt hat, so wie sie es üblicherweise nur vor einer Tour praktizieren. Mit diesen Vorbereitungen ging man dann schließlich ins Studio und spielte das ganze Album in einer quasi Live-Situation auf die Bänder. Dem Material tut das gut, wird doch auf diese Weise verhindert, dass der progressive Sound in irgendeiner Weise künstlich rüber kommt. Ein Problem, dem hiesige Neo-Progger durchaus schon mal unterliegen.

Auf diese Weise bewegen wir uns in einer Art besonders geerdetem, sinfonischen Prog. Die Songs überzeugen durchgängig, werden gesanglich gleich von mehreren Säulen getragen. Lead-Sängerin Susie Bogdanowicz erscheint mir in den frühen Sequenzen des Albums gelegentlich ein wenig blass, bringt aber zum Ende hin, etwa ab "Dead And Gone" ganz viel Emotion in die Geschichte und trägt die Botschaften der Songs dort sehr überzeugend. Aber auch Fred Schendel (Keys) und Steve Babb (Bass) haben ausreichend Gelegenheit, sich stimmlich stimmig einzubringen, was am besten gelingt, wenn sie in eindrücklichem Doppelgesang wie im Titelstück "Valkyrie" agieren.

Der Aufbau der Songs ist durch und durch progressiv, auf stetige Variationen in Rhythmik und Stimmungen müssen wir vorbereitet sein. Aber die Breaks sind meist moderat, man gewinnt gleich beim ersten Durchhören einen guten Flow und muss nicht erst die Ecken und Kanten ausloten. Die Keyboardklänge kommen oft in Lagen übereinander aufgeschichtet daher und gelegentlich legt sich ein schönes episches Gitarrensolo von Kamram Alan Shikoh auf dieses Tasten-Kissen und lässt die Stimmung kulminieren. Später werden auch einzelne Riff-Attacken in die Songs eingebaut, eine harte Gangart – aber nur für einen Augenblick.
In "Nexus Girl" fühle ich ein wenig Verwandtschaft zu Porcupine Tree und finde das Thema dieses kurzen Instrumentals später im Finale wieder. Wenn die Keyboards hingegen wieder einmal in melodischen Ausschweifungen umherkreisen, dann mag man hier und da ein paar Reminiszenzen an das Spät-Siebziger Schaffen von Genesis vermuten. Erstaunlicherweise ist die enge Beziehung zu Yes, die frühere Alben kennzeichnete, auf "Valkyrie" nicht so sehr festzustellen.

Einer meiner Favoriten auf dem Silberling spielt mit "No Man’s Land" mehr als vierzehn Minuten auf und zieht zu Beginn mit einer hypnotisch kreiselnden Gitarre in den Bann, während im Hintergrund die Rhythmik von Aaron Raulstons Schlagwerk immer höher aufschäumt. Sehr schön, wenn dann Fred an den Tasten sich dieses Mal über den Saiten ausbreiten darf. Susies Lyrics wird der Refrain im Team von Steve und Fred entgegen gesetzt. Und dann wird georgelt bis die Tasten glühen.

Susie Bogdanowicz' stärkste Momente erleben wir aus meiner Sicht beginnend mit dem berührenden "Dead And Gone". Die spärlich zarte Instrumentierung stützt hierbei die Atmosphäre in den Gesangspassagen sehr eindrücklich. Zahlreiche folgende Keyboard-Eskapaden zitieren noch einmal alle möglichen Urväter früher Zeiten und nehmen diese Stimmung nahtlos rüber in den vorletzten Song, "Eucatastrophe", der wiederum eine gewisse Nähe zu Neal Morse nicht verleugnen kann.

Zum Ende streifen Glass Hammer in der getragenen Dramatik von "Rapturo" und der Liebesbekundung unserer weiblichen Hauptrolle zu ihrem Soldaten fast ein wenig die Pforten des Bombast, aber allein die sensible Überleitung auf dem Piano zu Beginn des Songs ist ein Gänsehaut-Erzeuger aller erster Güte.
Diese Musik klingt wirklich sehr schön, aber damit komme ich zu einem echten Problem.

Es will mir einfach nicht so recht gelingen, die dramatische Handlung mit der so elegant melodisch daherkommenden Musik in Einklang zu bringen. So sehr ich akzeptiere, dass man Themen auf vielerlei unterschiedliche Weise aufbereiten kann, hier fehlt mir einfach ein verbindendes Element, kommt die Musik angesichts des Themas zu glatt rüber. Und selbst die inhaltliche Auseinandersetzung mit der psychologisch so schwierigen Ausgangslage der Handlung endet glücklich wie in einer Love-Story: »Lies broken in pieces. War, there’s no war that can take you from me. Though battles we must fight, or we forfeit all to darkness. Love will surely win out the day. In the end… « Das klingt alles sehr romantisch und freut uns für den Protagonisten, doch ob die Wirklichkeit tatsächlich so einfach ist? Vielleicht läuft der Plot auch hier ein wenig zu geschmeidig, zu glatt ab. Captain Willard sagt in "Apocalypse Now" nach einem Heimaturlaub zu diesem Thema: »Ich sprach kaum ein Wort mit meiner Frau, bis ich Ja zur Scheidung sagte.« Und später, als er über den Wunsch einiger Kameraden nachdenkt, die endlich nach Hause kommen möchten: »Was die nicht wissen, ich war inzwischen dort und ich weiß, dass es kein Zurück mehr gibt.«

Das Album ist großartig eingespielt und macht jede Menge Freude beim Hören. Es ist auch ganz sicher sehr zu unterstützen, wenn eine Rockband sich wirklich wichtigen und anspruchsvollen Themen widmet. Letztlich muss jeder Zuhörer für sich selbst entscheiden, ob und in wie weit er eher der Musik oder dem inhaltlichen Thema folgen mag und wie wichtig ihm das Zusammenspiel beider ist. Der musikalische Flow des Albums hat mich voll und ganz mitgenommen, allein bei der Kongruenz mit der bedeutungsvollen Story hat es mich ein Stück weit verstört zurückgelassen.


Line-up Glass Hammer:

Susie Bogdanowicz (vocals)
Fred Schendel (keyboards, vocals)
Steve Babb (bass, keyboards, vocals)
Kamram Alan Shikoh (guitar)
Aaron Raulston (drums)

Tracklist "Valkyrie":

  1. The Fields We Know
  2. Golden Days
  3. No Man’s Land
  4. Nexus Girl
  5. Valkyrie
  6. Fog Of War
  7. Dead And Gone
  8. Eucatastrophe
  9. Rapturo

Gesamtspielzeit: 65:00, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>