«

»

Gov’t Mule Live At Red Rocks – Am Schreibtisch in Duisburg – ein etwas anderer Konzertbericht vom 14.09.2018

Gov't Mule / Huxley's Neue Welt, Berlin 2017

Rock’n’Roll "From Dusk Till Dawn", Nachtschicht im Dienste des Esels

Wenn ein alternder Fan im Morgengrauen benebelt vor Glück vor seinem Schreibtisch tanzt, hoffentlich unbeobachtet von seinen weitgehend noch schlafenden Nachbarn, dann muss irgend etwas Verrücktes abgehen. Oder etwas besonders Großes.

Ehrlich gesagt fehlen mir fast die Worte, um das Wochenende zu beschreiben, an dem meine geliebten Maultiere die Red Rocks rockten, daher mögen hier ein paar Stimmen der Mule-Webseite zitiert werden in der Hoffnung, ein Stück von den Emotionen zu vermitteln, die uns Muleheads in dieser heiligen Nacht widerfahren sind:

»This was like a pilgrimage for me…«

»Best show ever…«

»Tears and chills…«

»Such a great night…«

»Holy fucking moly…pure excellence.«

Woody Allen hat in einem seiner Filme, ich glaube es war "Boris Gruschtschenko", über die verschiedenen Formen der Liebe philosophieren lassen. Eine ganz spezielle Art fehlte dabei: Die Liebe eines kleinen alten Kackers, wie man hierzulande sagt, zu seiner Lieblingsband. Wenn es danach geht, hat Red Rocks meine ohnehin schon grenzenlose Zuneigung und Liebe zu Gov’t Mule noch einmal in eine neue Dimension erhoben. Wenn die Botschaft dieses Konzerts im Universum angekommen sein sollte, haben wir Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Jeder, der das mitbekommen hat, weiß, dass vom Planeten Erde wahrhaft Schönes und Reines kommen kann – von unseren Botschaftern Gov’t Mule, komischerweise beheimatet in New York, wo einige der übelsten Ganoven unserer Spezies nach wie vor ihr Unwesen treiben. Aber, Ihr Trumps und Rockefellers und alle Eure weltweit blökenden merkelwürdigen Vasallen, Warren hat die passende Antwort auf Euer unchristliches Gebaren: »Revolution Come – Revolution Go«! Die Reste-Verwerte-Tonne der Geschichte wartet schon auf Euch, so oder so ähnlich beleidigt Ihr Euch doch gegenseitig gerne selbst, oder? Hey, und wer glaubt, Warren würde diese politische Intention nicht ausdrücklich verfolgen, der möge schauen, wie er vier Tage nach Red Rocks in Tulsa als Uncle Sam verkleidet auf die Bühne ging. Mit einem Plakat: »Don’t Be Such An Ass Sam«!
Keine weiteren Fragen.

Ja, die wichtigste Message der langen Nacht war wohl die, dass Rockmusik selbst in der heutigen Zeit noch magisch, mystisch und erleuchtend sein kann. Dann, wenn ein einzelner Mann quasi als Skinnerd’s "Simple Man" allein mit seiner Klampfe auf die Bühne geht und wie einst auf seinem Album "Live At Bonaroo" die Menschen innerhalb weniger Sekunden in seinen Bann zieht.  Mit seinen stillen Versionen großartig geschriebener Songs und vor allem mit seinem Einfühlungsvermögen, einzigartig eingebracht in Stimme und Gitarre. Genau der richtige, um uns schon in kürzester Zeit aus allen Wirren unserer Zeit hinaus in seine Welt zu führen. Eine Welt voller Liebe, Wertschätzung und zeitlosem Gefühl. Egal ob Cover, egal ob eigene Komposition, Musik lebt, wenn Warren sie interpretiert. Und das ist erst der Anfang.

Pink Floyd haben sie sich vorgenommen. Wieder einmal. Ich bin zum zweiten mal live im Stream dabei, schon 2015 bei der Mountain Jam schenkten sie

uns einen großen Abend mit den Helden der britischen Psychedelik. Dieses mal aber, da geben sie uns einen Marathon, der selbst für Gov’t Mule-Verhältnisse einzigartig ist. Fast sechs Stunden stehen auf dem Programm, eben mit Warrens ausgesprochen seltener Solo-Akustik-Performance, einem klassischen Mule-Set mit Klassikern der Band und eben dem großen Highlight des Abends, einer zweieinhalb stündigen Hommage an Pink Floyd. Es liegt eine Art historisches Flies über der Wüste, als Warren das Konzert beginnt.

Bewaffnet mit einer großen Packung Nachos, einem Salsa-Dip und jeder Menge Tequila-Bier hocke ich ab 2:30 Uhr MEZ vor meinem Computer und werde elektrisiert von dem Gedanken, von nun an sechs Stunden direkt verbunden zu sein mit meinen Helden, meinen Göttern. Schon das erste Cover,"Before You Came", auf Mules Webseite vielfach gefeiert, verleiht mir die erste Gänsehaut – es soll ein Dauerzustand für die nächsten Stunden werden.

Und die Location? Einzigartig. Hoch in den Bergen zwischen senkrechten Felsen, als alter Kletterer schlägt allein dafür mein Herz schon schneller. Aber hier ist früher John Wayne vorbei geritten. Stücke von Warrens herrlicher "Ashes & Dust"-Scheibe finden glücklicherweise den Weg in diesen Set, ganz sanft und entschleunigt, ausschließlich fixiert in seiner Persönlichkeit. Da zeigt sich die wahre Kraft dieser Songs. Und "Soulshine" bringt er zum Schluss. Wow, das kann ja heiter werden.

Die Pause vergeht schnell und schon bald stehen Matt, Danny und Jorgen neben dem Meister auf den Brettern. Die Sonne ist inzwischen untergegangen und die faszinierende Beleuchtung setzt die umgebenden, senkrechten Felsen atemraubend in Szene. Es wird ein Mule-Set mit Volldampf, eine Vernissage der zurückliegenden vierundzwanzig Jahren mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Blues-lastigen Nummern. Ist doch klar, die sphärisch psychedelischen Aspekte wird man mit Floyds-Titeln abdecken. "Bad Little Doggie" und "Broke Down On The Brazos" ist einer der heftigsten Auftakte für so ein Unternehmen und sie gehen wahrlich in die Vollen.

Abgesehen von "Banks Of The Deep End" gibt es einen wirklich sensiblen Augenblick inmitten der ansonsten auf Attacke gesetzten Setlist in "Dreams And Songs", der schönsten Ballade vom aktuellen Album Revolution Come, Revolution Go, dessen Titelsong natürlich auch zum Besten gegeben wird. Eine herrliche, reflektierend besinnliche Nummer, die Danny mit einem sehr entspannten E-Piano ausklingen lässt.

Dann kommt der Deckel drauf. "Mule", die hauseigene Hymne mit dem knallharten Bass-Stakkato, die so viel vom Herzen der Maultiere und ihrer Musik beinhaltet, rockt mich aus dem Stuhl. Darauf ein Desperados. Es folgt der Schlusspunkt der eigenen Werkschau, der in diesem Fall ausnahmsweise gar nicht aus der eigenen Feder stammt. "Dark Was The Night, Cold Was The Ground" ist eine perfekte Nummer zwischen Blues und Rock und Warren slidet uns direkt ins Nirwana. Ich liebe diese Nummer, seit ich sie damals erstmals im Vorgriff auf die neue CD gehört habe. Schroff, aggressiv und voller vorwärts strömender Energie – und dann wieder ganz still. Coyoten und sonstiges Getier gehen jetzt verschreckt türmen, Gov’t Mule haben endgültig die Herrschaft über die Wüste übernommen. Ach ja, über den Duisburger Innenhafen auch. Um mich herum schläft scheinbar die Welt, dabei steht das ganz große Ereignis doch noch bevor. Drüben im Block ahnen sie davon nichts.

Warren Haynes

Warren Haynes

Während der Pause läuft im Hintergrund eine Sammelsurium von floydschen Hintergrund-Effekten ab und man erahnt schon den einen oder anderen Song. Aber irgendwann reduziert sich die Begleitung immer mehr auf das legendäre Radar und einen sphärischen Wind, mit dem auf "The Meddle" Musikgeschichte geschrieben wurde. Wir gleiten zärtlich sanft hinein in "Echoes" (Part One, um es genauer zu sagen, denn sie splitten heute diesen Monumental-Song in zwei Teile). Es ist dies die vielleicht spannendste Erfahrung eines 'Dark Side Of The Mule'-Konzerts. Pink Floyd waren die Meister der perfekten Show, David Gilmour choreographierte die Lichteffekte auf die Sekunde genau zu seinen Soli, die Band spielte quasi ein präzise eingespieltes Programm. Gov’t Mule sind dazu so ziemlich genau das Gegenteil. Hier geht alles aus dem Bauch. Warren Haynes ist ein Instinkt-Musiker, wie ich keinen Zweiten kenne. Der fühlt sich ein in alles Mögliche, was irgendwie mit ehrlicher und emotionaler Musik zu tun hat. Und er hat ganz nebenbei ein paar Mitstreiter an seiner Seite, die wie verlängerte Arme ganz und gar auf dem Meister fixiert sind und seine Visionen intuitiv fortsetzen. Ein organisches Wesen ist unser Esel, so perfekt, dass man freudig erschaudern mag. Beispiel gefällig? Das Gitarrensolo gleich im ersten Stück von "Echoes" haut einen um, trifft ins Zwerchfell, macht keine Gefangenen. Warren setzt seinen Stempel auf ein legendäres Stückchen Musik und jeder denkt: Mensch, das muss doch ein Mule-Song sein.

Gleich zu Beginn zeigt ein fast schon Dauergast zu nennender Freund am saxigen Gebläse seine große Klasse. Ron Holloway begleitet Mule schon sehr lange und ist immer wieder mit dabei. Gerade für die großen Nummern von "Dark Side…" wird er heute dringend benötigt, denn sie haben sich, verteilt über den Abend, das gesamte Meisterwerk von 1973 ins Programm geschrieben. Ohne Saxophon geht das nicht.
Wobei speziell in "Times" dem Bass eine besondere Bedeutung zukommt. Ich muss zwangsläufig an die Schilderungen meines Kumpels Schorsch denken. Der hat mir mal erzählt, wie Roger Waters mit seinem krachenden Bass einstmals fast den Oberrang des Kölner Müngersdorfer Stadions zum Einsturz brachte. Über Jorgens Bass-Bomben liest man im Netz ähnliches.
Die Berge bebten, als der Esel grollte. Ich sag ja, sie nehmen inzwischen fast biblische Züge an – aber das meine ich nicht ganz ernst.

Was soll ich groß zu der Songauswahl sagen? Es gab alles, wirklich alles, was Floyd einst berühmt gemacht hat, auch hier über viele Jahre blickend, ganz ähnlich wie im eigenen Set.
Epische Ausflüge wie im schon zitierten "Echoes", dessen zweiten Teil sie stilvoll in die Endphase des Konzerts platzierten, fanden sicher ihren Höhepunkt im für viele Leute bekanntesten Epos der Briten, "Shine On You Crazy Diamond". Mule brachten das gesamte Werk! Aber neben dem dazu gehörigen "Welcome To The Machine" mit seiner völlig vom Haupttitel abgekoppelten Atmossphäre entblöste sich das Herz des Maultiers genau bei den Nummern, wo schon das Original einen härten Charakter pflegt. "The Nile Song" aus dem Film "More" haben Pink Floyd nie live gespielt, für Warren scheint der Song geradezu geschrieben worden zu sein. Meine Herren, geht da die Post ab.

Bei "One Of These Days", wohl dem einzigen Floyd-Song, den sie relativ häufig auch einmal in ein gewöhnliches Set einbauen (mir fehlt der noch trotz inzwischen zwanzig Mule-Live-Erlebnissen), trifft das auch zu. So oder so ist "One Of These Days" ein wie für Warren geschaffenes Werk, kann er sich doch dabei nach Herzenslust mit dem Bottleneck austoben.

Na, und das tat er an jenem Abend, so sehr, dass ich vorübergehend meine Nachbarn vergaß und durch die Bude tobte. Immerhin, beschwert haben sie sich nicht.

Dass Warren Haynes gönnen kann, weiß man schon lange und daher überlässt er einen Teil des legendären Solos in "Comfortably Numb" seinem heutigen Gastmusiker Torbjörn T-Bone Andersson, der für den Floyd-Set die zweite Gitarre spielt. Nur wer wahrhaft groß ist, würde die Krone mit anderen teilen. Muleheads wissen, warum so viele Menschen Warren lieben…

Und am Ende "Wish You Were Here", einzigartig, atemraubend und mit ganz viel Pipi in meinem Gesicht. Die Audience steht – und sie singt, wenn Warren sie darum bittet. Tief in der Nacht, bei mir morgens um acht, singen tausende völlig losgelöster Fans das Lied, welches Floyd ihrem 'fünften Mitglied' Syd Barrett für alle Zeiten gewidmet haben. Und ich stehe vorm PC und singe auch, heulend und mit dem letzten Bier in der Flosse.

»How I wish, how I wish I was There…«

Dann ist es vorbei. Das Lied ist aus, der Stream schaltet ab. Es ist Samstag, acht Uhr, Zeit, Brötchen zu kaufen. Meine Mutter steht gleich auf und würde gern was zum Frühstück auf dem Tisch finden. »Junge, war der Wahren Hengst wieder gut?« wird sie mich dann fragen. Mit den englischen Namen hat sie es nicht so, aber ich werde ihr verklärt erzählen, wie ein paar Maultiere die ganze Welt verzaubert haben, zumindest die, die dabei waren. Von einer Nacht, wie sie mir die Rockmusik vielleicht nie wieder bereiten wird.

Heute Morgen bin ich stolzer und glücklicher denn je, dass ich mein Herz an Gov’t Mule verschenkt habe. Ich hätte es nicht besser treffen können.
Denn nichts und niemand ist wie Gov’t Mule.


Line-up Gov’t Mule:

Warren Haynes (guitar, vocals)
Matt Abts (drums, vocals)
Danny Louis (keyboards, trombone)
Jorgen Carlsson (bass)

guests:
Torbjörn T-Bone Andersson (guitar#Set 3)
Ron Holloway (saxophone#Set 3)
Machan Taylor (background vocals#Set 3)
Mini Carlsson (background vocals#Set 3)
Sophia Ramos (background vocals#Set 3)

Setlist:

Set 1: Warren Haynes Solo

  1. Before You Came
  2. Blue Maiden’s Tale
  3. Old Before My Time
  4. Spots Of Time
  5. The Real Thing
  6. Hallelujah Boulevard
  7. Soulshine

Set 2: Gov’t Mule

  1. Bad Little Doggie
  2. Broke Down On The Brazos
  3. Tributary Jam
  4. Banks Of The Deep End
  5. Rocking Horse
  6. Revolution Come, Revolution Go
  7. Thorns Of Life
  8. Dreams & Songs
  9. Mule
  10. Dark Was The Night, Cold Was The Ground

Set 3: Dark Side Of The Mule

  1. Echoes (Part 1)
  2. Have A Cigar
  3. Speak To Me
  4. Breathe
  5. On The Run
  6. Time
  7. Breathe Reprise
  8. The Great Gig In The Sky
  9. Welcome To The Machine
  10. Pigs On The Wing (Part 2)
  11. Shine On You Crazy Diamond (Parts I-V)
  12. The Nile Song
  13. Money
  14. Us & Them
  15. Any Colour You Like
  16. One Of These Days
  17. Fearless
  18. Echoes (Part 2)
  19. Comfortably Numb
  20. Shine On You Crazy Diamond (Parts VI – IX)
  21. Wish You Were Here

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

3 Kommentare

  1. Willy Zimmermann

    Hallo Michael, hallo Torsten,

    wie gut kann ich euch verstehen! Ja, New Years Eve mal in Europa wäre ein Traum……ich schwärme immer noch vom letzten Jahr… 3 mal durfte ich die Band erleben mit dem absoluten Höhepunkt an Halloween in Amsterdam!!!! …
    Ich bin immer begeistert, wenn ich Kommentare und Berichte zu Gov`t Mule lese, die genau das ausdrücken und beschreiben ,was ich selbst empfinde..
    Danke…..

    LG,
    Willy

    THERE IS NOTHING LIKE A MULE SHOW!!!!

  2. Spreewilder

    Hallo MIchael,

    das ist ein Konzertbericht? Ich sag mal es ist wohl mehr eine Liebeserklärung…die ich sehr gut nachvollziehen kann. Besten Dank das du uns an diesem Erlebnis teilnehmen lässt. Bitte noch viel mehr davon.

    Grüße vom Esel aus dem Havelland

    Der deutschsprachige Treffpunkt für die Musik von Gov´t Mule, Warren Haynes & Musik aus diesem Umfeld!
    http://www.facebook.com/groups/maulesel/

    1. Michael Breuer

      Hey Torsten,

      Dank Dir – und recht haste auch: Der Bericht ist ganz und gar als Liebeserklärung gedacht, nixx anderes war mein Sinn 🙂
      Was soll ich machen, wenn mir die Band immer wieder derart tolle Erlebnisse schenkt? Gov’t Mule lösen regelmäßig einen akuten emotionalen Ausnahmezustand bei mir aus.
      Da bleibe ich am Ball, es gibt noch viele Geheimnisse zu entdecken in der Welt der Maultiere, an sehr speziellen Abenden oder einem sehr exotischen Strand. Einmal New Year’s Eve oder Island Exodus, das wär’s…

      Esel aus’m Pott grüßt Esel aus dem Havelland

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>