»Das Album ist das abwechslungsreichste, das wir je gemacht haben. Die Energie ist absolut live, so wie wir vier darauf zusammenspielen. Es ist uns allen sehr wichtig, dass die Interaktion zwischen uns für jeden erkennbar wird, ganz besonders in den besonders geradlinigen Stücken…wir nehmen live auf, spielen die Solos aus den Live-Sequenzen und fangen damit die Chemie der Band auf und bannen sie auf die Scheibe«.
So spricht Warren Haynes auf der Band-Website und ich möchte ihn noch dahingehend ergänzen, dass ich das Album für die sensibelste Leistung von Gov’t Mule halte, die sie je abgeliefert haben.
Sich mit einem Album dieser Güteklasse befassen zu dürfen ist ein Privileg, für ein Mulehead ist es so etwas wie Erfüllung.
Gerade zurück von der Tour, wo ich die Band zweimal live erleben durfte, sind mir bereits einige der neuen Songs präsent, denn sie haben insbesondere in Antwerpen einige der neuen Stücke leidenschaftlich präsentiert, bei Gov’t Mule sicherlich kein Regelfall. Außerdem gab es bereits Vorab-Veröffentlichungen der Singles "Stone Cold Rage" und "Sarah, Surrender" sowie den Bonus für Frühkäufer, das herzzereißend schöne "Dream & Songs". Wohin die Reise gehen würde, war aus diesen drei höchst unterschiedlichen Songs bereits deutlich abzusehen.
Eine Band, die 300-400 Songs auf Lager hat und jederzeit abrufen kann, die darf man wohl mit Recht als so etwas wie eine Enzyklopädie großartiger amerikanischer Rockmusik bezeichnen, wie ich es im Begleitmaterial gelesen habe. Wer einen solch starken eigenen Stil in die Musikwelt eingebracht hat und dennoch in der Lage ist, spielerisch leicht Pink Floyd, Led Zeppelin, Jimi Hendrix oder Neil Young zu covern, um nur einige der bekannten Mule-Exkurse zu zitieren, der muss über eine besondere Gabe verfügen. Hier sind es sogar vier Herren, wohnhaft in oder bei New York, denen dieses Attribut zusteht. Interessant war die Information, dass die Aufnahmen für das Album genau in jener Nacht begannen, als die ganze Welt auf den neuen Kontinent schaute – damals, als sie ihren neuen Präsidenten bestimmten. Biedere Bänkerbraut oder ein lärmender Egomane, eine große Auswahl bot sich wahrlich nicht und Warren muss schon damals klar gewesen sein, dass es am Ende nur Verlierer geben kann. Aber der Titel "Revolution Come…Revolution Go" macht uns Hoffnung. Sie kommen und sie gehen auch wieder, die großmäuligen selbsternannten Retter. Die Welt wird Trump überleben und wir unsere Mutti, wer weiß, welche Gestalten sonst noch. Die Menschen haben schon viele Volksverführer überstanden, allein der Preis dafür war unterschiedlich hoch berechnet. Warren hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er seine Band in der Tradition der Hippies und politisch eher auf der linken Seite angesiedelt sieht. So versteht sich eben auch die augenzwinkernd böse Metapher des Covers, wenn ein Spielzeugsoldat rücklings auf einem kaputten Plastikesel sitzt und was auch immer in einen Markierungskegel brüllt. In der Tat, die Parallelen haben wir verstanden. Hinweisen sollte ich vielleicht darauf, dass das Cover der Deluxe Version eine Abwandlung dieser Gestaltung bietet.
Eine solch eindeutige politische Positionierung ist für Gov’t Mule nicht neu, ich denke allein an die hinreißende Version von "Masters Of War" (B.Dylan), die Warren 2015 so schmerzlich eindringlich in Köln zelebrierte. In der Komplexität und prägenden Dominanz wie auf diesem Album hingegen hat es die Band noch nicht gezeigt.
Wie schon vom Meister selbst angedeutet ist die Musik auf "Revolution Come…Revolution Go" ungeheuer vielseitig und vielschichtig. Schon die letzten beiden Studioalben "By A Thread" und Shout zeigten eindeutige Bewegung und Entwicklung in diverse Richtungen. Der einstige, knallhart bluesig rockige Kern des alten Powertrios bildet nach wie vor das Herzstück der Maultiere, aber ihre Pfade führen immer weiter hinaus in die weite Welt, wo sie Soul und Country und gelegentlich auch Jazz begegnen. Und wie in all ihren wunderbaren Coverversionen adaptieren sie all diese Richtungen mit spielerischer Leichtigkeit und der beruhigenden Gewissheit einer der best eingespielten Combos dieses Planeten und drum herum. Die prägnanteste Weiterentwicklung vom sehr kompakten "Shout", dessen Stimmungslage relativ gleichbleibend eingependelt war, liegt in den oft filigranen und insgesamt ein wenig mehr aus der amerikanischen Musik entwachsenen, stilistisch ungeheuer weit ausholenden Kompositionen.
Wenn man die unterschiedliche Instrumentalisierung von Warrens Ashes & Dust-Band mal beiseite lässt (dort gab es auch Geige und Banjo), dann könnte man durchaus berechtigt behaupten, dass ein bisschen vom Geist dieses Projekts in die neue Mule-Scheibe eingeflossen ist. Aber keine Sorge, ihre Wurzeln vergessen sie ganz sicher nicht. Wenn zum Beispiel in "Drawn That Way" das Solo eingetütet wird, dann klingen Gov’t Mule fast wie damals, als alles begann. Kernig, knarzig und knallhart. Erinnert mich an die Passage in Antwerpen, wo Danny sich ausdrücklich von seinen Orgeln entfernte um zu zeigen, dass da gerade ein klassischer Dreier abrockt.
So sehr Gov’t Mule ein eingespieltes Team bilden, genauso sehr projiziert das neue Album in nie zuvor erlebter Weise das einzigartige Einfühlungsvermögen meines Lieblingshelden Warren, der schon allein mit seiner Stimme durch alle erdenklichen Situationen menschlichen Daseins führen kann. Aufbrausend rebellisch, leidenschaftlich und mitfühlend, sensibel und voller Verletzlichkeit. Warren ist immer bei dir, egal wie du dich gerade fühlst. Und wehe, wenn er seine Gibson zur Hand nimmt, dann führt er dich in die Sterne, wo auch immer du die suchen magst. Da grollt das riffgewaltige "Stone Cold Rage" voller Wucht und Urgewalt – übrigens auch live eine schwer schweißtreibende Angelegenheit, dort nimmt uns das herrlich reflektierende und mäandernde "Thorns Of Live" mit wie auf einen Nachmittagsspaziergang durch einen herbstlichen Wald. Stimmungsbilder prägen dieses wunderbare Album, bunt und voller Magie – so wie das Leben selbst, auch wenn einige Songtexte angesichts der weltweiten politischen Entwicklungen Gefühle wie Wut und Verzweiflung sehr wohl thematisieren. Ich verstehe ihr Album aber nicht als eine frustrierte Abrechnung, sondern als einen ganz klaren Aufruf zu Hoffnung und Durchhaltewillen. Nicht zuletzt darum wohl gibt es eben auch sehr persönliche Einlassungen wie in "The Man I Want To Be", wo es um keine internationalen Entwicklungen geht, sondern schlichtweg zu Warrens Statement über seine Frau und sich selbst. Nehme ich jedenfalls an. Ein Song, den der Workaholic und oft abwesende Familienvater unbedingt und endlich mal schreiben musste.
Hey, und "Travelling Tune" hätte wahrscheinlich auf "Ashes & Dust" auch Platz gefunden, die Stimmung passt bestens dazu und bestätigt meine Eingangsthese.
Und dann der herrlich groovende Titelsong mit seinen Tempo-Wechseln, der angesichts der eindeutigen Abrechnung mit dem Trump-Regime musikalisch ausgesprochen locker und cool daherkommt und sich zwischen Soul und Blues austobt. »We come flying on the wings of a song – singing the message of right and wrong. Keep on ringing them bells for the brand new day. Smiling in the faces of your enemies, they can’t kill your dreams. I think this change is here to stay, revolution come, revolution go«. Ich hoffe inständig, Warren, dass Du mit Deiner Einschätzung Recht hast. Bertold Brecht hat mit seiner Parabel auf den Nationalsozialismus in seinem Stück "Die Rundköpfe und die Spitzköpfe" einst ganz ähnliche Thesen aufgestellt und lag in seiner historischen Einordnung der Faschisten völlig falsch, die er schlichtweg unterschätzte.
Eigentlich braucht das Maultier keine Unterstützung, die haben Rüstzeug genug. Aber nette Menschen pflegen ihre Freundschaften, so sind Gastauftritte großer Bekanntheiten beim Esel ein lieb gewonnener Brauch. Diesmal mischt kein geringerer als der Stevie Ray-Bruder Jimmie Vaughan in dem souligen "Burning Point" mit und vielleicht zeigt gerade dieser Song die jamhafte Live-Ausrichtung des Albums besonders deutlich. Das klingt wirklich, als ob die Jungs sich gerade verabredet haben, mal was zusammen zu spielen. Erdig, originär und mit Leib und Seele.
Jedes wirklich große Album braucht am Ende noch einen echten Rausschmeißer. Den haben Gov’t Mule auch schon live eingespielt, in Antwerpen haben sie mich mit diesem Song in den siebten Rockhimmel abfliegen lassen: "Dark Was The Night, Cold Was The Ground". Eigentlich im Original eine alte instrumentale Bluesnummer von Blind Willie Johnson, hat Warren einen Text dazu geschrieben und slidet hier wie von einem anderen Stern. Es muss ein bluesiger Stern sein. Ein fantastischer Kracher zum Finale Furioso.
Die Deluxe Version bietet im Gegensatz zum Normalo die Songtexte, was mir bei der Review gute Dienste erwies. Außerdem bietet sie eine Zusatz-CD mit drei weiteren Songs und drei alternativen Versionen von Stücken des Originalalbums, drei Songs, für die man bei anderen Bands vielleicht Freudentränen in die Augen bekäme, bei Mule reichte es nicht auf die Haupt-CD.
Gov’t Mule arbeiten weiter mit Hochdruck an ihrer Unsterblichkeit. Ihr neues Album ist ein exzellentes und bedeutendes Manifest der für mich besten Rockband unserer Tage. Ein Album voller mitreißender Kreativität im Songwriting, eingespielt von ausnahmslos begnadeten Einzelkönnern, die mit intuitiver Eingebung und einer langen gemeinsamen Geschichte miteinander harmonieren. Im letzten Jahr hab ich mich im Herbst auf Neal Morse und seine Platte als meinen Höhepunkt des Jahres festgelegt – 2017 ist das noch viel einfacher. Ich bin halt ein Mulehead und darf daher noch meinen persönlichen Fan-Bonus drauflegen. Aber ganz ehrlich, diese Platte braucht keinen Support von eh stets begeisterten Fans, ihre überragende Qualität steht für sich wie ein Fels im stürmischen Meer unserer Zeit. Für meinen Geschmack haben die Jungs mit diesem Album ihr "Sergeant Peppers" abgeliefert, schönere Songs haben sie noch nie geschrieben. Aber gleich wie man das nun bewerten mag, wer gute Rockmusik zu schätzen weiß, der wird in "Revolution Come…Revolution Go" ein Füllhorn finden.
Ich selbst finde darin meine Bestimmung, denn
nichts und niemand ist wie Gov’t Mule!
Line-up Gov’t Mule:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Matt Abts (drums)
Danny Louis (keyboards)
Jorgen Carlsson (bass)
Additional Musician:
Jimmie Vaughan (guitar – # 10)
Tracklist "Revolution Come…Revolution Go":
- Stone Cold Rage
- Drawn That Way
- Pressure Under Fire
- The Man I Want To Be
- Traveling Tune
- Thorns Of Life
- Dreams & Songs
- Sarah, Surrender
- Revolution Come, Revolution Go
- Burning Point
- Easy Times
- Dark Was The Night, Cold Was The Ground
- What Fresh Hell
- Click-Track
- Outside Myself
- Revolution Come, Revolution Go (Alternative Version)
- The Man I Want To Be (Live In Studio Version)
- Dark Was The Night, Cold Was The Ground (Live In Studio Version)
Gesamtspielzeit: CD 76:57 , Bonus-CD 36:39, Erscheinungsjahr 2017
3 Kommentare
Manni
23. Juni 2017 um 21:34 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Irgendwie hab ich zwar kein Problem mit dieser neuen Mule-Scheibe, aber mein Gott: Das ist Dienst nach Vorschrift und steht an der musikalischen Wegmarke der letzten echten Rock-Scheibe "High & Mighty" aus 2006. Noch weniger kann ich Thom Jurek vom AMG zustimmen, der meint, auf "Revolution Come… Revolution Go", etwas wie "their most urgent record" zu hören, außer dass es sich textlich um Politisches dreht. Kein einziger Song hat die genialen Melodien, Strukturen und schon gar nicht die hängenbleibenden Hooks von "Deja Voodoo", ihre unübertroffene Studio-Scheibe und nicht umsonst adelt die Band selbst genau die Songs dieses 2004er Albums seitdem in unzähligen Konzerten.
Neuerer Studio-Output zeigt zwar andere (auch virtuos vorgetragene) Facetten, aber das ist eben nicht der Markenkern der Band. Ich höre nun Stillstand, Sounds, die auf der Stelle treten, gerade im Vergleich zu den alten Rockplatten.
Quo vadis, Gov’t Mule? Da ich ein großer Fan der Band bin und denke, dass die musikalische Leistung von Warren Haynes alleine in all ihrem musikalischem Reichtum gar nicht hoch genug geschätzt werden kann (auch und gerade in seinen Solo-Platten), so sehr bin ich mit der neuen Platte ernüchtert.
Was natürlich meinen Spaß mit dieser Ausnahmetruppe generell nicht schmälert, denn wer sonst hätte neben zahlreichen anderen Songs so göttliche Coverversionen von "Effigy" (Creedence Clearwater),"Sad and deep as you" (Dave Mason) und im Verbund mit Mark Ford den 16-minütigen Gitarrenwahnsinn "Cortez the Killer" (Neil Young) LIVE (!!) spielen können? Diese Songs begleiten mich ins "down there or up there or whereever it may be" und ich hoffe, die dort noch hören zu können. Ich verneige mich immer wieder gerne vor Gov’t Mule, aber die neue Platte langweilt mich trotz der wohl fast unnachahmlichen Klasse der Musiker an ihren Instrumenten. Mir liegt die DeLuxe Ausgabe vor und das ist dann erst Recht der Overkill, weniger wäre mehr gewesen. Nochmal: Dienst nach Vorschrift.
Bitte nicht negativ oder persönlich werten, Kritik gehört zum Geschäft 😉
Es wird sicher wieder besser oder/und Gov’t Mule nimmt irgendwo weitere unfassbar gute Coverversionen auf (hey, was ist mit Deep Purple, Warren?) und auch ich knie dann wieder nieder 😉
Roger Lustermans
21. Juni 2017 um 19:05 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Michael,
Vielen dank für deine cool beiträge über die rezente Gov’t Mule Europa Tour und das neue album der band "Revolution Come, Revolution Go", das (wie man in Deutschland so schön sagt "wieder den hammer ist!". Angeschichts du einen grosen fan bist (Mule-Head) und auch deine begeisterung zeigst über zitiere: "Wer einen solch starken eigenen Stil in die Musikwelt eingebracht hat und dennoch in der Lage ist, spielerisch leicht Pink Floyd, Led Zeppelin, Jimi Hendrix oder Neil Young zu covern". Wie du weist sind die sylvester-nacht und Halloween shows (Mule-O-Ween) DIE konzerten des jahres in beziehung zu ausgedehnte tributes für die music helden von Gov’t Mule. In falle du das nch nicht weist: dann sollst du sicherlicher am 31 oktober nach Amsterdam gehen. Dort findet am 31 oktober die erste Mule-O-Ween marathon show von Gov’t Mule statt die nicht in die USA statt findet.
Auf dem program stät "The Revolution Is Free" das in combination mit den ersten konzert-poster deutlich macht das den diesjährigen Tribute an die Free gewitmet ist. Warren wahr ja immer einen grossen fan von Paul Rodgers, Paul Kossoff und companie! Schöne grüsse aus die Niederlände.
Michael Breuer
22. Juni 2017 um 6:39 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Roger,
Dank Dir für den guten Tipp!!! Du hast Recht, gerade die Halloween-Konzerte haben meist eine tolle Set-Liste und, hey, wenn es Free bzw Paul Rodgers wäre, den sie sich vornehmen, wär’s toll. Ich habe das Konzert von Paul auf der Loreley gesehen, damals im Rockpalast, das war erstklassig. Mal sehen, ob ich ein Ticket bekomme, dann werde ich mir den Ausflug gönnen. Von Duisburg bis Amsterdam ist es ja nicht allzu weit.
Viele liebe Grüße in die Niederlande,
Michael