«

»

Gov’t Mule / The Tel-Star Sessions – CD-Review

»Der Bass ist der Sex!« Sagte einst die nymphomanische Walküre Krimhild Nastrova zu ihrer Liaison mit einem Orchester-Cellisten in der herrlich verrückten Filmkomödie "Wie die Karnickel" in leicht gebrochenem Deutsch. »Der Bass ist der Sex- und ohne Sex geht nun mal nicht«.
Ganz so drastisch hat es Warren Haynes nicht formuliert, als er für das Inlet der erstmals veröffentlichten "Telstar-Sessions" über Visionen, Ideen und vor allem die Wirkung des Bass in der Rockmusik philosophierte. Und doch, die Metapher der fiktiven Operndiva passt irgendwie trotzdem perfekt zu dem, was Warren und Co. im Schilde führten; dem, was später zur Geburt der 'Maultiere' führte.

Aber hören wir erst einmal hinein in diese geradezu archaische Aufnahme klassischer Rockmusik. Auch ohne Warrens spannende Beschreibungen auf der Scheibe kommt man sehr schnell dahinter, worin sich damals die Abspaltung des Mules vom Muttertier der Allman Brothers Band begründete. Aus dem Dunstkreis von Southern-Rock und Jazz schwebte den drei schon lange miteinander befreundeten Matt Abts am Schlag, Allen Woody eben am Bass und Warren Haynes an Gitarre und Gesang ein durchaus Art verwandter, aber deutlich Blues- und Rock orientierter Ansatz vor. "Rocking Horse" bringt es auf den Punkt, knarzend und knochentrocken. Warren schildert, wie die Drei damals unendliche Stunden damit verbrachten, die klassischen Powertrios der Marke Cream zu studieren. »Wir wollten endlich wieder den klassischen Rock-Bass-Sound in die Musikwelt zurückbringen«, erklärt der Meister, »wollten den Sound wieder schmutzig und erdig gestalten, so wie es in den Sechzigern und frühen Siebzigern üblich gewesen ist«. Jack Bruce, Felix Pappalardi, John Entwistle oder Chris Squire nennt er als Beispiele und viele große Werke dieser Protagonisten ziehen sofort an meinem geistigen Ohr vorbei. Beck, Bogert & Appice hätten da sicher auch gute Vorlagen geboten. Haben sie ja vielleicht auch, wenn ich mir das virtuose Bass-Solo in "Mr.Big" genauer anhöre.

In den Telstar-Studios, wo schon ABB aufgenommen hatten, versammelte sich das Trio, um einige Songs einzuspielen. Um mal zu schauen, wie sich das ausnimmt, eine Rohfassung für etwas, das zu diesem Zeitpunkt im Grunde immer noch nur ein Projekt war. Am Ende schafften es später einige Songs auf das erste Album, wenn auch in anderen Aufnahmen und "Blind Man In The Dark" konnte auf "Dose" zum Klassiker reifen.

Aggressiv rohe Phrasierung auf einem brutal harten Bassgeläufe, virtuos auf Trapp gebracht aus einer gnadenlosen Schießbude, so kompromisslos Geradeaus hat man Gov’t Mule vielleicht noch nie gehört. Krachender Bluesrock in "Mother Earth" und der 'Maultier'-Version von ZZ Top’s "Just Got Paid" groovt uns endgültig in den Rockhimmel.

Doch ist das nun eine Platte mit rein historischem Wert, nur etwas für Sammler und Fans? Man hätte mich völlig falsch verstanden, das so zu sehen. Hier spielen drei virtuose Künstler ihre Musik aus tiefstem Herzen und just for fun! Eine Musik, die die Ausrichtung und Power der klassischen Rockmusik in die Sphären der Moderne führt.
Später, nun längst als eigenständige Band in der Weltszene etabliert, entwickelten sie immer neue Facetten, nicht nur durch Danny Louis und sein fulminantes Orgelspiel. Auch Meister Warren selbst entwickelt sich, mal durch die Einflüsse der Grateful Dead, bei denen er gelegentlich den Part von Jerry Garcia übernahm, mal durch Zusammenarbeit mit Jazz-Leuten wie John Scofield. Das kannst Du hören in jedem Live-Konzert.
Den Anfang, den haben sie damals gemacht, kratzig und dreckig – genau so, wie sie es wollten. Das allein ist ein Grund, sich dieses Album zuzulegen. Der historische Wert dieser Aufnahmen treibt dem Fan hingegen die Freudentränen in die Augen.

Aber das Fundament, das haben sie damals in ihrer Telstar-Session gelegt. Es war der Auftakt hinein in eine Geschichte, die in der neueren Rockmusik ihres Gleichen sucht. Wir hatten Hendrix, wir hatten Led Zeppelin, wir hatten große Blueser. Aber Gov’t Mule ist ein Konglomerat der besten Substanzen aller und ein Privileg unserer Tage; irgendwann einmal ein Epitaph unserer Kultur. Und wer weiß, vielleicht wird dann in den Geschichtsbüchern geschrieben stehen: Nichts und niemand war wie Gov’t Mule.


Line-up Gov’t Mule:

Warren Haynes (guitars, vocals)
Allen Woody (bass)
Matt Abst (drums)

Tracklist "The Tel-Star Sessions":

  1. Blind Man In The Dark
  2. Rocking Horse
  3. Monkey Hill
  4. Mr. Big
  5. The Same Thing
  6. Mother Earth
  7. Just got Paid
  8. Left Coast Groovies
  9. World Of Difference
  10. World Of Difference (alternative version

Gesamtspielzeit: 59:28, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>