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Grobschnitt / Ballermann – LP-Review

Grobschnitt - Ballermann - LP-Review

Nachdem Anfang 1972 das gleichnamige Debütalbum der damals mit sechs Musikern (inklusive zwei Schlagzeugern) agierenden Band Grobschnitt auf den Markt gekommen war, standen im Anschluss und bis in den Spätsommer jede Menge Konzerte auf dem Plan, was sich allerdings auch auf die Bandstruktur auswirkte. Im Herbst verließen der Drummer 'Felix' Harlos sowie der Tastenmann Hermann Quetting die Gruppe. Mit Volker 'Mist' Kahrs konnte zwar ein neuer Mann für die Keyboards gefunden werden, aber es kündigte sich bereits neues Unheil an. Denn ab 1973 war die Band nur noch zu viert, da der Bassist Bernhard 'Bär' Uhlemann aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch werfen musste. 'Mist' übernahm fortan auf der Bühne den Bass mit seinen Orgel-Pedalen und es folgten viele weitere Gigs vor immer größerem Publikum. Da die Aufnahmen für das zweite Album für Anfang 1974 geplant waren, mussten natürlich auch neue Songs her. Die entstanden dann auch und Grobschnitt beschloss, dass das nächste Werk gleich ein Doppel-Album sein sollte. Der Grund: Die neu- und weiterentwickelte Version ihres Songs "Suntrip", die mittlerweile "Solar Music" genannt wurde, sollte mit auf die neue Scheibe und gleich zwei Vinylseiten füllen.

Obwohl die Band von ihrem damaligen Label gerade mal sieben Tage im Studio zur Verfügung gestellt bekam, ging es dann im Februar 1974 endlich zur Sache. Für die Aufnahmen fanden sich die fünf Musiker in Dieter Dierks' Studio in Stommelen ein, wo auch wieder der damalige Rattles-Gitarrist Frank Mille für den Produzenten-Job zur Verfügung stand. Nur auf Conny Plank mussten die Hagener notgedrungen verzichten, da dieser gerade dabei war, sein eigenes Tonstudio aufzubauen und einzurichten. Dennoch schafften es die Westfalen, das komplette Doppel-Album in drei Tagen einzuspielen und die weiteren vier für die Abmischung zu verwenden. Respekt! Los geht’s dann mit der aus heutiger Sicht etwas klamaukigen Begrüßung "Hello My Dear Friends", die aber schon recht bald in den Track "Sahara" übergeht. Auch hier sind abgedrehte Gesänge und jede Menge Soundspielereien am Start, was die teilweise bewusst schwankende Bandgeschwindigkeit angeht. Mit jeder Menge Spaß in den Backen geht es zur Sache, der nichtsdestotrotz von wunderschönen, etwas floydigen Gitarren-Einlagen im besten Sinne des Wortes 'unterbrochen' wird.

Dann geht es so langsam ans Eingemachte, denn spätestens ab "Nickelodeon" wird das Album "Ballermann" so richtig stark. Mit einer ’schweren' Jon Lord-Orgel beginnt der Track schon mal stimmungsvoll, bevor sich der bärenstarke Gesang von 'Wildschwein' Daneliak (die besten Vocals auf der Scheibe) hinzugesellen. Mein heimlicher Favorit auf "Ballermann". Bluesig/soulig bringt der Frontmann das Stück zu Ende, das auch insgesamt zu 100 % überzeugt. "Drummer’s Dream" lässt da ebenfalls kaum nach, ist aber hauptsächlich von der Akustik-Gitarre bestimmt. Der "Morning Song" startet auf einer etwas melodischen Spur, bevor die Band aber bald anzieht und die Nummer treibend rockig wird. Die Gitarren und das Keyboard spielen sich die Bälle gegenseitig zu, bis sich der Gesang von 'Wildschwein' dazu gesellt. Ein richtig guter, erdiger Sound wird hier zelebriert, was durch das brandneue Remastering von Eroc und den wundervollen Klang dieses 180g-Vinyls natürlich noch verstärkt wird. Feine Sache. Mit einer mehrminütigen Piano-Einlage des neuen Tastenmanns 'Mist' startet "Magic Train", bevor uns dann auch der Rest der Band auf eine wunderschöne Reise mitnimmt, die sich aufgrund ihrer Stimmigkeit, der dichten Atmosphäre und den vielen abwechslungsreichen, interessanten und melodiösen Arrangements unbedingt lohnt. Gewinner!

Und schließlich sind da noch die Vinyl-Seiten 3 und 4, die sich ganz dem zum Identifikations-Song der Band gewordenen "Solar Music" widmen. Klar ist die hier enthaltene Version mit ca. 33 Minuten (auf zwei Vinyl-Seiten verteilt) etwas knapp ausgefallen und hört sich auch noch anders an, als auf vielen der danach gespielten Live-Versionen, ein Erlebnis ist sie aber allemal. Wer den Song kennt, weiß wovon ich spreche.

Insgesamt gesehen wird sehr deutlich, dass Grobschnitt gegenüber ihrem Debüt einen riesengroßen Schritt nach vorne gemacht hatte. Und das betrifft nahezu alle Facetten: das Songwriting, die Arrangements, den Sound und nicht zuletzt auch die Qualitäten der einzelnen Musiker. "Ballermann" bleibt wohl bis heute eines der stärksten Album der Westfalen, ein gutes Stück besser als das (ebenfalls alles andere als von schlechten Eltern) Debüt war es zweifelsohne.

Der Albumtitel stammt übrigens nicht von einer berühmt-berüchtigten Meile auf der Insel Mallorca, sondern war vielmehr der Name eines Grobschnitt-Roadies. Auch "Ballermann" kommt wieder mit einmal schwarzem und einmal weißem Vinyl daher, was dem Hörgenuss sogar zusätzlich noch was für das Auge bietet. Vollbedienung!


Line-up Grobschnitt:

Stefan 'Wildschwein' Danielak (rhythm guitars, lead vocals)
Joachim H. 'Eroc' Ehrig (drums & percussion, electronics, additional vocals – #A-2)
Gerd O. 'Lupo' Kühn (lead guitars)
Bernhard 'Bär' Uhlemann (bass)
Volker 'Mist' Kahrs (keyboards)

Tracklist "Ballermann":

Side 1:

  1. Hello My Dear Friends (1:31)
  2. Sahara (4:19)
  3. Nickelodeon (9:15)
  4. Drummer’s Dream (6:12)

Side 2:

  1. Morning Song (5:43)
  2. Magic Train (13:31)

Side 3:

  1. Solar Music, Part I (17:39)

Side 4:

  1. Solar Music, Part II (15:58)

Gesamtspielzeit: 21:23 (Side 1), 19:16 (Side 2), 17:39 (Side 3), 15:58 (Side 4), Erscheinungsjahr: 2017 (1974)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
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Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

1 Kommentar

  1. Frank

    Schön, dass diese Gruppe nicht vergessen ist.
    "Solar Music" (Live) gehört (zusammen mit "Close to the edge", ganz was anderes) zu den von mir am meisten gehörten Platten.

    Für den der sich noch Zeit nimmt sich darauf zu konzentrieren wie sich eine Melodie entwickelt, ein Meisterwerk. Wenn es gerade am schönsten ist, kommt der Break. Damals hat es mich genervt aber so ist es halt bei Überlänge.

    Habe Grobschnitt live in Hannover gesehen und nie wieder so viel Spass bei einem Konzert gehabt.

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