Nach dem sehr erfolgreichen Album Solar Music Live (1978) beschloss die Band Grobschnitt einen musikalischen Kurswechsel zu vollziehen. Ein erster Schritt in diese Richtung war die darauf folgende Studioscheibe Merry-Go-Round, an die sich im Herbst 1979 eine extrem erfolgreiche Deutschland-Tour anschloss. Die sechs Musiker hatten jede Menge um die Ohren und so ist es nicht verwunderlich, dass das Material für ein neues Studioalbum Anfang des Jahres 1980 noch nicht mal im Ansatz fertig war. Um sich die notwendige Zeit zu nehmen (und wahrscheinlich weil die Plattenfirma sowie die Fans ja auch immer Nachschub erwarten) wurde zunächst mal die weitere Live-Platte Volle Molle rausgehauen. Die Hagener Band trennte sich obendrauf noch von ihrem Bassisten Popo (Hunter) – der neue Mann an den vier dicken Saiten war nun Milla Kapolke. Der Schlagzeuger und Sound-Tüftler Eroc hatte von der Kohle, die durch seinen Solo-Hit Wolkenreise reinkam ein hochmodernes Studio auf einem Bauernhof in Sprockhövel eingerichtet. Und genau dorthin zog sich Grobschnitt mit ihrem neuen Bassisten nun zurück, um die neue Produktion anzugehen. Und eins war klar: Veränderung sollte/musste her.
Aber das Warten hatte sich definitv gelohnt, denn die neue Scheibe "Illegal" beeindruckt auch heute noch umgehend von Beginn an. Und das hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen waren die neuen Stücke deutlich straffer und rockiger gestrickt, verfügten aber weiterhin über bärenstarke Melodien, Wildschweins Gesang ist herausragend und auch die übrigen Instrumente erstrahlen in einem neuen Glanz. Womit wir beim zweiten Punkt, nämlich dem Sound angekommen wären. Der kommt nämlich einerseits hochmodern, frisch und knackig aus den Boxen, andererseits hatte die Band ihre Vergangenheit nicht gänzlich abgeschüttelt. Bereits "The Sniffer" überzeugt durch klasse Wechselspiel der akustischen sowie elektrischen Gitarren, Mist fährt hier neben seinen Keyboards einen echt interessanten Synthesizer-Sound und Erocs Drums klingen differenzierter als je zuvor. "Space Rider" beginnt wie ein waschechter Hard Rock-Song und baut einige deutsche Textzeilen zu den ansonsten englischen Lyrics ein.
Das Sahnestück der ersten Seite bzw. der ganzen Platte ist jedoch "Mary Green" mit seinen funkigen Rhythmen und sehr coolen Gesangslinien. Dass auch die Band dieses Stück zelebrierte, zeigt sich alleine schon an der Tatsache, dass es mit knapp achteinhalb Minute das längste des Albums ist. Der Gesang ist hier fast schon soulig und zaubert mir nach wie vor eine Gänsehaut über den Rücken. Klasse! Milla Kapolkes Bass ist im Mittelteil sehr präsent, für den Sound-Teppich sorgen Mists Keyboards und über allem schwebt und brilliert Lupos Sologitarre. Anschließend wird es mit dem Instrumental "Silent Movie" deutlich ruhiger, was der Qualität aber bei weitem keinen Abbruch tut. Wieder bilden die Keybards die Sound-Landschaften zu Akustik-Gitarren und einem von mir zunächst fälschlicherweise als Flöte identifizierten Synthesizer. Eine wunderschöne Nummer, die nach Erscheinen laut den Angaben im Booklet auch sehr oft im Radio und Fernsehen eingesetzt wurde.
Die zweite Seite wurde mit "Joker" dann direkt von einem weiteren Instrumental gestartet. Diesmal etwas soundgewaltiger als die vorherige Nummer, experimentierte die Band hier nochmal etwas freudiger. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das damals für die Fans der ersten Stunde jede Menge Diskussions-Stoff bot, aber wenn man sich den Titel heute anhört, dann ist das schon eine klasse Angelegenheit, die Grobschnitt eindeutig auf neuen Wegen zeigt. Sehr Keyboard-lastig, aber nicht von schlechten Eltern. Der Titelsong hat mich dann doch erstmal aufgeschreckt, da die Musiker hier sehr giftig und aggressiv vorgingen, was aber alleine schon dem Thema (mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten) geschuldet war. Mit deutschem Text gebracht und von der Aussage ganz sicher wichtig, wird sich der Song an sich aber wahrscheinlich nie in meine Favoriten-Liste der Band einreihen. Nach dem vielleicht unscheinbarsten, wenn auch wieder kräftig rockenden Track des Albums, "Simple Dimple", werden wir dann aber noch einmal von dem wunderschönen "Raintime" verabschiedet.
Keine Frage, "Illegal" war und ist ein extrem starkes Album, bei dem sich Grobschnitt sehr selbstbewusst auf einen neuen Weg begab, dafür jedoch auch belohnt wurde.
Wie bei den Neu-Auflagen der Grobschnitt-Alben auf Vinyl dieser Black & White-Serie' üblich, beinhaltet das zweite (weiße) Vinyl Live-Aufnahmen aus der damaligen Zeit, sprich von der 'Illegal-Tour' des Jahres 1981. Neben drei Songs des aktuellen Albums kommt hier noch einmal der Vater Schmidt von Jumbo zum Einsatz, dazu "A.C.Y.M." von "Merry-Go-Round" sowie "Du schaffst das nicht", ein Bonus Track, der bereits auch einmal auf dem weißen Vinyl auf dem gerade genannten Album vertreten war. Auch "Illegal" wurde wieder mit Inlays zum Cover sowie dem Download Code fantastisch aufgemacht. Erneut eine sehr lohnende Angelegenheit.
Line-up Grobschnitt:
Eroc (drums, special electronic effects)
Lupo (acoustic & lead guitars)
Milla Kapolke (bass, acoustic guitars, additional vocals)
Mist (keyboards, synthesizers, background vocals)
Wildschwein (acoustic & rhythm guitars, lead vocals)
Toni Moff Mollo (percussion, lead vocals)
Tracklist "Illegal":
- The Sniffer (5:26)
- Space Rider (4:49)
- Mary Green (8:21)
- Silent Movie (3:15)
Side 3:
- Mary Green (8:50)
- The Sniffer (8:13)
- Du schaffst das nicht (9:20)
- Joker (4:54)
- Illegal (8:13)
- Simple Dimple (4:42)
- Raintime (4:16)
Side 4:
- Vater Schmidt (10:20)
- Simple Dimple (5:30)
- A.C.Y.M. (6:46)
Gesamtspielzeit: 26:57 (Side 1), 22:11 (Side 2), 26:27 (Side 3), 22:40 (Side 4), Erscheinungsjahr: 2018 (1981)
2 Kommentare
Markus Kerren
30. April 2018 um 20:39 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für die Blumen, Eroc. Freut mich sehr.
Cheers,
Markus
Eroc
30. April 2018 um 19:12 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Exzellent recherchiert, absolut gekonnt formuliert – diese Rezi versüßt mir gerade einen verregneten Urlaubstag in der DDR (= Dänische Dünen-Region). THX Markus & cheerio!!!