Grobschnitt / Kinder + Narren – DLP-Review

Wenn eines klar ist, dann dass die Band Grobschnitt aus Hagen niemals stehen bleiben wollte, ja, niemals stehen blieb. Machte sich dies anfänglich noch nicht ganz so stark bemerkbar, so schlug doch bereits das dritte Album Jumbo deutlich neue Wege ein, gefolgt von dem epischen Rockpommels Land, eine Phase, die dann von dem legendären Solar Music Live abgeschlossen wurde. War das anschließende Merry-Go-Round noch ein bisschen auf der Suche nach neuen Ufern, so hatte die Band diese mit Illegal beeindruckend gefunden und schließlich auf Razzia noch weiter ausgebaut. Nach der Tour zu dem letztgenannten Album stand allerdings ein neuer großer Umbruch an, denn mit Eroc stieg (neben Lupo und Wildschwein) die von Beginn an dritte tragende Säule aus der Band aus. Da war guter Rat zunächst teuer, Ersatz wurde dann aber doch in Person des Dortmunders Peter Jureit gefunden, der fortan die Drums übernahm. Neben den bereits eingegliederten Toni 'Moff' Mollo und Milla Kapolke wurde dann auch der Keyboarder Jürgen Kramer fest engagiert, der bereits die 'Razzia-Tour' mit der Gruppe durchgezogen hatte.

Die Band wollte gerne wieder ein Konzept-Album abliefern und dieses Mal war es der Bassist (und Co-Sänger) Milla Kapolke, der die Idee und Geschichte für "Kinder + Narren" hatte. Ausschließlich deutsche Texte hatten Grobschnitt (wenn man von der deutschen Jumbo-Version mal absieht) erstmals auf "Razzia" am Start und dies sollte auch so beibehalten werden. Das neue Studioalbum erschien 1984, als unter anderem auch die Neue Deutsche Welle noch in voller Fahrt war. Leider, muss man sagen, hört sich "Kinder + Narren" auch genauso an. Klar, es sollte unbedingt was Neues her, allerdings muss 'Neu' nicht unbedingt auch immer für 'Gut' stehen. Wenn man sich die ganzen alten Helden wie die Stones, Rod Stewart oder sogar Bob Dylan so anhört, dann wurde auch bei denen immer sehr darauf geachtet, den gerade angesagten Sound der Zeit mit in ihre eigene DNA einzubinden. Leider haben die Westfalen damit auf dem hier zu reviewenden Album allerdings etwas übertrieben. Während sich die vorgenannten Musiker nämlich immer ihren ganz eigenen Sound trotz all der hinzugefügten Neuerungen erhalten hatten, so wurde dieser Aspekt von Grobschnitt scheinbar gänzlich ignoriert.

Ganz schreckliche Keyboard- und Synthie-Sounds sowie elektronische Drums wurden hier verwendet, alles klingt irgendwie nach Plastik, typischer Achtziger-Sound eben und eine Nummer wie "Ich liebe dich" half auch nicht unbedingt weiter, die Scheibe zu einer besseren zu machen. Grobschnitt hatten damals ganz bewusst darauf verzichtet, Eroc als Produzent einzubeziehen. Komplett unter dem Motto einen neuen Sound zu kreieren, wurde die Scheibe in einem Studio in Dortmund aufgenommen. Das Stück "Wie der Wind" war nach seinem Erscheinen sogar ein kleiner Radio-Hit und die Band konnte mit "Kinder + Narren" so einige neue Fans hinzu gewinnen. Allerdings wandten sich viele ältere nach dieser Scheibe auch enttäuscht ab.

Beim Publikum der ersten Stunde bzw. Liebhabern der ersten Alben steht diese Scheibe verständlicherweise nicht sehr hoch im Kurs. Wenn überhaupt, dann kann diese Platte für die meisten Fans eigentlich nur dann funktionieren, wenn sie die Vergangenheit der Hagener komplett ausblenden. Aber selbst dann werden sie wahrscheinlich nur Spaß haben, wenn sie die vorherrschenden Sounds der achtziger Jahre mögen. Jedoch muss man dieses Album auch unbedingt im Zeichen seiner Zeit und einer Band sehen, die sich neu erfinden wollte.

Selten habe ich anschließend "Solar Music" bzw. hier "Sonnentanz Meschede 1984" genannt, in solch vollen Zügen genossen. Speziell die ersten beiden Parts, sprich Seite 3 dieser Doppel-LP, haben es mir angetan. Unter anderem auch, weil Wildschwein das Saxofon für sich entdeckt hatte und dieses Instrument ganz hervorragend und mit vielen schönen Melodien integrierte.

Wie immer in dieser Grobschnitt-Serie kommt auch "Kinder + Narren" mit einer schwarzen und einer weißen Vinyl-Scheibe, die jeweils 180 Gramm schwer sind und die wie gewohnt vom Sound absolut überzeugen können. Auch die weiteren Boni wie Download-Karte, aufwendige Inlays mit den Texten und allerei sonstigen Informationen sowie vielen Fotos aus der damaligen Zeit sind wieder enthalten. Also auch an dieser Stelle großes Lob für die Aufmachung.

Line-up Grobschnitt:

Lupo (lead guitars)
Wildschwein (rhythm guitars, lead & background vocals)
Toni 'Moff' Mollo (lead & background vocals)
Milla Kapolke (bass, lead & background vocals)
Peter Jureit (drums)
Jürgen Kramer (keyboards)

Tracklist "Kinder + Narren":

Gesamtspielzeit: 20:51 (Side 1), 19:58 (Side 2), 20:04 (Side 3), 22:41 (Side 4), Erscheinungsjahr: 2019 (1984)