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Guitar Heroes Festival – Festivalbericht, 03.05. – 05.05.2019, Juke Joint, Joldelund (Nordfriesland)

Gerd's Juke Joint in Jodelund

Die OTTO-Festspiele, europäische Weltklasse und 'this song is called Schaukelstuhl'

OTTO kennen wir eigentlich … mindestens das gleichnamige Versandhaus und den kauzigen Blödelbarden aus Ostfriesland. Bei der diesjährigen Frühjahrsausgabe des inzwischen legendären Guitar Heroes Festival in Gerd’s Juke Joint, einem umgebauten ehemaligen Kuhstall im Herzen Nordfrieslands, ist ein gewisser OTTO jr. als 'Special Guest' angekündigt. Nanu, ist Benjamin Karl Otto Grigori Waalkes doch noch unter die Musiker gegangen? Lassen wir uns überraschen.

Biobäcker Gerd Lorenzen, der als Initialzündung aller musikalischen Aktivitäten in Joldelund anlässlich seiner Party zum 45sten Geburtstag die Hamburger Band Blues Package engagiert und fortan Blut geleckt hatte, ist nach einem 'Erweckungserlebnis' mit den Beatles – übrigens analog zum Schreiberling dieser Zeilen – zum absoluten Fan der Rock(’n’Roll)- und Bluesgitarre geworden und bereist, solange es die knappe Zeit zulässt, entsprechende Konzerte und Festivals weltweit … mit europäischem und 'Abseits-des-Mainstream` Schwerpunkt.
Dort kann es passieren, dass ihn eine Band/ein Musiker/eine Musikerin derart umhaut, dass er tatsächlich versucht, selbige für seinen umgebauten Joldelunder Heuboden zu engagieren.

Gebündelt führen diese Aktivitäten zu dem wohl familiärsten, intimsten und intensivsten Bluesrock-Festival Deutschlands, wo längst nicht mehr nur Nordfriesen, sondern auch ganz allgemein (Nord)deutsche, Dänen oder Schweden anzutreffen sind, um diverse Saitenhelden abfeiern zu können, welche aus kommerzieller Sicht nicht unbedingt im Rampenlicht stehen … um es vorsichtig auszudrücken.
Das alles ist nur mit unglaublich viel Herzblut, Engagement und der tatkräftigen Mithilfe von Familienmitgliedern und guten Freunden möglich, was wirklich allerhöchsten Respekt verdient.

Impressionen

Impressionen

Und so kam es vom 03.05. – 05.05.2019 zu einem Line-up, welches neben für Genre-Freunde durchaus geläufigen Namen wie Mike Zito, Jeremiah Johnson (beide gerade gemeinsam auf Europa-Tour) und Erja Lyytinen (ihre zweite Tour-Station) auch vermeintliche Obskuritäten wie Ramrod, RHR – Redfern, Hutchinson & Ross und die Leif de Leeuw Band bereit hielt … und den ominösen OTTO jr.

Genau diese 'Obskuritäten' sind dabei explizit der Spürnase von Gerd Lorenzen zu verdanken und natürlich höchstpersönlich gescoutet. So entdeckte er beispielsweise im Juni 2018 die italienische 'Classic-Rock-mit-Blueseinschlag'-Band Ramrod beim Torrita Blues Festival in Torrita di Siena (Toskana), wo als Headliner Kaliber wie The Animals und Popa Chubby auftraten. Gerd war aber explizit von der jungen Band Ramrod (Gründung 2013) derart 'geflasht', dass er sie vom Fleck weg für die Guitar Heroes in Joldelund engagierte.
Und genau diese beschlossen dann auch am sehr späten Freitagabend den ersten Festivaltag.

Davor gaben aber zunächst Jeremiah Johnson und Mike Zito ihre jeweiligen und gemeinsamen Visitenkarten ab. Beide veröffentlichen inzwischen beim deutschen Vorzeige-Blues-Label RUF Records und Mike Zito hat auch den dortigen Album-Einstand von Johnson produziert. Beide Protagonisten wurden von der sehr formidablen Rhythmussektion Terry Dry (Bass & Vocals) und Matthew R. Johnson (Drums & Vocals) begleitet, die ein sehr grooviges Fundament legten, auf dem sich zunächst Jeremiah Johnson ausgesprochen quirlig an den sechs Saiten austobte. Das hatte Rock, das hatte Roll, aber leider kein Saxophon, welches sein aktuelles Werk "Straightjacket" über weite Strecken signifikant von der Masse ähnlich gelagerter Produktionen abhebt bzw. unterscheidet. Aber was war das?

OTTO Jr.

OTTO Jr.

Plötzlich erklomm ein schlaksiger Jüngling mit einer Paula die Bühne und begab sich, wie später zu erfahren war, komplett ungeprobt in den 'In-Fight' mit Jeremiah Johnson. Der erste von sage und schreibe sieben Auftritten eines gewissen OTTO jr. aus Ramnes – ein Dorf in der Gemeinde Re in der norwegischen Provinz Vestfold (südlich von Oslo) – mit dem bürgerlichen Namen Otto Lagarhus junior … ein 13-jähriges Naturtalent, welches Gerd Lorenzen höchstpersönlich letztes Jahr beim Notodden Blues Festival entdeckte, wo er erstmals überhaupt mit einer Band öffentlich auftrat. Auch hier machte es 'Bumm' und Papa Lagarhus wurde umgehend kontaktiert und davon überzeugt, im Mai 2019 einen Kurzurlaub im wunderschönen Joldelund zu verbringen.
Noch sehr schüchtern und zurückhaltend – vermutlich auch maximal aufgeregt – integrierte sich der Junge in das famose Trio und spielte erstaunlich unbeirrt passende Licks und Läufe mit klarem Ton. Es sei noch an dieser Stelle erwähnt, dass die Nachwuchshoffnung erst seit gut zwei Jahren Gitarre spielt!

Mike Zito folgte dann etwas später diesem gelungenen Auftakt und bewies unprätentiös seine Klasse an den sechs Saiten, rückte den rollenden Bluesrock noch ein Stück weiter in den Süden der USA, was nicht zuletzt seinen Slide-Künsten zu verdanken war und glänzte zusätzlich mit einer kräftigen Stimmfarbe.
Auch hier bekam OTTO jr. seinen Gastauftritt und war somit ein weiterer Zündfunke für das energische Treiben auf der Bühne, wobei sich Bassist Terry Dry als obercooler Stoiker mit ganz viel Groove in den Fingern hervortun konnte. Ein weiterer Zündfunke war dann wiederum Jeremiah Johnson, der sich zum Ende des Auftritts hin fulminant mit Mike Zito duellierte oder gar verzahnte … spektakulär!

Ramrod mit OTTO Jr.

Ramrod mit OTTO Jr.

Zum Abschluss erklomm das italienische Quintett von Ramrod die Dachboden-Bühne und fackelte ein Freudenfest zwischen Classic Rock und Blues ab, gewürzt mit einer Prise Soul und abgeschmeckt mit Prog- und Psychedelic Rock-Einsprengseln. Eine hörbar gut eingespielte und aufeinander abgestimmte Einheit mit der leicht exzentrischen, gleichwohl sehr attraktiven Frontfrau Martina Picaro am Mikro, ihrem nicht minder attraktiven kleinen Bruder Marco an der klangvollen Paula (und ebenfalls Vocals), Emanuele Elia am Tieftöner, Daniel Sapone am Schlagwerk und einem ungemein schmissigen Adriano 'Roll' Nolli an der Taste. Dieser Fünfer fing in etwas anderer Besetzung als reine Cover-Band an, bis dann 2016 mit "First Fall" ihr hervorragendes Studio-Debüt mit eigenen Songs erschien, dem noch in diesem Jahr der Nachfolger "Jet Black" folgen soll. Die Band ließ es sich aber nicht nehmen, ein erstaunlich spannendes "Voodoo Chile" erklingen zu lassen, bei dem Marco Picaro den Gesang übernahm, während OTTO jr. auch mit Ramrod seinen diesmal etwas längeren Gast-Spot bekam und nach anfänglichen Schwierigkeiten die Band doch tatsächlich in Richtung Southern Rock zog. Selbige intonierte dann wohl auch nicht ganz zufällig "Whipping Post" in einer beachtenswerten Version.

Wie schon bei den beiden vorangegangenen Gigs war zur sehr weit vorgerückten Stunde ordentlich Alarm am Merchandise-Stand und die Musiker strahlten gemeinsam mit den Konzertbesuchern um die Wette … ein sehr gelungener Abend!

Es folgte eine für Camper grimmig kalte Nacht, inklusive tollem Sonnenaufgang und Raureif im Mai. Aber bei Gerd gibt es vormittags immer heißen Kaffee zu erstehen, super leckere Brötchen eigener Fertigung und später auch tollen Kuchen.

Raureif um 6.30

Raureif um 6.30

Ab 14.00 Uhr startete dann das kostenlose Warm up–Live-Programm im Zelt vor dem ehemaligen Kuhstall, wobei sich der Schreiberling dieser Zeilen und seine Mitstreiter aufgrund der Nachwehen diverser Hopfenkaltschalen auf den erst um 18.00 Uhr stattfindenden zweiten Auftritt von Ramrod an diesem Wochenende konzentrierten … diesmal ausschließlich mit Cover-Versionen und OTTO jr. als Vollzeitgast auf der Bühne. Ramrod schafften es gemeinsam mit ihrem neuen Freund, jedem dargebotenen Song aus der reichhaltigen Classic Rock-Historie ihren eigenen Stempel aufzudrücken, jederzeit mit zusätzlicher Würze zu glänzen und abermals als Einheit auf beachtlich hohem Spielniveau aufzutreten. Nebenbei bekam auch die etwas ältere Schwester von OTTO jr. ihren Solo-Spot als Sängerin, einfühlsam von Martina Picaro ermuntert, welche im Übrigen an diesem späten Nachmittag etwas zurückhaltender agierte, was der Gesamtperformance zu Gute kam.

Nach diesem überaus gelungenen Auftakt war das kundige Publikum bestens angewärmt für die Deutschlandpremiere von RHR – Redfern, Hutchinson & Ross … eine Truppe aus dem Vereinigten Königreich, die nicht nur einen leicht angeschrägten Namen ihr eigen nennt, sondern überhaupt aus lauter »wilden Hennen« (Originalzitat Gerd Lorenzen, allerdings in einem anderen Zusammenhang) besteht.
Sei es die 'Waldschrat-Optik' in der Nähe zu ZZ Top, sei es die heutzutage eher ungewöhnliche Besetzung mit gleich drei Lead-Gitarristen, sei es der überraschend vielstimmige Harmonie-Gesang, seien es die stilistisch nicht immer homogenen Songs, sei es der im Unterschied zu beispielsweise Ramrod eher rumpelige Gesamtvortrag … die echt urig wirkenden Briten eroberten den ehemaligen Heuboden im Sturm und brachten insbesondere die Freunde des Southern Rock, Boogie Rock und deftigen Americana/RootsRock–Sounds auf Touren. Troy Redfern profilierte sich dabei als beigeisternder Slide-Gitarrist, OTTO jr. erweiterte das Quintett zur vermutlich einmaligen Vier-Gitarren-Front und neben den Black Crowes, Faces und ähnlichen Verdächtigen schimmerten gar manchmal Crosby, Stills, Nash & Young durch, nur schräger und druckvoller!

Erja Lyytinen

Erja Lyytinen

Da sollte man ja meinen, dass es nun schwierig werden würde, hier etwas signifikant zu steigern … dem Headliner dieses Festivals gelang das allerdings beeindruckend … Erja Lyytinen aus Finnland und ihre drei Mitstreiter Kasperi Kallio (Keyboard, Hammond), Tatu Back (Bass) und Iiro Laitinen (Drums) steigerten nicht nur die Lautstärke, sondern hatten auch das bärenstarke neue Album Another World im Gepäck, dessen Songs in Verbindung mit der ansteckenden Energie der gefühlt maximal 1,50m großen Powerfrau Erja Lyytinen und deren exorbitanten Slide-Künsten den ausgebauten Dachboden im nordfriesischen Joldelund direkt auf die großen Bühnen der Metropolen dieser Welt katapultierten. Ihren Saitenfähigkeiten 'europäischer Weltklasse' huldigte nicht nur der abermals gastierende OTTO jr., der an ihrer Seite übrigens erstmals so richtig auftaute, sondern auch das begeisterte Publikum. Sie war bereits 2016 in Joldelund zu Gast, aber Gerd Lorenzen hatte einen guten Riecher, sie abermals einzuladen und zum Headliner zu machen … diese ansteckende positive Ausstrahlung, die offene Konservation mit ihrem Publikum, die netten Geschichten, die beispielsweise aus dem Song "Rocking Chair" von ihrem Vorgängeralbum "Stolen Hearts" einen Schaukelstuhl werden ließen – »(…) so this song is called Schaukelstuhl« – das enorm druckvolle wie gleichzeitig sensible Spiel ihrer Band … all das darf als Quantensprung bezeichnet werden und brachte den Protagonisten auf der Bühne gebührenden Applaus ein.

Leif de Leeuw Band

Leif de Leeuw Band

Wer nun allerdings meinte, danach könne endgültig nix mehr kommen, hatte die Rechnung ohne Gerd gemacht.
Denn nun enterten die Joldelund-Wiederholungstäter der Leif de Leeuw Band final die Bühne und bewiesen nach ihrem letztjährigen Tribut an die Allman Brothers Band, dass sie in diesem musikalischen Dunstkreis nicht nur gut covern, sondern auch Eigenes im entsprechenden Geiste zelebrieren können.
Sollten also diverse ZuhörerInnen im Laufe des langen und an Höhepunkten nicht armen Abends eventuell der Müdigkeit anheim gefallen sein, so wurden sie an dieser Stelle von einem rhythmischen Feuerwerk aus jeglicher Lethargie gepustet, angefacht vom hochenergetischen Maschinenraum bestehend aus Joram Bemelmans & Tim Koning (Doppelschlagwerk!) und Tieftöner Boris Oud, der letztes Jahr in Joldelund zusätzlich noch in der Sean Webster Band zu bewundern war. An den Tasten wuselte Rick Linzel (auch Gesang), zusammen mit Joram Bemelmans Neuzugang in der Band, während Sem Jansen (ebenfalls Gesang) und Namensgeber Leif de Leeuw die Gitarrenfront bildeten … zwischendurch selbstredend durch einen endgültig befreiten und entfesselten OTTO jr. bereichert, der inzwischen sogar Sprechchöre generieren konnte. Das Gesamtensemble agierte derart druckvoll, versiert, rhythmisch verzahnt, mit einem ungeheuren Timing und Spielfreude ausgestattet, punktgenau und technisch sauber, wie es nie und nimmer zu erwarten war. Frenetischer Applaus zur weit vorgerückten Stunde waren der verdiente Lohn und das abschließende "Jessica" die mit Abstand am besten dargebotene Coverversion der Allman Brothers Band, die der Autor dieser Zeilen jemals gehört und erlebt hat!

Der berühmte Dachboden, bestuhlt für das Akustikkonzert

Der berühmte Dachboden, bestuhlt für das Akustikkonzert

Nach einer Vielzahl sehr eindringlicher Eindrücke ist es im Festival-Konzept von Gerd Lorenzen eine Wohltat, dass selbiges am Sonntagmittag mit einem Akustik-Set des jeweiligen Headliners inklusive Dachbodenbestuhlung beschlossen wird.
Erja Lyytinen ganz entspannt bei einer Kanne Tee und einer sich in der Mittagssonne spiegelnden Halbakustischen … dazu ein Programm eher älteren Materials, musikalisch stark angelehnt an ihr hochgelobtes 2014er Werk The Sky Is Crying und damit sehr bluesig … angereichert mit sehr emotionalen Songs wie der wunderschönen Ballade "Break My Heart Gently", die sie erstmals überhaupt live präsentierte und auf ihrem neuen Album von Sonny Landreth veredelt wird … das ist große Kunst einer inzwischen gereiften Musikerin inklusive seelischer Narben und nichts anderes als 'europäische Weltklasse'!

Selbige darf Gerd Lorenzen ebenfalls für sein Gesamtkonstrukt 'Guitar Heroes Festival' ohne Abstriche bescheinigt werden und neben der spannenden Frage, wie wohl schlussendlich das Line-up der nächsten Ausgabe ausschauen wird, stellt sich eine entscheidende Frage: Was wird wohl aus OTTO jr. werden?
Die KünstlerInnen dieses unvergesslichen Wochenendes haben die Messlatte verdammt hoch gelegt … er hatte bereits seinen Anteil daran!

Fotos: O.O. (Olaf Oetken), HK (Henry Klompmaker) und RA (Ramrod/Christian von Stefano)


 

 

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

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