Saitenhelden in besonderen Zeiten auf einem besonderen Festival
• Vorlauf:
Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Die 'Guitar Heroes' konnten im vergangenen Jahr aus bekannten Gründen leider nicht ihren Weg in den umgebauten Heuboden eines ehemaligen Kuhstalls im hohen Norden finden, feierten aber unter strengen Auflagen im September eine Premiere im ' Garten' des Saiten-Enthusiasten, Veranstalters und Bio-Bäckers Gerd Lorenzen.
Nachdem leider auch das diesjährige Frühjahr heldenlos bleiben musste, organisierte Gerd Lorenzen mit seiner Familie und seinem Team kurzerhand gleich zwei Saitenhelden-Festivals für den Sommer/Spätsommer, um den Nachholbedarf halbwegs lindern zu können … nicht ganz uneigennützig, lautet doch sein Motto: »Hier spielen nur Musiker, die ich auch haben will«.
Beide Festivals wurden ihrerseits unter das Motto "Out In The Field" gestellt, da Corona sich leider immer noch nicht auf diese komische mexikanische Biermarke reduzieren lassen will.
Die August-Ausgabe geriet zu einem vollen Erfolg, obwohl es in diesen Pandemie-Zeiten mit internationalen Aktivitäten schwierig ist und sich – als Kirsche auf der Torte – die Band des gebuchten nationalen Blues-Gitarren-Asses Henrik Freischlader im Vorfeld auflöste.
Auch für die September-Ausgabe musste Blues- und Rockliebhaber Gerd Lorenzen improvisieren, fiel doch durch geänderte Ein- und Ausreisebestimmungen die komplette Europa-Tour der Billy Walton Band aus der Küstenregion New-Jerseys ins Wasser.
Ja, um ein derart mit erstklassigen Genre-Musiker*innen gespicktes Festival in überschaubarer Größe und familiärem Rahmen, in dem sich Gäste und Künstler*innen gleichermaßen wohlfühlen, auf die Beine stellen zu können, braucht es gewaltige 'cojones' … zumal bei den derzeit Pandemie-bedingten Organisationsunsicherheiten und dem nicht zu leugnenden Umstand, dass das Genre der Begierde schon lange keinen Massenandrang mehr gebiert … in bundesdeutschen Landen schon mal gleich gar nicht.
Umso höher ist der unermüdliche Einsatz von Gerd und seiner Crew zu würdigen, was dieses Jahr auch endlich durch zwei Nominierungen für den 'German Blues Award' – Kategorie 'bestes Festival' und 'bester Live-Club' – zum Ausdruck kommt.
Der Autor dieser Zeilen kann es gleich vorwegnehmen: Nach der diesjährigen September-Ausgabe der 'Guitar Heroes' kann es nur einen Gewinner geben!
• Das Drumherum:
Alleine die Gestaltung der Infrastruktur im 'Garten' des Veranstalters lässt sich kaum in Worte fassen und darf gerne auf den entsprechenden Bildern bewundert werden.
Durch den 'Sitzungscharakter' der Veranstaltung – eine entsprechende Menge an Stühlen inklusive überwiegender Überdachung stand zur Verfügung – gab es, mittlerweile ganz ungewohnt, keine Einschränkungen … bis auf das obligatorische Abstandhalten und die Maske für den Toilettengang.
Das Catering umfasste, neben diversen Spezialitäten einer nicht ganz unbekannten regionalen Brauerei, Bio-Bratwurst und Nacken im hauseigenen Brötchen, Bio-Pommes und die weltbesten Spinat- und Paprikastrudel, letztere ebenfalls aus eigener Herstellung.
Diese leckere und das Gegenteil von Anonymität ausstrahlende Verpflegung gehört ebenfalls als Mosaikstein zum Erfolgsgeheimnis dieses kultigen Events irgendwo im Nirgendwo. Hier greifen einfach alle Aspekte des Wohlbefindens ineinander, wo sich noch die großzügigen Möglichkeiten hinzugesellen, Zelte aufbauen und PKWs, Wohnwagen und Wohnmobile abstellen zu können … diesmal auf einer weitläufigen Schafwiese, auf der SUV-Fahrer*innen endlich mal ihren Spieltrieb ausleben durften.
All das und die Liebe zur (rockigen) Blues-Musik und Artverwandtes begeistert mittlerweile ein Stammpublikum aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Dänemark, Schweden und den Niederlanden, welches sich wie eine große Familie anfühlt und hoffentlich in der Zukunft noch etwas jünger wird.
War sonst noch was?
Ach ja, Musik wurde auf der aufblasbaren Anhängerbühne auch noch gespielt.
• Tag 1:
Den Anfang machte ein alter Bekannter, der sich nicht ohne Grund in Joldelund ebenfalls sehr wohl fühlt … Sean Webster mit seinem langjährigen niederländischen Begleittrio. In seiner englischen Heimat ist er durch sein ausgesprochen lyrisches Saitenspiel auf der Paula und seine elegischen Bluesrock-Epen in Moll durchaus eine Genre-Größe, hierzulande leider immer noch ein unbeschriebenes Blatt. Seine Setlist promotete in erster Linie das aktuelle Live-Album "Three Nights Live" (2019) und bildete mit wenigen Ausnahmen das ab, was er bereits vor drei Jahren auf Gerds Dachboden präsentierte. Dieser ist allerdings nochmal um einiges intimer als die mobile Open-Air Bühne und sorgte damals für eine atmosphärische Verdichtung, die das Publikum schier explodieren ließ. Diesmal nützte alles Bending, Dehnen der Saiten und meisterhaftes Stehenlassen der wehklagenden Noten nichts, die Begeisterung hatte Luft nach oben.
Dabei ist Sean Webster ein absolutes Phänomen. Wenn er spricht glaubt wirklich niemand, dass bei ihm in puncto Gesang mehr als ein Krächzen herauskommen kann. Das ist aber tatsächlich ein Trugschluss, auch wenn es für ihn als Chorknabe schwierig werden dürfte. Zudem trügt seine nach außen hin etwas grobschlächtige Erscheinung, inklusive der Wurstfinger, die beispielsweise der Autor dieser Zeilen und Elton John mit ihm gemeinsam haben. Websters gesamte Interpretation des balladesken Blues-Rock mit inkludiertem behutsamen Aufbau eines Spannungsbogens, der schließlich in ein energetisches, intensives und das Innerste nach außen kehrende Gitarrensoli kulminiert, vermittelt trotz seines schmirgelnden – aber nie kratzigen – Gesangs eine erstaunliche Sanftheit. Vielleicht war das aber zum 'Anheizen' nicht ganz das Richtige.
- Sean Webster mit Floris Poesse am Bass und Ruud Gielen am Schlagzeug
- Sean Webster mit seinem niederländischen Trio
- Sean Webster
- Sean Webster
- Publikum von hinten bei Sean Webster
Bei den ersten Tönen von Robert Jon & The Wreck wurde hingegen sofort klar, dass hier die Bühne eher viel zu klein ist. Die Band hat sich nach ihrer Umbesetzung vor gut drei Jahren von einer vielversprechenden Clubattraktion für rockige Klänge des amerikanischen Südens zu einer Speerspitze ihres Genres entwickelt, welches sie inzwischen auch mit souligen Klängen im musikalischen Spektrum erweitert. An diesem Freitagabend war davon etwas weniger zu hören, als auf ihrem aktuellen Album Shine A Light On Me Brother, jedoch waren die ersten drei Songs dieser Scheibe im Set vertreten, zusammen mit gleich vier Nummern ihrer letztjährigen Last Light On The Highway.
Wie kaum eine zweite Band verstehen es die Kalifornier, großartige Jam-Qualitäten an den Tag zu legen, ohne auf richtig gute Songs zu verzichten. Und sie erzeugen Druck … so auch an diesem Abend, wo die hervorragende Soundanlage erstmals richtig ausgereizt wurde. Aber sie spielten leider nicht in der homogenen Einheit auf, für die sie bekannt sind. Ihr Gründungsmitglied, Tasten-Derwisch und Backgroundsänger Steve Maggiora ist bekanntlich für die zigste Inkarnation von Toto angeheuert worden und agierte an diesem Abend auffallend unauffällig.
Sein Gründungskollege Andrew Espantman, der sich wenige Stunden zuvor noch ob eines ihm entgegenkommenden Riesen-Treckers schier ausschütten wollte vor Lachen, lächelte hinter seinem Drum-Kit auffallend wenig. Der Bandleader Robert Jon Burrison wiederum brauchte ein Weilchen, um auf Betriebstemperatur zu kommen und agierte für seine Verhältnisse trotzdem auffällig zurückhaltend. Somit kristallisierte sich schnell Saiten-Artist Henry (James) Schneekluth als Star des Abends heraus. Atemberaubende Läufe auf seinem Instrument, ein mehrdimensionales Spiel und auffallend viele Slide-Klänge mit Metallröhrchen über dem kleinen Finger ließen ihn wie die Reinkarnation eines Duane Allman auf Speed wirken und war damit gleichzeitig Inbegriff und Markenkern der Festivalüberschrift.
- Robert Jon
- Henry James
- Henry James & Robert Jon
• Tag 2:
Der nächste Tag hatte zur Kaffee- und Kuchenzeit ein Novum zu bieten. War es sonst üblich, dass das Festival am Sonntagvormittag durch einen akustischen Frühschoppen beendet wurde, so startete jetzt Sean Webster – ohne Begleitung und nur mit einer Akustikgitarre 'bewaffnet' – den zweiten Teil des Festivals mit einem Unplugged-Set, das überwiegend Cover-Versionen enthielt, die der Brite aus Sheffield mit Bedacht ausgewählt hatte. Dabei machte er sich sogar Welthits wie "Roxanne" (The Police), "With Or Without You" (U2) oder "Unchained My Heart" (Ray Charles) komplett zu eigen, brillierte bei "Before You Accuse Me" (Bo Diddley) an seinem Arbeitsgerät und brachte das Paradestück "I’d Rather Go Blind" (Etta James) mit unfassbarer emotionaler Sensibilität, Tiefe und Herz zu Gehör, dass es wohl nicht nur dem Chronisten die Seele streichelte und folgerichtig zu stehenden Ovationen führte.
Besonders hervorzuheben sei auch noch seine fantastisch einfühlsam dargebotene Interpretation des Jonny Lang Hits "Lie To Me" (1996), kaum wiederzuerkennen und ein Paradebeispiel für die Kunst Websters, fremden Songvorlagen seinen eigenen Stempel mit viel Subtilität aufzudrücken. Nebenbei erfuhr das geneigte Auditorium noch, dass Jonny Lang wegen anhaltender Stimmprobleme seine Karriere vorerst an den Nagel hängen muss.
Mutigerweise brachte Sean Webster Eric Claptons "Tears In Heaven" zu Gehör, ein ausgesprochen persönlicher Song mit tragischem Hintergrund. Aber wenn einer außer Clapton dieses Lied intonieren darf … dann Sean Webster!
Nach dieser intensiven und sehr gelungenen Performance kam es schließlich doch noch zu verdienten Schlangen beim CD-Verkauf.
• Stell Dir vor es is Festival, aber keine Band da!
Am Vorabend spielte 'Rufs Blues Caravan' noch in Berlin und der Weg in den hohen Norden ist sehr weit und mitunter zäh, speziell der Elbtunnel. Da kann man als Veranstalter schon einmal ins Schwitzen geraten. Sean Webster hatte seinen Auftritt zeitlich bereits überzogen, aber von der Karawane war weit und breit noch nichts zu sehen. Normalerweise eine Katastrophe … nicht so bei den 'Guitar Heroes' in Joldelund!
Die Gemeinde verköstigte sich, schnackte fröhlich in die Runde und siehe da … irgendwann kam tatsächlich der heißersehnte Tourbus aufs Gelände gefahren, man packte eifrig aus, bestückte die Bühne mit noch fehlendem Equipment und machte einen Soundcheck!
Der 'Blues Caravan' hatte in der Vergangenheit noch nie in Joldelund Station gemacht und wurde in seiner aktuellen Inkarnation im Februar 2020 durch Corona böse ausgebremst. In gleicher Besetzung wurde jetzt der Faden wieder aufgenommen, nur das rhythmische Rückgrat aus Schlagzeug und Bass erfuhr personelle Veränderungen. Das Konzept sah schon seit der ersten Karawane 2005 vor, dass drei Künstler*innen – vorzugsweise noch relativ unbekannt und innerhalb der Genregrenzen eine möglichst große Bandbreite abdeckend – mit festem Rhythmus-Personal auf eine Package-Tour geschickt werden, um sich dem geneigten Publikum sowohl einzeln, als auch gemeinsam auf der Bühne vorzustellen, wobei ersteres mit eigenem und letzteres mit in der Regel bekanntem fremden Songmaterial einherging.
Damals hießen die Protagonistinnen Sue Foley, Ana Popovic und Candye Kane, nach dem gut gelaunt durchgeführten Soundcheck enterten im Hier und Jetzt Jeremiah Johnson, Whitney Shay und Ryan Perry die mobile Bühne.
Dabei entpuppte sich Ryan Perry als stimmgewaltige Reinkarnation Freddie Kings mit warmem Gitarrenton und einem Spiel, das neben Blues auch Funk seinen Platz einräumte, wobei stellenweise ein hendrixscher Einfluss nicht zu leugnen war. Dieses Spiel gereichte dem Namen des Festivals allemal zur Ehre.
Die rothaarige Whitney Shay entpuppte sich dagegen als kleines Energiebündel, hatte Ryan Perry als Gitarristen an ihrer Seite und machte mit röhrenden Stimmbändern die 'Rhythm And Blues-Partykanone'.
Als dritter im Bunde wurde schließlich Jeremiah Johnson vorstellig, dem die ländliche Gegend bekannt vorgekommen sein dürfte, war er doch bereits vor zwei Jahren Gast in Joldelund. Mit seinem schneidenden Saiten-Ton bildete er den Gegenpol zu Ryan Perry und brachte den Rock’n’Roll in den Blues. Zunächst etwas unsicher wirkend, spielte sich Johnson immer mehr frei und wirkte spätestens beim längst wieder von allen gemeinsam in Szene gesetzten Luther Allison-Tribut "Cherry Red Wine" geradezu entfesselt. Nicht nur der Chronist, sondern auch Gerd Lorenzen höchstpersönlich konnten hier eine signifikante Steigerung und Weiterentwicklung ausmachen.
Als eine für diese wundervolle Veranstaltung so typische Anekdote sei noch vermerkt, dass nach Jeremiah Johnsons Part ein Gitarrenverstärker abgeraucht war und es minutenlang nicht weitergehen konnte. Wieder nutzte das Publikum geduldig die Gelegenheit für andere Dinge als Musikhören, und der Crew gelang es – woher auch immer in dieser 'Metropol-Gegend' – einen neuen Verstärker zu organisieren, so dass die Show weitergehen konnte … inzwischen auch mit diversen schönen Lichteffekten.
- Whitney Shay
- Jeremiah Johnso
- Ryan Perry
- Blues Caravan Bassist
- Jeremiah Johnson
- Blues Caravan Schlagzeuger Denis Palatin
Davon profitierte zum Abschluss der Veranstaltung auch der für die Billy Walton Band eingesprungene Kai Strauss mit seinen Electric Blues All Stars, zusätzlich verstärkt durch Tommy Schneller am Saxophon und einen Kollegen aus Osnabrück an der Trompete. Der frisch zweifach für den 'German Blues Award' 2021 nominierte und von der deutschen Schallplattenkritik für die beste Albumneuveröffentlichung ("In My Prime") im ersten Quartal 2021 ausgezeichnete Kai Strauss musste gar die Sonnenbrille aufsetzen und demonstrierte im Folgenden einen ziemlich akademischen Ansatz der Retro-Bearbeitung des blues(rockigen) Themas mit deutscher Gründlichkeit.
Der Mann demonstrierte ein zum Festival-Gedanken vollumfänglich passendes Saitenspiel, sehr versiert mit schönem Ton, bei Bedarf auch fehlerfrei hinter dem Rücken spielend und wusste eine kompetente Mannschaft hinter und neben sich.
Aber der Chronist wurde das Gefühl nicht los, dass hier eher Malen nach Zahlen stattfand, es fehlten irgendwie Feeling, Feuer, Emotionen und Lockerheit. Sehr stark dagegen kamen das Titelstück und der Opener des prämierten Albums, welches hörbar zum Höhepunkt seines bisherigen Schaffens gezählt werden darf. Gesteigert wurde dies zum großen Finale, als für Albert Kings "Crosscut Saw" Sean Webster auf die Bühne kam und sich mit Strauss das Gitarren-Battle des gesamten Festivals lieferte – wieder stehende Ovationen …
- Kai Strauss
- Kai Strauss mit Bassist aus den USA
- Kai Strauss
- Kai Strauss & Sean Webster
- Kai Strauss und seine Allstars mit Sean Webster zum Finale
• Fazit:
… das hatten sich Gerd Lorenzen und das gesamte Team redlich verdient!
Wer nicht da war und diese Art von Musik liebt, hat vermutlich das Highlight des Jahres verpasst.
Aber der Nachfolger für den April 2022 ist längst in der konkreten Planung … nicht selbstverständlich in diesen besonderen Zeiten. Wir bleiben am Ball!
2 Kommentare
Carlo Luib-Finetti
20. September 2021 um 18:28 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
kleiner Hinweis: der namenlose Schlagzeuger bei Blues Caravan heißt Denis Palatin. Er spielte schon öfters bei den "Girls on Guitar"/Blues Caravan. Insbesondere war er aber der Drummer von "Rosedale" (bis diese Band zu "Rozedale" mutierte).
Olli
21. September 2021 um 9:20 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Vielen Dank Carlo für die Information. Das rhythmische Fundament beim Blues Caravan war tatsächlich auffallend hochklassig, das habe ich im Bericht leider vergessen zu erwähnen.