Hale & Haines – einer dieser erst mal nichtssagenden Namen aus dem schier unerschöpflichen Fundes der Musik-Historie. Mir jedenfalls war dieses Projekt der beiden Protagonisten Gus Hale und Denis Haines bis dato unbekannt. Und wenn ich auf dem Promoschreiben lese, dass das Album unter New Wave oder gar 80’s Electro-Pop läuft, wundert mich das nicht.
Früher, und wir reden jetzt vom Jahr 1982, war das in den von mir besuchten Plattenläden so, dass der Erstindex der Regalbeschriftung den Musikstil betraf. Da hatte "Survival" nicht die geringste Chance von mir entdeckt zu werden. Im Nachhinein schade, denn unter all dem oberflächlichen und banalen Synthiegezirpe lagen wohl auch Perlen.
Aber da die Zeit bekanntlich nicht nur Wunden heilt, sondern auch die Möglichkeit bietet, so manch Versäumtes nachzuholen, ist mir Hale & Haines mit ihrem "Survival" nun ein Begriff. Dank dem Label MIG, das diese Scheibe digital remastert, mit vier Bonustracks versehen und schlussendlich in meinen Briefkasten gesteckt hat.
Wenn der Projektname der beiden Hauptakteure erst mal keine Glocken bei mir läuten lässt, so klingelt es spätestens dann, wenn tiefer gegraben wird. Denis Haines war Keyboarder und Songwriter bei Gary Numan, den Hollies sowie der Edgar Broughton Band. Unterstützt wurden Hale und Haines u. a. von Johnny Warman, der zu der Zeit mit einem Album und einer Single (Gesang Phil Collins) in den Charts war. Ein weiterer Gitarrist neben Johnny war Russell Bell von der Gary Numan Band sowie Basser John 'Rhino' Edwards (Ex-Judie Tzuke, Ex-Dexys Midnight Runners, aktuell: Status Quo).
Aufgenommen wurde "Survival" in der damals noch geteilten Mauerstadt Berlin. Und zwar im Paragon, dem ehemaligen Studio von Tangerine Dream. Wahrscheinlich war die Wahl von Berlin eine gute, denn wie auch bei Bowies Berlin-Trilogie, hatte die Stadt einen starken Einfluss auf Hale und Haines bzw. auf deren Songwriting. Allerdings war der Berlin-Touch in den Stücken wohl dem Erfolg des Albums abträglich, denn trotz immensem Aufwand, auch finanziellem, floppte das Teil.
Auf Vinyl war die erste Seite mit vier genretypischen Stücken sicherlich so, wie man sich zu dieser Zeit den Electro-Pop vorstellte. Und – wenn ich dieser Spezies Musik auch mit etwas Hochnäsigkeit begegne, die Songs sind nicht schlecht. Überhaupt nicht. Mit zeitlichem Abstand zu der Hochzeit dieser von mir zu eben dieser Zeit als Plastikmusik bezeichneten Gattung, ist das heute lecker gemachter Pop mit durchaus gewissen Ansprüchen und erkennbarem Gespür für gute Musik. Vielleicht auch ein Grund fürs Floppen. Die Stücke waren einfach zu gut gegenüber dem üblichen Gefiepe.
Spannend wird es aber mit den Tracks der Vinylseite zwei, den 'Berliner Songs'. Sphärisch startet "Softly The Morning Comes". Melancholisch in gewaltig düsterer Dimension erklingt Haines' Prophet Keyboard und engelsgleich dazu die Stimme von Jo Collins. Filmmusikreif auch "Isolation". Die Endzeitstimmung ist beachtlich. "Over The Wall" mit hervorragend platziertem Saxofonspiel von David Wright widmet sich natürlich der Mauer. Textzeilen wie »I can see the guards, they’re standing with their guns … the’ll shoot to kill … I don’t care« oder »I’ll run across no mans land, take my life into my hands, for the first time …« dokumentieren, dass die Streifzüge durch Kreuzberg, Neukölln und Wedding extremen Eindruck hinterlassen haben.
Der erste Bonustrack, "Curtain", ist schaurig schöner Piano-Sex, wie ihn Meister wie Ennio Morricone nicht besser hinbekommen hätten. Auch "Karl Marx Strasse" bedient sich dieser trostlosen Stimmung. Morgens, kurz vor Sonnenaufgang, abgebrannt und ohne Wohnung, keine Kippen mehr … so könnte das Script zu diesem Soundtrack lauten. Und wieder quäkt das Saxofon Hoffnungslosigkeit in den Morgenhimmel.
Mein Blick wandert immer wieder auf das Promoschreiben – »File under: New Wave, 80’s Electro Pop« …
Spacig wie aus alten Science Fiction-Filmen wabert der Synthie im dritten Bonustrack (allesamt Session-Outtakes die 1986 auch Einzug in Denis' Soloalbum "The Listening Priciples" fanden) und wenn mit "Final Curtain" selbiger fällt, muss man einfach nochmal die ersten vier Songs anspielen, um sich zu überzeugen, dass auf "Survival" wirklich auch Poppiges vorhanden ist. Wie bereits erwähnt, aber in einer Qualität, über die man im heutigen Tagsüber-Radio mehr als froh wäre.
Mit "Survival" hat MIG in der Tat etwas ausgegraben, quasi einen Schatz aus (persönlich betrachtet) musikalisch unseligen Zeiten, der zeigt, dass die 80er so unselig gar nicht waren. Man muss nur graben, Gespür für gute Musik und den Mut haben, alte und gefloppte Werke neu aufzulegen. Lob auch für das Booklet mit allen Texten sowie Linernotes in deutsch und englisch.
Line-up Hale & Haines:
Gus Hale (lead vocals, drums, percussion)
Denis Haines (keyboards, Prophet piano, backing vocals, guitar, screams)
John Edwards (bass)
Russell Bell (lead guitar, electric guitar)
David Wright (sax)
Simon Smart (rhythm guitar)
Johnny Warmann (lead guitar, guitar, 12-string guitar, vocals)
Joe Collins (vocals, backing vocals)
Calvin Hayes (backing vocals)
Xavier Blanch (backing vocals)
Tracklist "Survival":
- Survival
- Take Me Away
- To Love You
- Count To Three
- Softly The Morning Comes
- Isolation
- Over The Wall
- Echoes Of The Final Goodbyes
- Curtain (Bonustrack)
- Karl Marx Strasse (Bonustrack)
- Strangelands (Bonustrack)
- Final Curtain (Bonustrack)
Gesamtspielzeit: 37:25, Erscheinungsjahr: 2016 (1982)
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