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Hannes Wader / Noch hier – was ich noch singen wollte – CD-Review

Hannes Wader / Noch hier - was ich noch singen wollte

Hannes Wader ist "Noch hier" und singt "was ich noch singen wollte". So oder so ähnlich werden demnächst wohl die meisten Reviews zum neuen Album des Meisters eröffnet werden, man mag mir verzeihen, dass auch ich dem Titel entsprechend so offensichtlich einleite. Dabei liegt der letzte Kontakt gar nicht so weit zurück, das Live-Album Poetenweg erschien Ende 2020 und zeigte Hannes so, wie seine Fans ihn seit Jahrzehnten lieben. Nachdenklich, engagiert, melancholisch und doch auch voller Wortwitz. Nun bringt er im Spätherbst seiner Karriere sein erstes Studioalbum seit sieben Jahren heraus, es erscheint auf den Tag genau an seinem achtzigsten Geburtstag als Super Audio CD.

"Noch hier – was ich noch singen wollte" ist ein wundervolles Album geworden, voller sanfter Rückbesinnung, oft sehr melancholisch, manchmal herrlich ironisch. Es lebt von der Aura eines großen starken Mannes, der nun kurz vor dem achtzigsten Geburtstag eher sanftmütig und altersmilde geworden ist, was allerdings nichts an den tief philosophischen Gedanken und den messerscharfen Formulierungen ändert. Hannes ist immer noch der Mensch, der die Welt ein bisschen besser machen möchte, bewegend und Sinn gebend vorgetragen gleich im ersten Lied "Um eine bess’re Welt zu schaffen", getextet zu einer weltbekannten Musik von Mikis Theodorakis, dem großen Griechen und Bruder im Geiste. Der Text erinnert ein wenig an Georg Danzers legendären Song "Die Ruhe vor dem Sturm". Begonnen und beendet wird das Album jedoch mit kurzen, gesprochenen Rezitationen von Friedrich Hölderlin, nur ganz spärlich von einem reflektierten Cello – ein poetischer Rahmen für das Album. So wird dem gesamthaften Werk eine besonders intime Atmosphäre eingehaucht, als säße man im Wohnzimmer des Barden, bei Rotwein und Kerzenschein. Ja, so könnte man ein Wohnzimmerkonzert gestalten.

Dass Hannes Zeit seines Lebens immer auch politisch polarisiert hat, ist hinlänglich bekannt. Wie er aber in "Vorm Bahnhof" Zitate von Karl Marx aus einer Rede von 1856 (gesprochen, nicht gesungen) einbaut, ist schon sehr genial. Er stellt diese bis heute hoch aktuellen Sätze seinen Alltagsbeobachtungen gegenüber, die er mit aberwitzigem Charme und lässigem Sarkasmus schildert, eingebettet in die herrlich verrückte Rahmengeschichte, dass Hannes sich die ganze Zeit fragt, was zum Teufel er am Bahnhof wollte und sich schließlich erinnert, dass er ja eigentlich nur aufs Klo gehen wollte: »Inzwischen finde ich ohne Navi meinen eigenen Arsch nicht mehr«, was für eine coole Anspielung auf sein inzwischen fortgeschrittenes Alter. Es hat etwas von Loriot, wie Hannes hier die Macken der modernen Menschen seziert und noch dazu einen Bezug zu Marx herstellt. Und das ist vordergründig der Unterschied zum großen deutschen Komödianten, Hannes zeigt uns, dass die Dinge und Verhaltensweisen rund um uns herum mitnichten komisch sind – so wie bei der besungenen Dame, die das Personal einer Sparkassenfiliale nach der anderen abgebaut hat. Wer allerdings Herrn von Bülow besser kannte, der weiß, dass auch der sehr wohl die Boshaftigkeiten seiner Mitmenschen zeigen wollte und daher stets überrascht war, dass man ihm das Attribut des harmlos braven Komikers zudenken wollte. Er selbst sah sich viel eher als oft recht bösartig sarkastischen Enthüller menschlicher Schwächen.

Eine kleine Träne verdrücke ich bei "Es dunkelt schon in der Heide". Wie schon auf dem "Poetenweg" führen die Musik und die Erzählungen von Hannes Wader immer wieder auch in meine eigene Vergangenheit. Das hier zitierte Volkslied haben meine Eltern oft gesungen, als ich noch ganz klein war. Ich mochte die Melodie schon damals und denke wehmütig zurück an meine liebevoll umsorgte und behütete Kindheit.

Schon im ersten Drittel kommt es zu einer anrührenden Begegnung zweier Meister des deutschen und auch französischen Liedes, wenn Hannes mit Reinhard Mey "Le Temps Des Cerises" singen. Reinhard, der in Frankreich als Frederik Mey ähnlich populär ist wie bei uns. Sie kennen und schätzen sich seit Jahrzehnten, hier kommen sie noch einmal zusammen, ein bewegender Moment.

Der Song "Klaas der Storch" soll dem Begleitmaterial zufolge weitgehend auf Tatsachen beruhen, was besonders traurig ist. Der vierzig Jahre alte Storch endet letztlich, weil er von betrunkenen Burschen aufgeschreckt flieht und von den Flügeln eines Windrats zerfetzt wird. Eine betroffen machende Parabel auf den Umgang mit der Natur und der Kreatur, vielleicht auch ein wenig der Hinweis darauf, dass nicht alles, was unter ökologischem Deckmäntelchen als Segensheil verkauft wird, wirklich so toll ist, wie man es darstellt. Das muss jeder für sich selbst bewerten.

Bevor ich mir jedoch wieder Schelte einhole, werde ich einen weiteren Höhepunkt des Albums nicht ausführlich kommentieren, auch wenn es mir in den Fingern juckt. "Krieg ist Krieg" hat Hannes Wader bereits 2004 für das Album "…und es wechseln die Zeiten" geschrieben.
Der Text wird sprechend über einem düsteren Cello zitiert und hat, wie wir wissen, an Aktualität leider kein bisschen verloren. Nur die Herkunft der alten Männer ist momentan eine andere als damals, als es ebenfalls bittere Beispiel zu beobachten galt. Das belegt nur die zeitlose Wahrheit der Zeilen und es bleibt die Frage, wann die Völker aufhören, ihren falschen Führern zu folgen, wenn die wieder mal ins Feld ziehen mögen. Wie singt Hannes? »Es wird nur Verlierer geben!«

"Schlimme Träume" ist eine augenzwinkernde Persiflage auf die allgemeine Paranoia, die wohl irgendwie alle bekannten Wesen im Universum pflegen. Wer hat sie nicht, die eigenen kleinen Macken? Hannes singt davon, wie er des Nachts den Mülleimer von Bob Dylan nach Ideen und Texten durchsucht. Im realen Leben ist dies natürlich umgekehrt, teilt er genüsslich verschmitzt mit. Dazu diese herrlich schrägen jodelartigen Akzente zum Ende jeden Refrains, die die Ironie dezent unterstreichen. Ich mag diesen Humor.

"Es will meine Liebste" mit seinen minneartigen Harmonien klingt wie das männliche Gegenpart zur Musik einer Loreena McKennitt. Wunderschön und auch instrumental perfekt in Szene gesetzt.
"Noch hier", ein vertontes Gedicht, ist somit der Titelsong, passend ans Ende des Albums gesetzt. Das Lied bewegt tief, reflektiert der Text doch vermutlich ganz viel von dem, was Hannes in den letzten Jahren reflektiert hat. Es ist der würdige Schlusspunkt, bevor die abschließende Hölderlin-Rezitation das Werk vollendet. "An die Parzen", die Ode an die Poesie, den Gesang, die Kunst, deren Verwirklichung am Ende der Vergänglichkeit den Schrecken nimmt. Was für ein schöner Gedanke.

Hannes Wader hat ein zeitloses Werk voller übergreifender Wahrheit und poetischer Schönheit geschaffen, gespeist aus einem Leben mit der Kunst und für die Menschen, die er trösten und ermuntern konnte. Die Weisheit seiner Erfahrungen lassen ihn über den Dingen stehen, ohne die Basis zum Menschen jemals zu verlieren. "Noch hier – was ich noch singen wollte" ist ein hinreißendes Album geworden.
Leider kann ich das gesamte Ensemble der mitwirkenden Musiker nicht vollständig auflisten, da im begleitenden Material nur Auszüge der Gastmusiker wiedergegeben werden, die seit 2020 in verschiedenen Sessions zu diesem Album mit beitrugen. Deshalb liste ich nur diejenigen auf, die nachweislich erwähnt sind.


Line-up Hannes Wader:

Hannes Wader (vocals, guitar)
Jens Kommnick (bouzouki)
Ulla van Daelen (harp)
Lydie Auvray (accordeon)
Justin Ciuche (viola)
Martin Bärenz (cello)
Nils Tuxen (guitar)
Reinhard Mey (vocals #6)

Tracklist "Was ich noch singen wollte":

  1. Die Nacht (Hölderlin)
  2. Um eine bess’re Welt zu schaffen
  3. Novembertag
  4. Es dunkelt schon in der Heide
  5. Es ist vorbei
  6. Le Temps Des Cerises
  7. Vorm Bahnhof
  8. In stiller Nacht
  9. Alte Melodie
  10. Plaisir d’Amour
  11. Klaas der Storch
  12. Herr Aage
  13. Krieg ist Krieg
  14. Schlimme Träume
  15. Lob des Winters
  16. Es will meine Liebste
  17. Noch hier
  18. An die Parzen (Hölderlin)

Gesamtspielzeit: 64:55, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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