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Heavy Harvest / Iron Lung – CD-Review

Heavy Harvest / Iron Lung

Das Label verspricht zur vorliegenden Scheibe "Iron Lung" des Baseler Trios Heavy Harvest einen »Frontalangriff auf die Gehörgänge und die (vorerst) lauteste, ungestümteste Musik, die die drei Musiker bis jetzt hervorgebracht haben«. Nun, ich weiß nicht, wie laut und ungestüm das Erstlingswerk daher kam, aber nach dem ersten Hörgang würde ich die kühne These des Labels sofort unterschreiben, blind und vermutlich auch taub, denn das, was uns erwartet, ist kein Frontalangriff, es ist so etwas wie ein akustisches Kettensägen-Massacker und härter als alles, was ich in letzter Zeit gehört habe. Wer Mut hat zu einem tonalen Gemetzel, der sollte diesen Weg mitgehen, es lohnt sich wirklich. Denn uns erwartet ein Stück zerschredderter Scherbenhaufenmusik, die mit derart beängstigender Inbrunst und Authentizität zelebriert wird, dass  es einem den Atem gefrieren lässt.

Will man sich diesem Werk beschreibend nähern, dürfte wohl die Kategorisierung Noise Rock grundlegend zutreffen. Dieser bricht immer wieder aus in Richtung Sludge wie in "Body Hammer", bedient sich gelegentlich tiefer Stoner-Riffs, doch die Anleihen bei Punk und Hardcore prägen das Stimmungsbild insgesamt besonders intensiv.

Sagte ich Stimmungsbild? Das Sammelsurium aus apokalyptischen Träumen und verstörenden Visionen ohne selbst zensierende Grenzen werden in unbändiger Wut und Aggressivität in die Welt hinaus gegrölt, die Gitarren zersetzen jede Hoffnung auf Harmonie und klare Songstrukturen und immer, wenn ein paar eingängige Akkorde scheinbar ein ganz klein wenig Linie vorzugeben scheinen, zerlegen sich Rhythmik und Erwartungshaltung des verzweifelt eingegroovten Headbangers in wilden Kakophonien und lösen sich im Nichts auf. »Dissonante Gitarrengewitter« nennt es das Begleitmaterial, passt. "Nosebleed" zeigt das übrigens sehr schön mit seinem schrägen Solo, dem rotzig krachenden Bass und dem wilden Geprügel auf den Fellen. Der Song macht mich besonders an.

Thematisch geht es in den kurzen Songgebilden vereinfacht gesagt um das Spannungsverhältnis zwischen Mensch, Maschine und Natur, ausgelebt in verstörenden Bildern, die zarten Gemütern richtig Angst machen können. Hierzu empfehle ich die Bandcamp-Seite von Heavy Harvest, wo alle Texte aufgeführt sind. Wie gesagt, man muss diese teilweise blutigen Visionen schon annehmen, sonst wird das nichts. Zu der wild aggressiven Musik hingegen braucht es schon starke und polarisierende Inhalte, um mithalten zu können, so gesehen verschmelzen hier beängstigende Ausbrüche sowohl inhaltlicher als auch instrumentaler Aggression zu einem schrägen Gesamtkunstwerk. Oft hoffnungslos, stets böse und voller Wut, aber irgendwie auch wie ein Ventil, wenn man aufgestaute Frustrationen kanalisieren möchte – und wer hat die nicht in diesen Zeiten weltweiter Viren-Verbreitung und immer absonderlicheren gesellschaftlichen Entwicklungen, während anderswo die Kriege und ihre Protagonisten die Hoffnung auf eine friedfertige menschliche Rasse ähnlich in Schutt und Asche legen wie dieses Album sämtliche Konventionen musikalischer Ausdrucksformen. Doch wo in der Realität der 'Konflikte' Leben zerstört werden, gebärt die Kunst der Musik eine neue Lebensform und schafft aus vordergründig destruktiven Formen etwas archaisch erhabenes Neues. Damit es sich erschließt, muss man seine Sinne allerdings öffnen für eine brachiale Betrachtungsweise, jedermanns Sache wird das nicht sein. Genau das aber dürfte kaum in der Intention der Band liegen.

So gesehen wäre es in der Tat interessant zu wissen, ob die Band ihr wütendes Werk tatsächlich als eine Art Parabel auf Zeitgeist und Moderne sieht oder ob man eher eigenen Intentionen und Visionen gefolgt ist.

Für die gewaltig nachklingende Wirkung des Albums ist das aber letztlich zweitrangig, denn der Wirkung dieses apokalyptischen Ritts kann man sich schwerlich entziehen, mich haben sie tierisch beeindruckt. "Iron Lung" ist wüst, wild, gewaltig und krachend, voll zerstörerischer Energie, »kicking ass« zum Quadrat sozusagen. Wenn man sich darauf einlässt, erlebt man eine wundersam heilende Wirkung, denn so sehr Harmonielehren und Kompositionsstrukturen während dieser aufregenden 33 Minuten auch auseinander genommen werden mögen, so erfrischt fühlt man sich nach einem Durchlauf. Es ist fast so, als ob die oft in Fragmente zerlegten Songpartikel am Ende wie beim "Terminator 2" auf geheimnisvolle Weise tröpfchenweise zusammen laufen und im Hirn ein faszinierendes Ganzes hinterlassen. Wow.
"Iron Lung" ist ein Naturereignis!


Line-up Heavy Harvest:

O’Neal Haas (guitar, vocals)
Aaron Wetzel (bass, backing vocals)
Jonas Häne (drums, backing vocals)

Tracklist "Iron Lung":

  1. Worship
  2. Scream
  3. Nosebleed
  4. Body Hammer
  5. Needles
  6. Oven
  7. 7845-04
  8. Fertilizer
  9. Iron Lung
  10. Pig Doctor
  11. Candy
  12. Skeleton

Gesamtspielzeit: 33:56, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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