
Einen Abend mit Heilung schlicht als Konzertbesuch zu bezeichnen, wäre eine veritable Untertreibung. Es scheint fast so, dass die mystisch geheimnisvollen Klänge Urinstinkte und Kräfte in seinen Zuhörern freisetzen, die man selbst längst verloren glaubte.
Aber der Reihe nach.
Als ich den Tipp zu dem Konzert im Essener Colosseum, eine wirklich wunderschön ausgestattete Eventhalle, die mit ihrem monumentalen Saal und der im industriellen Stil gehaltenen Ausstattung geradezu nach so einer Musik schreit, war ich sogleich Feuer und Flamme – Dank der Videos im Netz. Die Anreise von Duisburg, die ich prinzipiell als unproblematisch und kurz eingeschätzt hatte, wartete mit einigen Ecken und Kanten auf, die mir vorab fast ein wenig den Spaß an dem Abend genommen hätten. Dafür überraschte das Foyer des Theaters mit einem hoch modernen Outfit, wie in einem dieser Musical-Tempel, von denen es inzwischen so viele gibt. Ich war spät dran und für ein Bier reichte es nicht mehr.
Überraschend für uns alle betraten bereits vor dem angekündigten Start um 20 Uhr einige Musiker mit traditionellen Instrumenten wie Leier, Harfe und akustischer Gitarre die Bühne und spielten fast 45 Minuten stille, sehr traditionelle Weisen. Schön anzuhören, aber auf Dauer ein wenig eintönig. Leider habe ich den Namen der Band nicht recherchieren können, da diese nirgendwo angekündigt war. Der Übergang zum Hauptact dauerte dann aber nur ein paar Augenblicke.
Allein der Aufmarsch von Heilung ist ein beeindruckendes Happening. Originale Verkleidungen aus den Zeiten der Wikinger, mit Geweihen auf dem Kopf, zieht die Mannschaft um die Gründungsmitglieder Kai Uwe Faust, Maria Franz und Christopher Juul gemessenen Schrittes auf die Bühne und bildet einen Kreis. Tief aus diesem Zusammenschluss ertönt eine tiefe grollende Stimme und spricht auf englisch (sinngemäß, so wie ich es behalten habe): »Vergesst nicht, wir alle sind Brüder und Schwestern. Alle Menschen, aber auch alle Kreaturen und die Natur um uns herum«. Und dann erfasst ein dunkler düsterer Unterton den Saal, verschmolzen in dem atemraubenden Kehlkopfgesang von Kai Uwe.
Gänsehaut breitet sich aus. Nicht nur im Internet wird, im Bezug auf diese Gesänge, gerne verwiesen auf asiatische Verwandtschaft. Ich bin selbst mal bei einer buddhistischen Mönchs-Zeremonie dabei gewesen, morgens um vier auf dem Affenberg von Swayambunath in Kathmandu, Nepal. Die Mönchsgesänge dort klingen tatsächlich ähnlich. Und eine mongolische Gruppe hat ähnliche Töne einst zum Festival der Duisburger Akzente beigesteuert, Musik, die auch in den heutigen Abend gepasst hätte.
Ganz anders dazu im Gegensatz die helle klare Stimme von Maria, die über den tiefen Tönen beseelt meditiert und die (guten) Geister zum Leben erwachen lässt.
Instrumental werden historische Trommeln und Saiteninstrumente, aber auch Speere, Schilder und Knochen musikalisch eingesetzt. Insbesondere das große Knochenhorn, gleich zu Beginn in "Krigsgaldr", wenn es die ursprünglichen Laute wie ein Vogelgezwitscher langsam vertreibt, hinterlässt tiefe Eindrücke. Einzig der dezente Einsatz elektronischer Samples hält die klassisch erzeugten Töne sphärisch zusammen, doch die Gesänge, zum Teil verstärkt durch sieben speerbewaffnete 'Krieger', tragen den Hauptanteil und die Basis der einzelnen Stücke. Gerade, wenn die komplett versammelte Truppe auf der Bühne agiert, nimmt die Stimmung einen mitunter ziemlich martialischen Ausdruck an. Wenn das damals im Teutoburger Wald auch so zuging, dann wundert es nicht, dass die Römer auf die Nuss bekommen haben. Ja, diese eigentümliche Musik hat eine unglaubliche Energie.
Bewusst und gewollt bezieht sich die Band mit ihren Gewändern und eisenzeitlichen Utensilien auf eine längst vergangene europäische Epoche. Doch sosehr das aufregende Projekt auch herrliche Bezüge zu gesellschaftlichen und politischen Themen unserer Tage bieten könnte, verbietet sich dieses ausdrücklich, da die Band selbst dies ausdrücklich ablehnt. Aber egal, ob man die faszinierende Darbietung und die bewegenden, mystischen Klänge, die wie aus einer anderen Zeit zu uns zu gelangen scheinen, in unsere Tage adaptieren mag oder nicht – eines bewegt die Musik so oder so: Sie erweckt Kraft und auf fast gespenstische Weise einen Einklang mit sich und der Welt. Das ist ein Geschenk, das man in einem normalen Konzert eher selten geboten bekommt.
Heilung bedient sich in seinen Songs, die man eigentlich so gar nicht bezeichnen sollte, von den beiden Alben "Ofnir" und "Fotha". Darüber hinaus hat die Band bereits 2017 ein Live-Album produziert. Eines aber kann ich versprechen: Man sollte sich das Erlebnis Heilung optisch und akustisch geben, beide Sinne miteinander verbunden entfalten erst die gesamte, einzigartige Wirkung dieser Musik.
Das Bühnenbild wirkt nachhaltig. Die zentrale, mitunter feuerrot illuminierte Trommel, die wie eine tiefe Sonne durch den perfekt eingesetzten, wabernden Nebel dringt, die Instrumente an Knochen und Baumstämmen installiert, die perfekte Beleuchtung – mal dezent und schwebend, dann wieder mit Lichtblitzen wie in einem tosenden Gewitter, gehen eine grandiose Symbiose mit den Klängen ein. Wie ein Äquivalent auf die Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft. Und die Musiker agieren dazu wie in einer großen Oper. Tief eindrückliche Szenen werden dargestellt, zum Beispiel wenn sich die Krieger allmählich um Maria herum versammeln und zu ihrem Gesang plötzlich die Schilder hochreißen, so als wolle man sie vor den bösen Geistern des Waldes bewahren. Diese Bilder wirken lange nach.
Zum Ende des Konzertes spürt man förmlich, wie viele Fans im ausverkauften Haus tatsächlich so etwas wie einen tranceartigen Zustand erreichen. Menschen bewegen sich in verzerrten Rhythmen, reißen die Hände hoch zum Zeichen der Verbundenheit mit den agierenden Künstlern, so als könnten sie förmlich deren Sphäre fassen. Auch ich habe diese Verbundenheit gespürt, es ist ein wenig, als würde man gemeinsam an einem Füllhorn teilhaben, welches Lebensenergie verschenkt. Glücklicherweise war ich nicht high genug, um mich in übleren Verrenkungen auszuleben, was in den nächsten Tagen vermutlich zu einem orthopädischen Desaster geführt hätte.
Dieses Konzert hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen, es war ein bisschen wie die Begegnung mit einer fremden Welt und einer anderen Zeit, die mich doch auf seltsame Weise heimgeführt hat. Alle Achtung, mehr kann man an einem Abend mitten im Ruhrgebiet nun wirklich nicht erwarten.
- Maria
- Ein Wikinger
- Maria beschwört die bösen Waldgeister
- Feuer, Wasser, Erde, Luft
- Die feuerrote Trommel im Hintergrund
- Mystisches Szenario auf der Bühne
- Maria und ihr 'Volk'
- Speere, Schilder und Knochen kommen zum musikalischen Einsatz
- Der Zauber wirkt
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