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Held By Trees / Solace – CD-Review

Held By Trees / Solace

1998 veröffentlichte Mark Hollis, vormals Frontmann von Talk Talk, sein einziges Solo-Album. Danach verschwand er aus der Öffentlichkeit und starb still und leise 2019. Ich habe in meiner Vergangenheit die Band Talk Talk stets nur mit Synthie-Pop in Verbindung gebracht und mich ihr bis in diese Tage verwehrt, bis ich im Vorfeld zu dieser Review die Tür in die Vergangenheit geöffnet habe. Damals, in 1988 kam "Spirit Of Eden" auf den Markt, ein faszinierendes Werk aus einer Art düsterem Post Rock, der zu jener Zeit noch nicht einmal seinen Namen erhalten hatte und immer auch ein Stück weit am Rande von Fusion und Ambient agierte. Es war dieser Spirit, den Mark später in seinem Album weiterführte.

David Joseph möchte mit seinem Projekt Held By Trees dieser Phase, insbesondere dem Schaffen von Mark Hollis ein Vermächtnis setzen, dazu haben sich zahlreiche Mitstreiter aus Zeiten von Marks Solo-Album zusammen gefunden, ergänzt um prominente Musiker, die mit Bands wie beispielsweise Pink Floyd, Eric Clapton, Dire Straits oder Blur unterwegs waren und das Album "Solace" eingespielt. Sie kreieren einen faszinierenden Mix jener Klänge von damals, instrumental und ein wenig mehr durch rhythmische Elemente nach vorn getragen – aber im Geiste tief und ernsthaft bei Mark, dessen hochgradig melancholische Klangwelt hier wunderschön aufgenommen wird. Vergleiche ich aber "Held By Trees" mit Mark Hollis von damals, dann liegt in dieser Musik aus dem Jahr 2022 doch mehr Hoffnung, Perspektive und Farbe. Das war im düsteren Solowerk aus 1998 anders, dort tragen die Kompositionen einen Hauch von Unvermeidbarkeit und Tragik, vielleicht ein prägendes Merkmal im Leben von Mark. Vielleicht liegt eine leichte Beschwingtheit in der Orientierung zur Natur, schön naiv im Cover zum Ausdruck gebracht und es gibt wohl die Ansage, pro verkauftem Album einen Baum zu pflanzen. Also, kaufen und düngen!

Sanfte, reduzierte Projekte gibt es in unterschiedlichen Stilrichtungen. Wer einmal die Jazz-Platten eines David Darling auf dem Cello oder hier noch verwandter von Kjetil Björnstadt am Piano kennengelernt hat, der weiß, wie man durch geschickte Reduzierung seine Wirkung platziert. Etwas von dem machen sich die Postrocker auch zu Nutze. Dabei klingt im beinahe Titel-gebenden "In The Trees" die komplett relaxte Gitarre fast ein wenig wie Warren Haynes in seinen reflektierteren Momenten, wenn auch der einfach den Flow fließen lässt. Nur mit dem Unterschied, dass man sich hier immer nur auf der Startrampe befindet, egal ob Gitarre, Piano oder Blasinstrumente. Ein endlos scheinendes Intro, welches irgendwann im Nichts strandet. Genau das macht eben auch den Post Rock aus.

"Rain After Sun" wird weitgehend getragen durch die schönen Sax-Applikationen über einem fast krautigen Schichtenmuster, das mich an Michael Rother erinnert, wenngleich auf eine sehr entschleunigte Weise. Ganz nebenbei elaboriert hier mit großer Zurückhaltung David Knopfler, der Bruder des legendären Mark.
Und dann "Wave Upon Wave". Was für ein wundervoll stimmungsvolles Sounderlebnis. Welle um Welle, die gegen die Brandung trifft. Ein wenig nimmt mich diese sanft modulierende und sehr naturalistische Musik in einem Erinnerungskontext gefangen aus den Zeiten, etwa Ende der Achtziger, als ich einen wunderbaren Weltmusiker namens Friedemann Woitecka für mich entdeckte. Das Bild bleibt hier aber sehr viel melancholischer, dunkler. Friedemann fand zum Ende hin immer eher einen leichten, beschwingten Duktus.

Insgesamt ist es das hinreißend getragene Piano von David Joseph, welches die Stimmung so wundervoll in sich trägt und durch das Album leitet. Mit "The Tree Of Life" nimmt das dann wirklich Fahrt auf und produziert mehr als bisher eine postrockige Hintergrund-Atmosphäre. Darüber elaboriert eine uns sehr wohl bekannte Gitarre. Sie klingt nicht von Ungefähr gelegentlich nach dem legendären Herrn Gilmour. Tim Renwick war in unzähligen Konzerten der zweite Mann an den sechs Saiten bei Pink Floyd, ganz verleugnen kann man das wohl auch in diesem Kontext nicht. Warum auch? Gary Alesbrooks Trompete setzt aber sehr stimmungsvoll jazzig dagegen und das repetitiv meditative Piano führt am Ende alles zusammen. Ein wundervoller Moment, wo verschiedene Flüsse ineinander fließen und sich zu etwas erhabenem und großen vereinen. Das berührt mich sehr.
"Mysterium" komprimiert die Attribute seiner Musik – maximal reduziertes Piano und eine nur minimal akzentuierende Gitarre bewegen sich sanft und schwebend über einem ebenfalls nur angedeuteten Soundteppich, der im Laufe des Songs von spärlichen Rhythmus-Partikeln unterstützt wird, ohne dass diese jemals aus dem Hintergrund hervortreten. Wir treiben dahin, ohne Orientierung, einfach nur in sanften Wellen dahin.

Ein Titel wie "The New Earth" schreckt mich in diesen Tagen ein wenig ab, da es wohl Menschen und Regimes gibt, die sich unter einem solchen Arbeitstitel Dinge vorstellen, die keiner von uns haben möchte. Von solchen Überlegungen aber ist die Musik von Held By Trees Millionen Lichtjahre entfernt und der gefällig treibende Song ist eher so etwas wie die komprimiert positive Essenz aus der Musik des Albums, sie zeigt mir einmal mehr, dass wir hier weit mehr als Post Rock geboten bekommen. Das Crescendo, heraus entwickelt aus jazzigen Partikeln, hat fast ein wenig poppige Attitüden, der sanfte Ausklang bleibt dann aber dem Gesamtkontext treu und würde nahtlos in die naturalistischen Sounds des Openers "Next To Silence" übergehen, wenn man sich das Album wie ich mehrmals am Stück anhört. Ein Kreislauf des Lebens.

Held By Trees haben ein wirklich mitreißendes Album geschaffen, welches zum einen tiefe Sympathie und Verehrung für Mark Hollis und seine Arbeit präsentiert und dessen Werk, welches womöglich in vielerlei Sicht seiner zeit voraus war. Und sie transformieren diese Musik in unsere Zeit, versehen mit den Einflüssen, denen die einzelnen Musiker selbst unterlegen waren. Dabei kommt eine bewegende Musik heraus, die eigentlich nicht kategorisiert werden sollte, aber eben irgendwo zwischen Post Rock, Art Rock und Fusion gedeutet werden kann.
Es war mir eine Freude, dieser Musik folgen zu dürfen.


Line-up Held By Trees:

Gary Alesbrook (trumpet – #1,6,7,8)
Mary Apperley (cello – #1,6,7,8)
Oskar Apperley (viola – #1,6,7,8)
Tristan Apperley (violin – #1,6,7,8)
Eric Bibb (acoustic guitar – #4,7)
Martin Ditcham (drums, percussion – #2,3,6,7,8)
Simon Edwards (bass – #4,6,8)
Grant Howard (organ – #8)
David Joseph (guitar, piano, harmonium, seagul, kalimba)
Justin Kniest (guitar – #4)
David Knopfler (guitar – #3,7)
Robbie Mcintosh (guitar – #2,7,8)
Chris Mears (bowed guitar – #2)
Peter Moon (piano – #4)
Andy Panayi (flute, clarinet – #1,2,8)
Laurence Pendrous (piano, harmonium – #2,3,7)
Tim Renwick (guitar – #6)
Mike Smith (saxophone – #3,8)

Tracklist "Solace":

  1. Next To Silence
  2. In The Trees
  3. Rain After Sun
  4. Wave Upon Wave
  5. An Approach
  6. The Tree of Life
  7. Mysterium
  8. The New Earth

Gesamtspielzeit: 38:20, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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