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Ian Gillan With Don Airey Band And Orchestra / Contractual Obligation #2: Live In Warsaw – CD-Review

Ian Gillan With Don Airey Band And Orchestra / "Contractual Obligation #2: Live In Warsaw"

Ian Gillan, die Stimme von Deep Purple, ist zurück. Und in was für einer guten Verfassung! 19 Titel aus seiner Solokarriere und der seiner angestammten Band veröffentlicht der Sänger auf "Contractual Obligation #2: Live in Warsaw". Ein Livevergnügen, das Freude bereitet und vor allem vom Zeitpunkt überrascht. Denn der in diesem Jahr veröffentlichte Mitschnitt  stammt bereits aus dem Jahr 2016.

Zwischen Now What?! (2013) und dem jüngsten Deep Purple-Album inFinite (2017) nahm sich Gillan die Zeit für ein Projekt, das dank der Mitwirkenden zu einem bleibenden Erlebnis wurde. Fester Bestandteil der durch Osteuropa geführten Tour war Deep Purple-Keyboarder Don Airey mit seiner eigenen Band, während die Orchester von Ort zu Ort variierten. So lesen wir nur von einem »lokalen Orchester«, die wahre Identität dieses Klangkörpers erfahren wir leider nicht. Dirigent war Stephen Bentley-Klein.

Der studierte Geiger arbeitete im modernen Bereich bereits mit mehreren Musikern zusammen. Seine Zusammenarbeit mit Deep Purple mündete 2011 in einem Live-Album, das beim Abschlusskonzert des Montreux-Jazz-Festivals mitgeschnitten wurde. Der Komponist, Arrangeur und Dirigent leitete offensichtlich die verschiedenen Orchester, die während des Aufenthaltes mit dem Deep Purple-Frontmann auf einer Bühne standen.

Während Ian Gillan und Don Airey seit 2002 offiziell unter 'Deep Purple – Mark VIII' der gleichen Formation angehören, ist ihr Miteinander in dieser Konstellation neu. Den unermüdlichen Keyboarder kennen die Besucher in Deutschland vor allem von seinen intimen Clubauftritten in jüngerer Vergangenheit.

Über Gillan ist nachzulesen, dass es bei ihm 2018 zu einer weiteren Reunion seiner ersten Band, The Javelins, gekommen war. Dieser hatte er bereits in den 1960er Jahren angehört. 1994 kamen die Akteure für ein Albumprojekt zusammen. Das neue Album, Ian Gillan & The Javelins, aus dem Jahr 2018 enthält Coverversionen bekannter Musiker wie Ray Charles, Jerry Lee Lewis oder Chuck Berry.

Seine kreative Ader färbt auf "Contractual Obligation #2: Live in Warsaw" ab, wenngleich es dort vor allem ältere Stücke zu hören gibt. Doch sein Spaß an der Musik kommt bei seinen Moderationen hörbar rüber, die Interpretation der Stücke wirkt immer wieder frisch. Man muss sagen: Allen Unkenrufen zum Trotz präsentiert sich der heute 74-Jährige als ein Musiker, der in der Lage ist, seine Zuhörer auf ansprechendem Niveau zu unterhalten. Dabei präsentiert er Klassiker genauso gut wie einige Raritäten.

Der Auftakt erfolgt mit einem Blues ("Hang Me Out To Dry"), der auf dem 1991er Soloalbum "Toolbox" zu finden ist. Fast möchte man meinen, der Blues liege dem Sänger besonders gut, doch steht auf der vorliegenden Platte natürlich der Hard Rock an erster Stelle.
"Pictures Of Home" stammt ebenso wie die Stücke "Smoke On The Water", "Lazy" und "When A Blind Man Cries" (original als Single-B-Seite veröffentlicht) vom Deep Purple-Album Machine Head (1972).
Neben "Smoke On The Water" und "Lazy" stehen "Perfect Strangers", "Hush" und "Black Night" für besondere Meilensteine aus der langen Bandgeschichte Gillans und sind sicherlich nicht zufällig von ihm ausgewählt worden.
Die genannten Werke bringen die Beteiligten souverän zu Gehör, wobei abseits dieser bewährten Pfade Platz für Überraschungen ist. Dazu gehört für mich zweifelsfrei "Anya" aus der Deep Purple-Veröffentlichung von 1993, The Battle Rages On. Ein Trompetensolo leitet diesen Ohrwurm ein, ehe hier das Orchester einsetzt.

Die Band unterstreicht ihre gute Verfassung, die sich in einem feinen Zusammenspiel widerspiegelt. Der heimliche Star an der Seite von Gillan und Airey ist unüberhörbar der hochtalentierte Gitarrist Simon McBride. Bassist Laurence Cottle, der im Hard Rock genauso wie im Jazz zu Hause ist, ist ebenfalls allerbeste Wahl. Schlagzeuger Jon Finnigan ergänzt die exzellente Band, die sich auf ihren eigenen Tourneen Sänger Carl Sentance (Nazareth) zur Seite holt.

Simon McBride steht für eine junge Generation, spielt die alten Stücke aber mit Hingabe und überzeugend auf seine Weise. Dafür steht als Beispiel eindrucksvoll "Hush", bei dem sich alle Musiker gegenseitig überbieten. Ein solches 'Fest' ist gleichfalls "Black Night".

"Difficult To Cure (Beethoven’s Ninth)" ist auf dem vorliegenden Album das einzige Stück, das weder von Gillan noch von Deep Purple stammt. Es ist aber kein Geheimnis, dass jenes Werk auf Rainbows "Difficult To Cure" (1981) von Don Airey arrangiert wurde. Produzent war übrigens Roger Glover, der damals zum Rainbow-Personal gehörte.

So führt der Stammbaum über Gillan solo und Rainbow stets zurück zu Deep Purple und trägt der Livemitschnitt im Wesentlichen auch die Handschrift dieser Band. Erfrischend, wie nahtlos der Übergang von Titel zu Titel ohne Pausen gelingt. Während uns die Bandmitglieder mit ihrer ungezähmten Spielfreude erfreuen, sorgen die drei Backgroundsänger/innen Amanda Sommerville, Grace Gillan und Jaques Verhaeren für stimmliche Unterstützung. Warum der Part von Gillan mit dessen Tochter Grace auf dem Duett "You’re Gonna Ruin Me Baby" nach eineinhalb Minuten bereits zu Ende ist, bleibt das Geheimnis des Sängers und Vaters, denn im Original, veröffentlicht auf "Ian Gillan & The Javelins", hat der Titel ebenfalls eine solche kurze Spieldauer.

Kritisch darf man anmerken, dass bei Produktionen dieser Art, so auch auf "Contractual Obligation #2: Live In Warsaw", das Orchester trotz gewaltigen Aufwands weitestgehend im Hintergrund bleibt, von einzelnen Tracks abgesehen.
Alles in allem überzeugt jedoch "Contractual Obligation #2: Live In Warsaw". Wir erleben einen selbstbewussten Ian Gillan am Mikro. Er hat sich Stücke ausgewählt, die er stimmlich ohne Schwierigkeiten meistert. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er in seinem Alter immer noch so gut ist, um mit Deep Purple auf Tour gehen zu können, was er 2020 in Deutschland umsetzt, wenngleich sich seine Band ursprünglich bereits 2017 von der Bühne verabschiedet hatte…

"Contractual Obligation" liegt in drei Fassungen vor:

"Contractual Obligation #1: Live In Moscow" (als Blu-Ray)
"Contractual Obligation #2: Live In Warsaw" (als Doppel-CD und digital)
"Contractual Obligation #3: Live In St. Petersburg" (als 3fach-LP)


Line-up Ian Gillan:

Ian Gillan (vocals)
Don Airey (Hammond organ, keyboards)
Simon McBride (guitar)
Laurence Cottle (bass guitar)
Jon Finnigan (drums)
Stephen Bentley-Klein (conductor)
Amanda Somerville (backing vocals)
Grace Gillan (backing vocals)
Jaques Verhaeren (backing vocals)

Tracklist "Contractual Obligation #2: Live in Warsaw":

CD 1:

  1. Hang Me Out To Dry (4:07)
  2. Pictures Of Home (5:34)
  3. No Lotion For That (3:13)
  4. Strange Kind Of Woman (5:07)
  5. Razzle Dazzle (4:03)
  6. A Day Late 'N' A Dollar Short (5:18)
  7. Lazy (11:59)
  8. Rapture Of The Deep (6:20)
  9. When A Blind Man Cries (5:20)

CD 2:

  1. You’re Gonna Ruin Me Baby (with Grace Gillan) (1:25)
  2. Ain’t No More Cane On The Brazos (7:51)
  3. Difficult To Cure (Beethoven’s Ninth) (5:40)
  4. Anya (7:29)
  5. Perfect Strangers (6:46)
  6. Hell To Pay (5:12)
  7. Demon’s Eye (3:58)
  8. Smoke On The Water (8:15)
  9. Hush (6:44)
  10. Black Night (8:30)

Gesamtspielzeit: 112:51, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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